Recht und Geld

Leseprobe "Und stellten fest, dass die Kirche der Träger des Kindergartens ist, dass sie Personal aussucht, ihm kündigt und sich bevorzugt für katholische Kinder entscheiden kann, dass sie ihn aber gar nicht finanziert."
Recht und Geld

Foto: John MacDougall/AFP/Getty Images

Einleitung

Im Sommer stellt Udo Maria Schiffers sein Motorrad immer direkt vor das Pfarramt. Es ist eine silbergraue BMW. Ravenna, Venezia, Rom: Die schon verblassenden Aufkleber zeigen, wo der Pfarrer seine Urlaubszeit verbringt. Wenn die Maschine da ist, ist auch er im Lande. Das Pfarrgebäude ist ein düsteres Haus, mit schwarzen Schieferplatten verkleidet. Was auch eine große Jagdhütte sein könnte, beherbergt in Königswinter-Ittenbach die Pfarrbücherei, das Pfarrbüro und Udo Maria Schiffers selbst. Als er die Tür öffnet, muss er sich fast bücken. Der Pfarrer ist ein Mann mit ruhigem Gang, in zwei Jahren wird er siebzig. Er bittet herein und führt vorbei am Tisch der Pfarrsekretärin, die schon Feierabend hat, in ein Hinterzimmer. Ein Kopierer für den Pfarrbrief steht dort, an der Wand ein Jesusbild. Gottes Sohn mit erhobenem Zeigefinger in leuchtenden Farben. »Ich schwinge gerne mal selbst den Pinsel«, erzählt der Pfarrer, bevor er sich an den Tisch setzt und die Nickelbrille putzt. Die Stühle kennt man aus Jugendherbergen: helles, massives Holz mit violetter Lehne. Der Vorhang war mal weiß. Über dem Kopierer hängen vier goldene Heiligenfiguren. »Sie saß genau da«, sagt Pfarrer Schiffers und zeigt auf die gegenüberliegende Tischseite. Er meint Bernadette Knecht, die Kindergartenleiterin des Nachbarortes Rauschendorf. Pfarrer Schiffers war ihr Vorgesetzter, er hat sie entlassen.

»Was sie getan hat, ist zunächst einmal der objektive Tatbestand des Ehebruchs«, sagt Pfarrer Schiffers und schaut kurz auf. Er möchte genau erklären, warum er sich für die Kündigung entschieden hat. »Die Ehe ist für uns Katholiken ein Abbild der Treue Gottes zu den Menschen und deshalb ist sie uns heilig und bis zum Lebensende bindend.« Wer die Ehe bricht, der kann kein gutes Vorbild mehr sein, sicher keinen Kindergarten leiten, keine Personalverantwortung tragen. So sieht es Pfarrer Schiffers. So sagt es das kirchliche Arbeitsrecht. Deshalb die Kündigung.

