Angriff ist die beste Verteidigung
Europa wankt in seinen Grundfesten. Die Eurokrise wütet ungehindert. Aber diese Krise ist nur ein Symptom einer viel tieferen Krise, einer Krise, mit der die EU seit langem ringt. Eine existentielle Krise. Eine komplexe Krise. Eine »Poly-Krise«, wie Edgar Morin es nennt: wirtschaftlich, demographisch, ökologisch, politisch und institutionell. Die neuen, aufstrebenden Märkte auf anderen Kontinenten holen uns rasend schnell ein, während wir kaum noch in der Lage sind, ausreichend Wachstum und Innovation zu schaffen. Gleichzeitig altert und vergreist Europa vor unseren Augen, während die Bevölkerung in anderen Weltteilen spektakulär wächst und sich rasend schnell verjüngt. Für die systemische Umwandlung unserer von den fossilen Brennstoffen versklavten Wirtschaft benötigen wir enorme finanzielle Mittel, die wir kaum mobilisieren können. Wenn es darauf ankommt, bleibt die Europäische Union ein uneiniger Kontinent, in siebenundzwanzig Brocken aufgeteilt, während wir unsere Interessen gleichzeitig mit immer mehr Nachdruck gegen wirtschaftliche und politische Großmächte vom Kaliber Chinas, Indiens, Brasiliens, Russlands oder der Vereinigten Staaten verteidigen müssen.
Kurzum: Europa bietet täglich mehr den Anblick einer alten, abgelebten Dame; ein marginalisierter Kontinent, der sich nur mit Mühe in einem neuen Zeitalter und einer neuen Welt zurechtfindet; ein Kontinent geschlagen mit nationaler Blindheit, ohne Ehrgeiz, ohne Ausstrahlung und ohne Hoffnung. Es ist dramatisch, dass all dies gerade der Europäischen Union zum Vorwurf gemacht wird. Es ist die Union, die uns die Eurokrise eingebrockt hat. Es ist die Union, die durch Einsparungen die Rezession verursacht hat. Es ist die Union, die verantwortlich ist für die Auswüchse der Globalisierung. Und es ist auch die Union, die ihre Bürger der Politik definitiv entfremdet hat. Das ist absurd! Unsinn! Die Mitgliedsstaaten tragen die volle Verantwortung für das heutige Debakel. Ihre Unfähigkeit hat in die Eurokrise geführt. Ihre Inkonsequenz hat eine Rezession verursacht. Durch ihre Blindheit sinkt Europa in einer Weltordnung ab, in der wir keine wesentliche Rolle mehr spielen.
Wie dem auch sei, nie zuvor war das europäische Projekt so stark unter Druck wie heute. Nie zuvor wurde öffentlich die Frage gestellt, ob es denn noch einen Sinn habe, mit der europäischen Einigung weiterzumachen. Nie zuvor wendeten sich die Bürger so zahlreich von der Vereinigung des europäischen Kontinents ab. Nie zuvor haben sich auch so wenige wichtige Politiker voll hinter das europäische Projekt gestellt, haben so wenige resolut eine europäische Vision entwickelt, die unerschrocken die europäische Zukunft für ihr Land und ihre Bevölkerung voranbringt. In die Ecke gedrängt durch die Eurokrise und durch den ältesten Feind Europas – das Europa der Nationalstaaten –, schwören sie im besten Fall auf den Status quo, auf das, was heute besteht. Nur macht die gegenwärtige »Poly-Krise« deutlich, dass dieser Status quo keinen Ausweg bietet. Entweder legen wir jetzt einen kräftigen Zahn zu auf dem Weg zu einem echten vereinigten und föderalen Europa – nicht zu einem zentralisierten Superstaat –, oder wir klammern uns weiterhin an den Nationalstaaten fest und verlieren damit unwiderruflich jede Hoffnung, in der globalisierten Welt des einundzwanzigsten Jahrhunderts eine maßgebliche Rolle zu spielen.
