Grundlegendes

Leseprobe "Es wird daher eines sehr viel breiteren, das ganze Spektrum der Verunsicherungsgefühle abdeckenden Ansatzes bedürfen, um dem Rechtspopulismus das Wasser abzugraben."
Grundlegendes

Foto: Philippe Huguen/AFP/Getty Images

Die populistische Herausforderung – Eine Einführung

Ernst Hillebrand

Frei nach Marx könnte man sagen: »Ein Gespenst geht um in Europa – das Gespenst des Populismus.« Die Europawahl 2014 brachte rechtspopulistischen Bewegungen Rekordergebnisse ein. Immer tiefer, so scheint es, dringen diese Bewegungen in die Wählerschichten der etablierten Parteien, vor allem der großen Volksparteien der Nachkriegszeit, ein. In dieser Hinsicht war die Europawahl lediglich ein besonders markanter Moment. Denn das Anwachsen rechtspopulistischer Bewegungen ist ein sehr viel älteres Phänomen. In vielen Ländern begann ihr Aufstieg bereits vor mehr als einem Vierteljahrhundert. In den vergangenen Jahren hat diese Entwicklung allerdings eine neue Qualität erreicht. Dass der französische Front National oder die britische UKIP bei nationalen Wahlen zur jeweils stärksten Partei ihres Landes aufsteigen könnten, schien bis vor Kurzem noch undenkbar. Genau dies aber ist bei der Europawahl 2014 passiert. Auch in Deutschland hat sich die Parteienlandschaft gewandelt, wie sich an den jüngsten Wahlerfolgen der Alternative für Deutschland (AfD) zeigt. Die dauerhafte Etablierung einer rechtspopulistischen Partei auf nationaler Ebene kann nicht mehr ausgeschlossen werden.

Erklärungsansätze für diese Entwicklung gibt es viele. Im Erstarken des Rechtspopulismus artikuliert sich eine Reihe von Prozessen, die das vertraute politische Koordinatensystem der Nachkriegsdemokratien erheblich verschoben und das traditionelle Rechts-links-Schema teilweise obsolet gemacht haben. Die Globalisierung hat zu einem Entgrenzungsprozess der Ökonomien geführt, die Europäisierung zu einem solchen der politischen Systeme der Nationalstaaten. Soziokulturelle Fragestellungen haben eine neue Bedeutung erhalten und den politischen Raum neu strukturiert. Vor allem die wachsende soziokulturelle Kluft zwischen öffnungsorientierten, liberal-kosmopolitischen Eliten und nationalistisch-protektionistisch gesinnten Bevölkerungsgruppen hat erhebliche Auswirkungen auf die politischen Präferenzen verschiedener sozialer Milieus.

Aber nicht nur die Wahrnehmung von sozialen, kulturellen und ökonomischen Interessenlagen hat sich im Zuge dieser Prozesse verschoben. Die politischen Systeme selbst haben sich verändert. Der Politologe Peter Mair hat dies als Prozess der »Aushöhlung« der europäischen Demokratien beschrieben. Für eine signifikante Anzahl von Bürgern bieten sie nicht mehr das gewünschte Maß an Teilhabe und Repräsentativität. Im Mehrebenensystem von Nationalstaaten und Europäischer Union geht für die Wähler das Gefühl verloren, Politik effektiv im Sinne eigener Interessen beeinflussen zu können. Und zumindest in der aktuellen Krise bieten die Verhältnisse auch immer weniger ökonomische Sicherheit und Berechenbarkeit. Das Vertrauen, die Dynamiken des Kapitalismus durch demokratische Politik einhegen zu können, ist im neoliberalen Finanzkapitalismus deutlich geschwunden.

Das vorliegende Buch hat drei Schwerpunkte: Zum einen sollen wichtige rechtspopulistische Parteien in Europa kurz beschrieben, ihre Dynamik und ihre soziale Verankerung betrachtet werden. Hierzu zählen nicht nur Länder wie Frankreich, Großbritannien oder Österreich, die in der deutschen Debatte über den Rechtspopulismus in der Regel im Zentrum des Interesses stehen. Um die gesamte Bandbreite des Phänomens abzudecken, richtet sich der Blick auch auf unsere östlichen Nachbarn. Dort wachsen eigenständige Formen des Rechtspopulismus heran, von Viktor Orbáns populistischem Nationalismus in Ungarn bis zu Andrej Babiš’ »Unternehmerpopulismus« in Tschechien.