Nur wenn Bernadette Knecht einen richtig guten Tag hat, muss sie nicht weinen, wenn sie von dem Gespräch im Pfarrzimmer erzählt. Auch heute noch erinnert sie sich an jedes Detail. Neun Jahre lang hatte sie den Kindergarten in Rauschendorf geleitet, dann sollte sie gehen. Sie hat die kinnlangen blonden Haare hinter die Ohren gestrichen und trägt einen strahlend weißen Pullover, unter dem ein Blütenhemd hervorlugt. Bernadette Knecht ist eine sportliche Frau, doch heute liegen ihre Hände so müde auf ihren Oberschenkeln, als gehörten sie nicht zu ihr. Sehr genau erinnert sie sich daran, wie sie zu Pfarrer Schiffers ins Pfarrbüro gegangen ist, um sich Rat zu holen. »Die Entscheidung, meinen Mann zu verlassen, ist mir sehr schwergefallen – überhaupt mit dieser Situation umzugehen«, erzählt sie. »Wir waren eine Familie. Zwar sind die Kinder aus dem Haus, aber trotzdem ist auf einmal nichts mehr so, wie es vorher gewesen ist. Die Akzeptanz der Familie ist natürlich auch nicht da, wenn man geht. Damit bin ich überhaupt nicht fertiggeworden. Ich hatte ein schlechtes Gewissen. In dieser Situation dachte ich, der Pfarrer hilft mir. Aber mit dem, was dann passiert ist, habe ich nicht im Traum gerechnet.« Bernadette Knecht zieht die Augenbrauen hoch, aber die Tränen kommen trotzdem. »Ich kann es gar nicht beschreiben«, formuliert sie leise. »Pfarrer Schiffers Worte waren: ›Es tut mir leid, Frau Knecht, Sie sind ein schädliches Ärgernis und daher müssen Sie gehen.‹« Bernadette Knecht atmet einmal tief ein. »Ich habe gedacht: Er ist doch nicht nur mein Arbeitgeber, sondern auch Seelsorger und wir werden schon eine Lösung finden. Aber er blieb dabei. Am Ende habe ich nur gesagt: ›Sie können mich hinauswerfen, aber ich weiß, Gott wird auf meinen Wegen sein.‹ Und der Pfarrer antwortete: ›Da seien Sie sich nicht so sicher.‹ Und damit war das Gespräch beendet.«

Pfarrer Schiffers runzelt die Stirn. »Natürlich darf sie denken, darf sie glauben, dass Gott weiter auf ihrer Seite ist. Aber, und das habe ich ihr auch gesagt, wir müssen in schwierigen Lebenssituationen aufpassen, dass wir uns nicht ein Gottesbild zurechtzimmern, wie es uns gerade passt. Eine Ehe soll die Treue Gottes zu den Menschen widerspiegeln, sichtbar machen. Und wenn eine Kindergartenleiterin das nicht mehr zeigen kann, ist das ein schädliches Ärgernis. Dann muss sie gehen.«

Bernadette Knecht ist eine von Hunderttausenden Menschen in Deutschland, die in öffentlichen Einrichtungen für die Kirche arbeiten. In Kindergärten, Schulen, Krankenhäusern und Altenheimen. Wie jeder kirchliche Angestellte hat sie mit ihrem Arbeitsvertrag unterschrieben, dass sie sich an die Regeln ihres Arbeitgebers zu halten hat. Dass sich die Einrichtung, in der sie arbeitet, als Teil der Kirche begreift und ihrem »Sendungsauftrag« dient. Dass sie als katholische Mitarbeiterin nicht nur die Grundsätze der katholischen Glaubens- und Sittenlehre anerkennt und beachtet, sondern dass sie auch ihr eigenes Leben im Sinne dieser Grundsätze führen wird, um die Glaubwürdigkeit der Kirche nicht zu gefährden. Aber dann zerbrach ihre Ehe. Sie zog aus, verliebte sich und zog zu ihrem neuen Partner. Ein Verstoß gegen die Loyalität zu ihrem Arbeitgeber, entschied die katholische Kirche und kündigte ihr, wie anderen Angestellten zuvor. Weil sie neu geheiratet, sich offen zu ihrer Homosexualität bekannt oder ein uneheliches Kind bekommen hatten. All das widerspricht der Glaubens- und Sittenlehre der Kirche.