Nur ein Frontalangriff kann uns noch retten
Ein gezielter Angriff auf die tatsächliche Ursache dieser Krise: den Unwillen der Nationalstaaten, ein wirklich vereinigtes und föderales Europa zustande zu bringen. Oder besser gesagt: ihre mangelnde Bereitschaft, an so ein vereinigtes und föderales Europa mehr Macht zu übertragen. Die Realität von Europa ist ergreifend: Es ist der Egoismus der Mitgliedsstaaten, der jetzt den Kurs bestimmt, und nicht das gemeinsame europäische Interesse, nicht das Interesse aller Bürger und Völker Europas. Solange dieses nationale Eigeninteresse, dieser Egoismus überwiegt, kann Europa unmöglich gerettet werden. Um Europa einen neuen Elan zu verschaffen, müssen wir entschlossen die europäische Karte spielen. Die Karte eines Kontinents, der uns niemals zuvor so viel Wohlstand, so viel Frieden, so viele Rechte und so viele Perspektiven bot. Lass nicht zu, dass lediglich nationale Kalküle solche Perspektiven durchkreuzen. Und erinnere dich, dass, wie oben gesagt, Angriff die beste Verteidigung ist. Ein Angriff für mehr, nicht weniger Europa.
Die Wahl zwischen einem vereinigten Europa und einem zersplitterten, überholten Europa, dem Europa der Nationalstaaten. Verweigere dabei allzu träge Reformen. Dafür ist die Lage viel zu ernst. Fordere einen Quantensprung, einen großen Sprung in Richtung eines echten vereinigten und föderalen Europa. Winzige Schritte vorwärts sind wie Mäusegetrippel und werden weder die Bürger noch die Märkte überzeugen. Überzeugen kann nur ein anderes Europa, ein föderales Europa. Nicht das Europa von heute, das Europa der Nationalstaaten, das die Eurokrise seit nun schon fast drei Jahren wie einen Mühlstein um den Hals trägt. Ohne von Grund auf zu ändern, was verändert werden muss. Ohne den europäischen Bürgern und Völkern wieder Hoffnung und neue Perspektiven zu bieten.
Begreife, wie ernst die Bedrohung ist
Die Bedrohung betrifft zuerst alle Menschen und Firmen, die in einem der siebzehn Länder der Eurozone leben und aktiv sind. In Ländern, die ihren heutigen Wohlstand im Wesentlichen gerade dem Bestehen einer Einheitswährung zu verdanken haben. Eine Währung, die dafür gesorgt hat, dass finanzielle Hindernisse weggeräumt wurden, dass die Verluste mit unterschiedlichen Wechselkursen der Vergangenheit angehören, dass der europäische Handel einen unerhörten Aufschwung genommen hat. Das alles und noch viel mehr droht mit dem Verschwinden des Euro wieder verlorenzugehen. Eine wahre Katastrophe. Wie um Himmels willen konnte es so weit kommen? Was ist falsch gelaufen? Wann sind die Dinge aus dem Ruder gelaufen?
Sagen wir es offen: Die Erfinder des Euro und der Eurozone machten von Anfang an einen kapitalen Fehler. Sie unterzeichneten zwar um der Vorteile willen, die eine Einheitswährung mit sich bringt, aber über die Pflichten und die Verteilung der Lasten konnten sie sich nicht einig werden. Die Vorteile waren und sind noch immer die europäische Währungseinheit selbst, der Euro, die niedrige Inflation, die niedrigen Zinssätze. Die Verpflichtungen auf der anderen Seite verlangen aber nach einer strikt integrierten wirtschaftlichen und finanziellen Politik, einer Politik, die in allen Ländern des Euro dieselbe ist. Den Euro haben zu wollen ohne ein integriertes Europa aufzubauen ist ein Widerspruch, eine Unmöglichkeit. Das ist der Kern der heutigen Krise: Eine gemeinschaftliche Währung ist unvereinbar mit dem Fortbestehen der alten Nationalstaaten, zumindest in ihrer heutigen Erscheinungsform.
Entweder es resultiert daraus eine föderale Staatsgründung und ein postnationales Europa erblickt das Licht der Welt, oder die europäische Währung wird verschwinden. Es gibt keine Zwischenlösung. Du musst verstehen, dass das Auseinanderfallen der Eurozone auch das Todesurteil für die Europäische Union sein wird. Der Euro steht für drei Viertel des europäischen Bruttoinlandsproduktes. Wenn der Euro fällt, fällt auch die Union. Kurzum: Es ist die Zukunft von Europa selbst, die hier auf dem Spiel steht.
