»Döner-Morde«: Warum?
Es ist ungefähr so, als wären zehn Deutsche im Londoner East End über die Klinge gesprungen und die englische ›Sun‹ titelte: »Die Opfer-Krauts«. Oder nehmen wir an, zehn deutsche Touristen würden in Antalya ermordet, und die zuständige Kommissariatseinheit hieße: »Soko Kartoffelmorde«. Die französische ›Le Monde‹ schriebe: »Les Nanas Nazi – zehn deutsche Au-pair-Mädchen erwürgt.« Und wenn in Neukölln der nächste Deutsche ins Gras beißt, wird der türkische Täter mit folgender Zeile zitiert: »Hab isch Kartoffelmus gemacht.«
Geht’s noch?
Andererseits ist der Döner tatsächlich so etwas wie ein Synonym für deutsche Türken, denn er stammt ja nicht aus der Türkei, sondern wurde genuin in Berlin-Kreuzberg geboren. Er ist wie wir, und er ist aus diesem Land nicht mehr wegzudenken.
In allen Städten, in denen ich war, gibt es Döner-Läden. Ich bin landauf und landab gereist, ich habe nette kleine Dörfchen und Altstädtchen gesehen, Fachwerkfassaden und jahrhundertealte Stadtbilder, und darin immer einen oder mehrere Döner-Läden entdeckt.
Deutschland ist dönerisiert
Man kann sagen: Deutschland ist dönerisiert. Istanbul-Döner in Wittlich? Döner-Station in Erbach? Dönerland in Bingen? Irgendwie passt er da aber nicht hinein. Irgendwie zerstört der Döner-Laden in der Marburger Altstadt dieses liebliche Bild. Er ist und bleibt ein Fremdkörper. Meist befindet er sich direkt neben einer Spielhalle, die noch weniger dorthin passt. Das wirkt wie ein Windpark im Naturschutzgebiet Lüneburger Heide, eine Currywurst-Station vor der Hagia Sofia oder Eisbein und Sauerkraut in Trabzon am Schwarzen Meer.
Döner-Land
Der Döner-Laden hat sich in diesem Land verbreitet wie eine gemeine Flechte, und sie zeigt die seltsamsten Auswüchse. Ein Freund von mir erfand in Hamburg den Fisch-Döner. Er brachte es seinerzeit mit dem Fisch-Döner über Nacht zu lokaler Größe. Dergestalt erfolgreich geworden, kreierte er mit seinem Geschäftspartner in Hamburg die sogenannten Krall-Partys. Das waren Partys, die vor allem von türkischen und kurdischen Einwanderern gut besucht und bald bundesweit in ähnlicher Art gefeiert wurden, da die Türken ja zu dieser Zeit in die meisten Diskotheken nicht hineingelassen wurden. Also veranstaltete man eigene VIP-Partys, bei denen die halbstarken Jugendlichen aber genauso wenig Einlass fanden wie in die Diskos der Bio-Deutschen.
Es herrschte zum Beispiel Damen-Zwang, und die Musik war rein türkisch. Dort sah man im VIP-Bereich an fast allen Abenden die Honoratioren der großen Döner-Produzenten. Es gab (und gibt) eine regelrechte Döner-Society, eine »Döneria«, eine illustre Gesellschaft meist älterer Herren, die sehr oft des Deutschen wenig mächtig sind, aber schon mal einige Fünf-Sterne-Hotels in Antalya besitzen. Damals habe ich meinen Freund belächelt. Aber wär ich doch bloß auch auf den Döner gekommen.
Natürlich gab es den einen oder anderen Döner-Krieg. Ich kannte einen Döner-Laden in der Nähe der Hamburger Uni am Dammtor. Dieser Laden lief derart bombastisch, dass gleich drei oder vier Döner-Läden in direkter Nachbarschaft eröffneten. Sofort brach ein erbitterter Preiskrieg aus, bis der Döner an der Uni sagenhafte 99 Cents kostete. Einen ähnlichen Preiskrieg kennen wir auch aus Berlin.