Bernadette Knecht ist also eine von vielen – und zugleich auch nicht. Denn in ihrem Fall gab es nicht nur sie und die Kirche, sondern auch Eltern, die sie unbedingt als Kindergärtnerin halten wollten. Denen ihre neue Beziehung egal war, weil sie ihre Arbeit so schätzten. Die für Bernadette Knecht stritten, die Kündigung rückgängig machen wollten und dabei etwas Überraschendes feststellten: dass die Kirche der Träger des Kindergartens ist, dass sie Personal aussucht, ihm kündigt und sich bevorzugt für katholische Kinder entscheiden kann, dass sie ihn aber gar nicht finanziert. Und dass das kein Einzelfall ist. Dieses Buch begleitet die Eltern und Bernadette Knecht auf der einen und die Kirchenvertreter auf der anderen Seite durch ein besonderes Jahr. Es erzählt eine Geschichte, die wie eine Parabel für das Verhältnis zwischen Kirche und Staat steht; sie handelt von Konflikten, die Hunderttausende Menschen erleben – in konfessionellen Krankenhäusern, Schulen oder Altersheimen. Der Fall von Bernadette Knecht und zahlreiche Beispiele aus dem ganzen Land erläutern, welche Sonderrechte die Kirche hat und wie sie begründet werden, was das für die Mitarbeiter bedeutet und für die Gesellschaft – und wer für dieses Modell bezahlt.

[...]

3.

Steuern für Gott

Woher das Geld kommt

Zurück in der Elternrunde im Herbst 2012. Bei Peer Jung klingelt das Telefon, die Eltern unterbrechen kurz das Gespräch. Nach einer Minute ist er wieder am Tisch. »Entschuldigung, da musste ich kurz rangehen. Hätte ja der Bischof sein können«, lacht er und berichtet dann, was in Rauschendorf passiert ist, nachdem die Gesprächsversuche mit der Kirche gescheitert waren. »Tatsächlich haben wir erst gedacht, wir können die Kirche mit unseren Argumenten überzeugen. Aber als wir so nicht weiterkamen, haben wir uns besser informiert.« Als die Eltern im Herbst 2011 anfangen, sich näher mit ihrem Kindergarten zu beschäftigen, erfahren sie schnell ein entscheidendes Detail: Zwar ist die katholische Kirche Träger der Einrichtung und trifft deshalb die Personalentscheidungen. Doch sie gibt finanziell überhaupt nichts zum Kindergarten dazu. Es zahlen: das Land, die Kommune und die Eltern selbst. Zu einhundert Prozent. »Plus zwei Prozent Verwaltungspauschale, also einhundertzwei Prozent!«, konkretisiert Peer Jung. Auch das Gebäude gehöre der Stadt. Die Kirche habe lediglich das Gehalt für eine Praktikantenstelle bezahlt. Sie sei schon sehr überrascht gewesen, fügt Alice Ernst an. »Ich dachte ursprünglich, ein katholischer Kindergarten wird auch aus unserer Kirchensteuer finanziert.« Inzwischen wissen sie und die anderen Eltern, dass das nicht so ist. Kein Kindergarten, keine Schule, kein Krankenhaus, kein Altenheim in Trägerschaft der christlichen Kirchen und ihrer Wohlfahrtsverbände wird zum Hauptteil aus der Kirchensteuer finanziert. Stattdessen zahlt die Allgemeinheit und damit auch all diejenigen, die nicht Mitglied einer Kirche sind. Wie kommt das?