Achte, was uns vereinigt, nicht, was uns entzweit
Wisse, dass nur ein vereinigtes Europa in der Welt von morgen noch eine wesentliche Rolle spielen kann. Die Zukunft ist sonnenklar. Die Welt ist unverkennbar auf dem Weg zu einer historischen Vereinigung. Eine Welt mit sicherlich fünftausend lebenden Sprachen und Kulturen kennt doch weniger als zweihundert Staaten. Und diese zweihundert Staaten formen ein knappes Dutzend wirtschaftliche Großmächte und Interessenvereinigungen. Sie sind es, die das Los der globalen Ökonomie bestimmen sollten. Es waren europäische Mächte, die die ersten Schritte in Richtung Globalisierung unternahmen, indem sie allmählich gewaltsam von drei Viertel der Erdoberfläche Besitz ergriffen, indem sie dem Rest der Welt Demokratie und Rechtsstaatlichkeit vorspiegelten und indem sie sich zur ersten ökonomischen Großmacht der Welt entwickelten. In dem Augenblick, in dem in anderen Ländern die Idee von regionalen Zusammenschlüssen langsam Gestalt annimmt, rudert Europa zurück zum überholten Konzept des Nationalstaates.
Das ist ein strategischer Irrtum von Format. Es ist geradezu Selbstmord! Denn es ist töricht zu glauben, dass Nationalstaaten heute noch in der Lage sind, die wirtschaftlichen und finanziellen Belange ihrer Bürger zu vertreten und zu verteidigen. Innerhalb von nur fünfundzwanzig Jahren wird kein einziges europäisches Land mehr zu den Mächten zählen, die das Weltgeschehen bestimmen. Der Klub der reichsten Länder, die sogenannten G-8, wird dann aus den Vereinigten Staaten, China, Indien, Japan, Brasilien, Russland, Mexiko und Indonesien bestehen. Nicht ein europäisches Land, inklusive Deutschland, wird daran teilnehmen.
Allerdings ist sowohl heute als auch morgen ein starkes und vereinigtes Europa der mächtigste und wohlhabendste Kontinent der Welt; reicher als Amerika, mächtiger als alle neuen Imperien zusammen. Es gibt noch einen zweiten Grund, warum es ein fundamentaler Irrtum ist, die europäische Integration nicht zu beschleunigen, nämlich die rasend fortschreitende wirtschaftliche und finanzielle Globalisierung selbst. Seit der Finanzkrise 2008 wissen wir, dass die Globalisierung dringend ein politisches Gegengewicht braucht, um angemessen zu funktionieren. Nationale Kontrollinstanzen sind den Auswüchsen der multinationalen Finanzkonzerne nicht gewachsen. Sie operieren mit Lichtgeschwindigkeit in Finanzmärkten, die den gesamten Globus umspannen. Nur ein vereinigtes Europa kann am Entwurf einer neuen, weltweiten Wirtschafts- und Finanzregulierung federführend beteiligt sein.
Nur wenn Europa sowohl auf wirtschaftlichem als auch auf politischem Gebiet eine Einheit formt, haben wir eine Chance, unsere Werte und Prinzipien am Verhandlungstisch zu vertreten und entsprechende Lösungen zu finden. Wenn wir das nicht tun, dann werden die Interessen von Indien, China oder von anderen asiatischen Schwellenländern das Resultat bestimmen. Bis zu diesem Zeitpunkt hat die nordatlantische Welt das Ruder weltweit in Händen gehabt – mit guten und mit schlechten Resultaten. Das wird sich grundlegend ändern, besonders da Europa nicht imstande zu sein scheint, mit einer Stimme zu sprechen. Dann verschwindet aber nicht allein die nordatlantische Allianz, dann zerbröckelt auch der europäische Kontinent. Wenn wir stillstehen, werden wir ein unbedeutender Machtfaktor in einer Welt, die sich immer stärker um den Stillen Ozean schart. Kurzum: Ein wirtschaftlicher Gezeitenwechsel drängt sich auf. Sonst droht der Einfluss unserer zweitausendjährigen Kultur einfach weggefegt zu werden.
