Gefährliche Kritik

Biographie Widerstand und Engagement waren schon immer Themen des kritischen Journalisten Oleg Kaschin. Die Auseinandersetzung mit den Demokratienmängeln Russlands kostete ihn beinahe das Leben
Gefährliche Kritik

Verlag/Maxim Andrejew

Oleg Kaschin wurde in Kaliningrad geboren, sein Vater war Ingenieur und seine Mutter Ärztin. Im Gymnasium organisierte Kaschin 1990 einen Schulstreik, der allerdings scheiterte.

Sein Studium an der Staatlichen Baltischen Fischereiflotten-Akademie beendete er im Jahre 2001 mit einem Diplom in Marinenavigation. Danach stach er mit dem russischen Segelschulschiff Krusenstern zweimal in See und nahm damit als Navigator erfolgreich an internationalen Regatten teil.

Von August 2001 bis Mai 2003 schrieb Oleg Kaschin für die Komsomolskaja Prawda in Kaliningrad, wo er sich auf exklusive Interviews spezialisierte. Kaschin interviewte von Regisseur James Cameron über den Philosophen Alexander Sinowjew und den Politologen Gleb Pawlowski bis zu den Schriftstellern Boris Akunin und Wladimir Sorokin viele prominente Persönlichkeiten.

Im Juni 2003 zog Kaschin nach Moskau und arbeitete dort als Autor für die Tageszeitung Kommersant, die in Russland den Ruf einer seriösen und kritischen Informationsquelle hat. Beim Kommersant entwickelte sich Kaschin u. a. zum Experten für die umstrittenen Jugendorganisationen der Regierungspartei. Als einer der bekanntesten Journalisten des Kommersant setzte sich Oleg Kaschin generell kritisch mit Demokratiemängeln in Russland auseinander.

Im September 2005 verließ Kaschin den Kommersant vorübergehend und schrieb für verschiedene Publikation, u. a. für die Tageszeitung Iswestija und für die Boulevardzeitung Twoi den („Dein Tag“). Mit Maria Gaidar, Tochter des ehemaligen russischen Ministerpräsidenten Jegor Gaidar, produzierte er die Sendung Tschornoje i beloje („Schwarz und Weiß“) im TV-Kanal O2TV.

Von April 2007 bis 2009 war Kaschin regelmäßiger Autor und stellvertretender Chefredakteur des russischen Magazins Russkaja schisn („Russisches Leben“).

Im Jahre 2009 kehrte Oleg Kaschin zum Kommersant zurück. Kaschin schrieb zuletzt über das umstrittene Bauprojekt einer Autobahn, für die ein Wald bei Moskau abgeholzt werden soll. In dieser Auseinandersetzung war schon Ende 2008 der Journalist Michail Beketow, der sich für den Erhalt des Waldes eingesetzt hatte, von Unbekannten lebensgefährlich verletzt worden.

Auch Oleg Kaschin exponiert sich in der Öffentlichkeit. So gehört er zu den produktivsten russischen Twitter-Nutzern, alleine am Tag vor dem Überfall auf ihn am 5. November 2010 schrieb Kaschin 49 Tweets (Kurz-Nachrichten) auf Twitter. Seine Beiträge auf Twitter und in seinem LiveJournal-Weblog werden auch von Journalisten-Kollegen als provozierend bezeichnet.

Im Oktober 2010 verweigerte der Pressedienst des Präsidenten Oleg Kaschin die Akkreditierung für eine Veranstaltung mit Medwedew mit der Begründung, Kaschin sei beim nicht genehmigten „Marsch der Dissenten“ im Frühjahr 2007 festgenommen und danach auf eine schwarze Liste des Föderalen Sicherheitsdienstes FSB gesetzt worden. Die Redaktion des Kommersant bezeichnete diese Weigerung als rechtswidrig.

Am 13. Oktober 2011 wurde Oleg Kaschin zusammen mit dem tunesischen Journalisten Fahem Boukaddous und dem deutschen Fernsehreporter Stefan Buchen mit dem Preis für die Freiheit und Zukunft der Medien der Medienstiftung der Sparkasse Leipzig ausgezeichnet.

Oleg Kaschin wurde am 6. November 2010 vor seiner Wohnung in Moskau von zwei Unbekannten brutal zusammengeschlagen. Die mit Blumensträußen getarnten Angreifer lauerten Kaschin in der Nacht auf und brachen ihm unter anderem den Kiefer, beide Beine sowie die Hände. Gemäß ersten Untersuchungen erlitt Kaschin auch schwere innere Verletzungen. Eine Videoaufnahme der Überwachungskamera vor Kaschins Haus zeigt, mit welcher Brutalität und wie gezielt die Täter dem Journalisten mit massiven Stangen die Beine und Hände brachen.

Generalstaatsanwalt Juri Tschaika leitete ein Ermittlungsverfahren wegen versuchten Mordes ein. Bürgerrechtler und der Journalistenverband sowie die Menschenrechtsorganisation Amnesty International zeigten sich entsetzt und forderten eine schnelle Aufklärung. Präsident Dmitri Medwedew erklärte via Twitter umgehend, Staatsanwaltschaft und Innenministerium sollten den Angriff auf den Journalisten aufklären: "Die Verbrecher müssen bestraft werden."

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Teile dieses Textes basieren auf dem Artikel Oleg Wladimirowitsch Kaschin aus der freien Enzyklopädie Wikipedia und stehen unter der Doppellizenz GNU-Lizenz für freie Dokumentation und Creative Commons CC-BY-SA 3.0 Unported (Kurzfassung).

25.07.2012, 18:02

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