Es gibt sehr wenige Menschen, die sich mit der Zuwendung staatlicher Gelder an kirchliche Einrichtungen ausführlicher beschäftigt haben als Carsten Frerk. Der bekennende Atheist arbeitet als Politikwissenschaftler, Publizist und Dozent in Berlin. 2009 fuhr er mit einem Bus durch Deutschland, auf dem stand: »Es gibt mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit keinen Gott«. Mit dieser Kampagne warben er und andere Atheisten dafür, dass nicht religiöse Menschen in öffentlichen Debatten mehr Raum bekommen. »Kirchenkritiker« möchte Carsten Frerk trotzdem nicht genannt werden, lieber »Demokratiekritiker«. Vor allem aber hat Carsten Frerk das »Violettbuch Kirchenfinanzen« geschrieben. Auch wenn es im Internetauftritt der evangelischen Kirche heißt: »Das ist eine Streitschrift und kein Sachbuch«, kommen die Vertreter der Kirchen nicht umhin, Frerks Rechercheleistung anzuerkennen. »Er ist ein kundiger Mann«, sagt der Finanzchef der evangelischen Kirche in Deutschland, Oberkirchenrat Thomas Begrich, über ihn. Carsten Frerk kommt gerade vom Sommerfest eines Kleingartenvereins in Berlin. Das Thema Kirchenfinanzen reizt ihn mehr. Monate und Jahre haben Carsten Frerk und seine Kollegen über Haushaltsplänen gebrütet, um eine Übersicht der öffentlichen Mittel zu erstellen, die jedes Jahr an die Kirchen gehen. Während seine Freunde im Schrebergarten ohne ihn feiern, berichtet Carsten Frerk von seinen Recherchen: »Ein Beispiel: Die größten kirchlichen Arbeitgeber, die Wohlfahrtsverbände Caritas und Diakonie, finanzieren sich fast ausschließlich aus Mitteln des Sozialstaates«, berichtet Frerk. »Sie haben im Jahr etwa fünfundvierzig Milliarden Euro Kosten. Davon finanziert die Kirche achthundert Millionen Euro selbst. Das sind knapp zwei Prozent.« Zwei Prozent für die eigenen Wohlfahrtsverbände und ihre Krankenhäuser, Kindergärten, Sozialstationen, Weiterbildungsangebote. Gerade in diese Bereiche, die vor allem die Allgemeinheit betreffen, bringt die Kirche also kaum Eigenkapital, kaum Kirchensteuer ein. Die großen Kirchen widersprechen dieser Zahl nicht. »Die Schätzung kann ich bestätigen«, sagt Finanzchef Begrich von der evangelischen Kirche.

Wer die Liste der Einrichtungen durchgeht, die die Kirche mit öffentlichen Geldern betreibt, kommt ins Grübeln. Caritas und Diakonie werden zu achtundneunzig Prozent vom Staat finanziert, christliche Kindergärten zu über neunzig Prozent, öffentliche Konfessionsschulen zu hundert Prozent, private bis zu achtzig, wobei die fehlenden Prozente vor allem durch das zusätzliche Schulgeld der Eltern ausgeglichen werden. Der Religionsunterricht an staatlichen Schulen wird zu gut neunzig Prozent, die theologischen Fakultäten an den Universitäten zu einhundert Prozent gefördert. Sogar die Kirchentage werden zu mehr als fünfzig Prozent staatlich finanziert. Auch die Gefängnisseelsorge wird zu einhundert Prozent vom Staat bezahlt. Genauso wie die christliche Soldatenseelsorge innerhalb der Bundeswehr. Die evangelischen oder katholischen Seelsorger werden für diese Zeit sogar vom kirchlichen Dienst freigestellt und sind dann bis zu sechs Jahre lang offiziell Bundesbeamte. Die Auslandsarbeit wird zu etwa fünfundsechzig Prozent mit öffentlichem Geld unterstützt. Etwa dreißig Prozent kommen in diesem Fall über Spenden dazu. Nur knapp fünf Prozent sind eigene »kirchliche Haushaltsmittel«. Darüber hinaus gibt es noch die direkten Staatsleistungen, die die Kirchen ohne Gegenleistung bekommen: insgesamt über fünfhundert Millionen Euro an Länderzuschüssen im Jahr. Dabei handelt es sich um Pachtersatzleistungen, die ihre Ursache in staatlichen Enteignungen kirchlicher Ländereien vor 1918 haben. Die Kirchen geben dieses Geld für Gebäude und Personal aus, die Katholiken bezahlen damit unter anderem die Bischofsgehälter. Seit Gründung der Bundesrepublik hat die Bundesregierung den Auftrag, diese Leistungen abzulösen. In dem entsprechenden Artikel 138 Absatz 1 der Weimarer Reichsverfassung, der mit Artikel 140 ins Grundgesetz übernommen wurde, heißt es: »Die auf Gesetz, Vertrag oder besonderen Rechtstiteln beruhenden Staatsleistungen an die Religionsgesellschaften werden durch die Landesgesetzgebung abgelöst. Die Grundsätze hierfür stellt das Reich auf.« Ob die Zahlungen einfach eingestellt oder mit einem bestimmten Betrag abgegolten werden, ist also die Entscheidung der Bundesregierung. Staatskirchenrechtler diskutieren seit Jahren über die Modalitäten, aber nichts passiert. Klar ist nur, dass durch die ausstehende Entscheidung allein zwischen 1949 und 2010 eine Summe von 13,9 Milliarden Euro an Länderzuschüssen für die Kirchen zusammengekommen ist. Allein 1,4 Milliarden Euro davon kamen nach 1991 aus den ostdeutschen Bundesländern dazu, die nach der Wiedervereinigung sogar noch neue Verträge mit den Kirchen geschlossen haben.