Erkenne deine Gegner
Wer nationale Interessen gegen die Interessen Europas und seiner Bürger stellt, macht einen fatalen Fehler. Die Globalisierung ist nicht umkehrbar. Und innerhalb der Globalisierung kann das Interesse der europäischen Bürger ausschließlich durch eine starke Europäische Union vertreten werden. Es ist wahr, dass die Globalisierung ein ganzes Spektrum an Möglichkeiten eröffnet. Es ist auch korrekt, dass ihre Dynamik schnell umschlagen und für Millionen zu einem Drama werden kann. Doch nicht die Globalisierung an sich ist problematisch, sondern unsere Unfähigkeit, sie zu begleiten und für unsere eigenen Zwecke zu nutzen. Noch mal: Es gibt keinen einzigen Grund, sich vor der Globalisierung zu fürchten. Anstatt zu versuchen, uns dagegen zu widersetzen, müssen wir die weltweite Vernetzung beeinflussen, begleiten, weiterbringen und ihr ein soziales, ökolo- gisches und politisches Gesicht geben.
Wir müssen mit einer sozialen, ökologischen und politischen Globalisierung anfangen, parallel zu der ökonomischen, kommerziellen und finanziellen Vernetzung, die wir schon kennen. Es ist ein unerträgliches Paradox, dass die politische Entscheidungsfindung in dieser Welt noch immer auf nationalen Staaten beruht, während weder der Weltmarkt noch die Finanzwelt Staatsgrenzen respektieren. Dieses Paradox kann nur aufgehoben werden, wenn wir auch die politische Entscheidungsfindung internationalisieren, mit anderen Worten eine alternative Globalisierung betreiben. Ein solcher Übergang hin zu einer global governance geschieht nicht von heute auf morgen. Wir müssen nicht gleich an eine Weltregierung denken.
Aber es ist absolut denkbar, die notwendigen politischen Entscheidungen auf Weltniveau vorzubereiten und sie dann in einem weltumspannenden Netzwerk von großen Staaten und kontinentalen Kooperationsgemeinschaften zu beschließen. Ob es nun um die G-8 oder die G-20 geht, den Weltsicherheitsrat der Vereinten Nationen oder den International Monetary Fund, die großen Länder müssen mit den wichtigsten internationalen Organisationen zusammenarbeiten und könnten so eine Vorhut bilden, die einen politischen Rahmen setzt, innerhalb dessen sich die Globalisierung weiterentwickeln soll. Es ist an der Europäischen Union, hier den Weg zu weisen. Es ist nicht schwierig. Im Gegenteil. Es wäre sehr einfach, die Sessel, die verschiedene EU-Mitgliedsstaaten in diesen Organi- sationen einnehmen, zu Plätzen für Abgeordnete der gesamten Union umzuwidmen: im UN-Sicherheitsrat, in der Weltbank, beim Internationalen Währungsfonds (IWF) und in allen anderen internationalen Organisationen.
Dass es auch sechzig Jahre nach dem Zustandekommen der Europäischen Union noch immer Länder wie Frankreich und Großbritannien gibt, die das nicht einsehen wollen, ist erbärmlich. Beide klammern sich noch immer krampfhaft an überholte Rechte und Privilegien, ohne wirklich zu verstehen, dass sie keine wichtige Rolle mehr spielen. Ein »Krampf« von extremer Kurzsichtigkeit, denn so bringen sie die Europäische Union um die historische Chance, ihren Größenvorteil voll auszuspielen und aktiv Einfluss auf das Weltgeschehen auszuüben.
Blicke nach vorne, nicht zurück
Denk daran, wie die Welt in zwanzig oder dreißig Jahren aussehen wird, und nicht, wie sie vor zwanzig oder dreißig Jahren ausgesehen hat. Seit 1927 hat sich die Weltbevölkerung verdreifacht. Zwei Milliarden sind zu sieben Milliarden geworden. In vierzig Jahren sind es sicher zehn Milliarden Menschen. Eine ähnlich revolutionäre Umwälzung ist, dass inzwischen die Hälfte aller Menschen in urbanen Agglomerationen lebt und dass es bis zum Ende die- ses Jahrhunderts sicherlich an die drei Viertel sein werden. Wir sind Zeugen einer doppelten demographischen Revolution ohne historische Parallele. Niemals zuvor gab es auf der Erde so viele Städte, mit allen Folgen für den inakzeptablen Kontrast zwischen Reich und Arm, für Arbeitsplätze und Ernährungsversorgung, für Bildung und Gesundheit, für unseren Energiebedarf und unsere Mobilität, für die Sicherheit aller, für alles, was wir produzieren und konsumieren, für die Umwelt und für die drohende Klimaveränderung. Die meisten Probleme, mit denen die Menschen in der nahen Zukunft um- gehen müssen, werden weltumspannend sein.