Im Zuge der Dönerisierung Deutschlands kam es schon mal zu Schlägereien, Messerstechereien, Schießereien und, schlimmer noch, ganzen Familienfehden. Natürlich war ein Döner-Laden-Besitzer nicht glücklich darüber, wenn ihm ein anderer direkt nebenan oder vis-à-vis Konkurrenz machte.
Mehr Spielautomaten als Fleischtaschen
Heute halten sich die meisten Döner-Läden mehr mit Spielautomaten denn mit Fleischtaschen über Wasser. Viele sind international geworden und haben ihr Sortiment erweitert. Sie braten Currywürste, backen Pizzen und verbünden sich mit Chinesen, die Chop Suey über denselben Tresen schieben. Nicht zuletzt ist der Döner heute auch ein Export-Schlager im Range von BMW oder Microsoft. Von Berlin-Kreuzberg trat der Döner seinen Siegeszug an.
Nicht nur Deutschland, ganz Europa ist dönerisiert. Es gibt Döner in Spanien, Italien, der Schweiz, Österreich, Holland, auf Ibiza und in England. Der Döner ist derzeit im Ostblock auf dem Vormarsch, und es wird nicht lange dauern, bis er den Ural überschreitet und in Sibirien wie in den mongolischen Republiken Fuß fasst.
Mein anatolisches Herz schlägt schneller, wenn ich mir überlege, dass die ursprüngliche Form der Fleischtasche, die griechische Schweinefleisch-Pita, praktisch am Aussterben ist. Wieder mussten die Griechen eine empfindliche Niederlage hinnehmen. Langsam tun sie mir leid.
Hierzulande hängen inzwischen Hunderttausende Ar- beitsplätze und ganze Communities am Dönerspieß. Aber- tausende Familien hängen davon ab. Als der Gammeldöner- fleischskandal hochkochte, musste man um Deutschland bangen. Ich bin mir nicht sicher, ob der eine oder andere Chefredakteur nicht von der Kanzlerin persönlich um ein Einsehen gebeten wurde. Hätte sich der Skandal noch länger hingezogen, wären womöglich die Staatsfinanzen ob der zu erwartenden Mehrausgaben im Sozialbereich zusammengebrochen.
Stichwort »Döner-Konferenz«
Im Zuge dieses Skandals schlossen sich unter dem Stichwort »Döner-Konferenz« allerlei Produzenten, Lieferanten und Ketten zu einem Konsortium zusammen, das fürderhin Preise, Qualität, Handel sowie innovative Ideen koordinieren sollte. Leider ziehen nicht immer alle in diesem Konsortium am selben Strang, was dessen Handlungsfähigkeit ein wenig einschränkt. Aber schließlich sind sie alle Teil der bundesweiten Bussi-Bussi-Döneria.
Ich persönlich erinnere mich gern an das Fernsehbild, als Angela Merkel auf einem Staatsbesuch bei Ministerpräsident Tayip Erdogan herzhaft in einen gesunden Döner biss, und meiner bescheidenen Meinung nach sollte der gewissenhafte Konsument wenigstens 3,50 Euro für einen guten Döner lockermachen.
Eigentlich müsste er fünf Euro kosten, will man nicht nur gute Qualität, sondern auch einen ethnisch fairen Handel erwarten. Wie in Afrika. Dort hat ein deutscher Journalist des ›Stern‹ in Mbuyi-Maji in Zaire schon mal 243 Dollar für zwei Hähnchenschenkel gezahlt, wovon der 100-Kilo-Mann nicht mal satt wurde.
Aber nun gut. So sind die Preise in Krisengebieten, und es ist besser, zu zahlen, als umgelegt zu werden. Und so grundsätzlich unterschiedlich ist das gar nicht. Mbuyi-Maji und die eine oder andere Ecke in Deutschland, zum Beispiel.