Etwa zehn Milliarden Euro nehmen die beiden großen christlichen Kirchen jedes Jahr selbst an Kirchensteuer ein. Davon bezahlen sie vor allem ihre Priester und Pfarrer, die Mitarbeiter im kirchlichen und seelsorgerischen Dienst sowie die Instandhaltung der Kirchengebäude. Weniger als zehn Prozent des eigenen Geldes fließt tatsächlich abseits der Seelsorge in öffentliche soziale Einrichtungen. Für die restlichen über neunzig Prozent kommen Bund, Länder, Kommunen und Sozialversicherungsträger auf. Für die Kindergärten, erklärt Carsten Frerk, gäben die Kirchen noch mit am meisten vom eigenen Geld aus. »Wer aber davon ausgeht, dass die Kirche einen Kindergarten, auf dem ›katholische Kirche‹ steht, auch aus der Kirchensteuer eigenständig finanziert, der täuscht sich.« Wie kann es sein, dass der Kindergarten zwar zum größten Teil aus öffentlichem Geld bezahlt wird, aber die Kirche dort allein über Organisation und Personal bestimmt? Grundsätzlicher formuliert: Sind Staat und Kirche in Deutschland nicht eigentlich voneinander getrennt? Die Antwort auf diese letzte Frage findet sich im Grundgesetz. Oder eben nicht, denn es gibt dort keinen Hinweis darauf, dass Staat und Kirche, wie etwa in Frankreich, völlig getrennt voneinander handeln sollen. In Artikel 140 heißt es: »Es besteht keine Staatskirche«. Das bedeutet zwar, dass Staat und Kirche auf institutioneller Ebene getrennt voneinander agieren sollen. Aber eine strikte Trennung im Sinne einer vorgeschriebenen Distanzierung gibt es nicht. Vielmehr wirken Staat und Kirche freiwillig zusammen. Eine Kooperation ist gewollt, die Kirche übernimmt soziale Aufgaben für die öffentliche Hand. Je nachdem ob man mit Kritikern oder Befürwortern dieser Praxis spricht, ist von »hinkender Trennung« oder »guter Partnerschaft« die Rede. Diese besondere Partnerschaft zwischen Staat und Kirche funktioniert auf der Ebene der sozialen Einrichtungen folgendermaßen: Der Staat finanziert seine eigenen Aufgaben wie Kinderbetreuung, Bildung und Krankenpflege, lässt sie aber von den Kirchen ausführen. In diesem Zusammenhang spielt das sogenannte »Subsidiaritätsprinzip« eine Rolle. Es besagt, dass die Kommune von eigenen Angeboten absehen soll, wenn die Aufgabe von freien Trägern erfüllt werden kann. Die Idee dahinter: Gesellschaftliche Aufgaben sollen nicht zuerst vom Staat, sondern in eigenverantwortlichem Handeln von gesellschaftlichen Gruppen gelöst werden. Im konkreten Fall wird etwa die staatliche Verpflichtung, Kindergartenplätze bereitzustellen, von freigemeinnützigen Trägern übernommen, die dafür vom Staat finanziell unterstützt werden. 1961 wurde das Prinzip ins Bundessozialgesetz aufgenommen, es gilt damit auch für Kirchen als Träger öffentlicher Sozialeinrichtungen. Sie profitieren besonders: Die kirchlichen Wohlfahrtsverbände Caritas und Diakonie sind die größten freien Träger in Deutschland. Dies sei auch der Grund dafür, dass es um so hohe Summen gehe, erklärt Thomas Begrich, der Finanzchef der evangelischen Kirche. Sie würden ausgezahlt in Form von Fördermitteln und Zuschüssen von staatlichen und kommunalen Stellen sowie von anderen öffentlich-rechtlichen Körperschaften wie Zweckverbänden, Wohlfahrtsverbänden, Rentenversicherungsanstalten und Krankenkassen. Wichtig dabei sei aber: Dieses Geld bekämen die Kirchen nicht für sich selbst, sondern für Leistungen, die der Allgemeinheit dienen. Das Problem an dieser Kooperation: Der Staat kauft sich mit der Kirche als Träger seiner Aufgaben Sonderregelungen mit ein, die in der heutigen Zeit an ihre Grenzen stoßen. Der Nachwuchs, der heute Erzieher, Arzt, Lehrer oder Altenpfleger werden will, ist vielleicht gar nicht mehr dazu bereit, seine Arbeit im christlichen Auftrag zu verrichten und sich auf die besonderen Arbeitsbedingungen der Kirchen einzulassen. Die Kirche ist eben kein freier Träger wie alle anderen, wie die Arbeiterwohlfahrt oder das Deutsche Rote Kreuz. Sie stellt besondere Anforderungen an ihre Mitarbeiter und ihr großer Einfluss auf öffentliche soziale Einrichtungen wird mehr und mehr dort zum Problem, wo die Angestellten ihr Leben nicht mehr so gestalten, wie die Kirche es ihnen vorgibt.