Was Menschen und Völker tun oder lassen, wird immer nachdrücklicher Auswirkungen auf den gesamten Planeten haben. Bei der Lösung dieser weltumspannenden Herausforderungen werden individuelle Staaten kaum noch zählen, wenn sie nicht die Größe von China, Indien, Amerika und Russland haben – eigentlich Imperien, die viele Länder in sich vereinigen. In der Welt von morgen spielen einzelne europäische Länder keine signifikante Rolle mehr, nur Europa oder die Europäische Union können das. Natürlich: wenn es uns gelingt, am selben Strang zu ziehen, wenn es uns gelingt, mit einer Stimme zu sprechen.
Aber es steht mehr auf dem Spiel
Mehr Europa ist nicht nur notwendig, um eine Chance zu haben, den planetaren Problemen auf den Leib zu rücken, sondern auch um, koste es, was es wolle, unsere Position in der Welt sicherzustellen, unsere Lebensweisen zu bewahren, wie unterschiedlich voneinander sie auch sein mögen. Mehr Europa ist die einzige Garantie, um unseren Wohlstand, unsere sozialen Errungenschaften und unsere kulturelle Diversität zu bewahren. Die politische Realität sieht allerdings so aus, dass wir Gefahr laufen, erworbene Rechte zu verlieren, weil wir nicht imstande sind, adäquate Antworten auf die Herausforderungen von heute zu formulieren. In der Politik führt Trägheit immer zu Rückschritten, zum Verlust dessen, was uns am kostbarsten ist. Viele sind vom Gegenteil überzeugt. Sowohl »rechts« als auch »links« ist es in Mode gekommen, die Souveränität des Nationalstaats anzubeten. Man hält sich an Vorstellungen von früher fest, wo souveräne Staaten die beste Garantie gegen soziale Unsicherheit waren. Menschen werden arbeitslos, ver- lieren ihre Unterstützung, werden ihrer Anstellung beraubt oder leben am Rand der Gesellschaft, die für die Kosten der Globalisierung zahlen muss.
Dem gegenüber steht der Nationalstaat, der als Hafen des Friedens und des Wohlstandes verherrlicht wird. Ein geschützter Raum, der neben Erziehung und Bildung auch ein Einkommen und eine soziale Sicherung garantiert. Von dieser Seite wird die Europäische Union an den Pranger gestellt und als eine Art fünfte Kolonne gebrandmarkt, die versucht, die Bürger einer Wirtschaftsordnung zu unterwerfen, und die den sozialen Zusammenhang völlig zerstört. Aber dieses Argument verkennt den eigentlichen Feind. Wie verständlich ihre Kritik an der Entwicklung der Welt und der Gesellschaft auch sein mag – die Lösungen, die sie anbieten, sind am wenigsten dazu geeignet, diese Probleme zu lösen. Wie die alten Nationalstaaten nicht imstande waren, die Auslagerung von Arbeitsplätzen zu verhindern, sind sie auch völlig außerstande, in der globalisierten Welt von morgen unsere sozialen Errungenschaften zu sichern. Das sieht man täglich. In Griechenland. In Portugal. In Spanien. Nur die Europäische Union kann Strategien entwickeln, um soziales Dumping zu bekämpfen, die sozialen Rechte aller europäischen Bürger zu garantieren und die Armut zu besiegen. Nur Europa kann die BRICS-Staaten (Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika) und andere wachsende Ökonomien auf dieser Erde dazu bringen, ihrerseits unverzichtbare ökologische und soziale Normen zu achten, ohne die das Leben auf diesem Planeten unerträglich wird. Es ist absurd zu behaupten, dass wir die Ereignisse dieser Welt außerhalb unserer nationalen Grenzen halten können. Dass wir eine Mauer um unsere Länder errichten können. So eine Mauer gibt es nicht und kann es auch nie geben. Nur ein starkes und vereinigtes Europa, das im globalen Wettbewerb mit den gleichen Waffen ausgerüstet ist, kann sowohl seine Bürger schützen als auch seine demokratischen, sozialen und kulturellen Errungenschaften. Nur in einem postnationalen Europa sind wir imstande, die Ideale von Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit dauerhaft zu verankern.