Das zeigt sich kurz vor Weihnachten 2011 in Rauschendorf. Je mehr die Eltern über die Finanzierung ihres Kindergartens erfahren, desto deutlicher wird ihr Ton. Das belegt ein letzter Brief an den Pfarrer und die Kirchenvorstände. Die Eltern schreiben an Udo Maria Schiffers, dass ein Großteil der Kinder im Kindergarten nicht katholisch sei, und empfehlen ihm, den tatsächlichen Bedarf an katholischen Kindergartenplätzen zu ermitteln. Es gebe zurzeit sechs katholische Kindergartengruppen in Königswinter. »Wir sind sicher, dass die Bedarfsermittlung ergeben wird, dass ein einziger katholischer Kindergarten vollkommen ausreichend ist.« Weiter heißt es: »Die Elternschaft sieht keine Möglichkeit mehr, mit dem Träger weiterzuarbeiten. Es gibt keine gemeinsame Basis. Wer die konkreten Interessen der Bürger, Kinder und Eltern einem abstrakten konfessionellen Prinzip opfert, sollte sich aus der weltlichen Kindererziehung zurückziehen.« Noch einmal bitten sie die Kirchenvertreter, von sich aus zu gehen. »Wir haben Angst vor der Möglichkeit, dass wieder eine Mitarbeiterin unverschuldet in eine ähnliche Situation kommt, die zu kirchenrechtlichen Konsequenzen führt, obwohl ihr fachlich nichts vorzuwerfen ist. Vor dem Hintergrund, dass die Finanzierung des Kindergartens ausschließlich durch die Stadt und die Elternschaft erfolgt, halten wir ein Minimum an Einflussnahme für sachgerecht.« Es wird nur noch ein paar Wochen dauern, bis die Eltern feststellen werden, dass sie mit diesen Argumenten auf dem richtigen Weg sind – nur noch nicht beim richtigen Ansprechpartner.

10.01.2013, 09:53

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