Bei dieser Betrachtung zeigt sich sehr schnell, dass es keinen klar definierten, einheitlichen Rechtspopulismus in Europa gibt. Auch diese politische Bewegung tritt in verschiedenen Formen und Farben in Erscheinung. Geschichte, Anliegen und Wählermilieus variieren ebenso wie die Positionierungen in sozialen und ökonomischen Fragen. Hier gibt es, je nach Thema, inhaltliche Berührungspunkte von ganz rechts bis relativ links im Spektrum der bestehenden Parteienlandschaft. Ein kleinster gemeinsamer Nenner lässt sich am ehesten noch im soziokulturellen Bereich finden: in einer Präferenz für das Gewohnte, das Nationale, das Vertraute und in einer dezidierten Abneigung gegenüber den etablierten Mainstreamparteien und den amtierenden liberalen Eliten.

Der zweite Schwerpunkt des Buches liegt in der Analyse der Ursachen für die Erfolge der Rechtspopulisten. Dies ist nicht nur für das allgemeine Verständnis des Rechtspopulismus wichtig, sondern auch für die Definition von Strategien für die Einhegung dieses Phänomens, gerade auch für linke Parteien und Bewegungen. Denn bei allen Unterschieden ist den verschiedenen Rechtspopulismen eines gemeinsam: Sie gewinnen ihre Wähler in einem nicht unerheblichen Maße aus traditionellen Wählermilieus der linken Mitte. Die Neigung sozial schwächerer Gruppen, rechtspopulistische Bewegungen zu wählen, wächst. Die Vorstellung, der Rechtspopulismus sei vor allem ein Problem für die etablierten konservativen Parteien, eine Art Verteilungskampf im rechten Lager, hat sich längst als Illusion erwiesen.

Langfristig könnte sogar das genaue Gegenteil richtig sein: Der Abfluss von aus einfachen sozialen Verhältnissen stammenden Wählern zu den Rechtspopulisten droht die Machtperspektive der linken Mitte dauerhaft zu schwächen. Für die konservativen Parteien – dies zeigt eine Vielzahl von rechten Koalitionsregierungen unter Einschluss oder Duldung von Rechtspopulisten, von Österreich über die Niederlande bis Dänemark – eröffnen sich dagegen neue Koalitionsperspektiven. Aus Sicht der politischen Rechten handelt es sich eher um ein Positivsummenspiel, das traditionell linke Wählermilieus für konservative Machtkonstellationen erschließt.

Die europäische Linke hat es bisher nicht geschafft, den Wachstumsprozess der Rechtspopulisten zu stoppen. Dies hat, so der Tenor einer Reihe von Beiträgen dieses Bandes, auch mit der Reaktion der etablierten Parteien zu tun. Eine der Intentionen dieses Buches ist es daher, die Lektionen anderer Länder für die deutsche Debatte nutzbar zu machen. Warum die Fehler, die woanders gemacht wurden, selbst noch einmal wiederholen? Die Frage nach einem vernünftigen gesellschaftlichen und politischen Umgang mit den Wählern rechtspopulistischer Parteien bildet daher den dritten thematischen Schwerpunkt dieses Buches.

Mehrere Autoren interpretieren die Wahl rechtspopulistischer Parteien als eine Art politischen Hilferuf von Bevölkerungsgruppen, die sich von Veränderungen ihrer sozialen, wirtschaftlichen und kulturellen Lebensverhältnisse bedroht fühlen. Diese sozial schwächeren Gruppen, die im System des Kapitalismus immer eher am »receiving end« von politischen Entscheidungsprozessen angesiedelt waren, bildeten einst die Kernklientel linker Volksparteien. Sie sind es heute immer weniger, und dies hat auch damit zu tun, wie diese linken Parteien mit den Sorgen und Befürchtungen dieser Menschen umgegangen sind.

Der Rechtspopulismus wird als politisches Phänomen in Europa nicht so schnell verschwinden. Die dem Phänomen zugrunde liegenden Veränderungen sind struktureller Natur und langfristig wirksam. Zudem droht die wirtschaftliche Malaise in der Eurozone die Legitimität der politischen Systeme weiter zu beschädigen. Populistische Bewegungen von rechts wie von links dürften davon profitieren. Aber selbst wenn der Erfolg des Rechtspopulismus auch ökonomische Ursachen hat, sollte dies nicht dazu verleiten, diese Entwicklung in erster Linie aus einer ökonomistischen Perspektive heraus zu interpretieren. Im Gegenteil: Die Neigung der Linken zu dieser Wahrnehmung ist ein Teil des Problems. Die kulturellen und gesellschaftlichen Dimensionen der Verunsicherung von Wählern werden allzu gerne ignoriert, zu »falschem Bewusstsein« oder zu »Nebenwidersprüchen« erklärt, die via Wirtschaftswachstum oder Sozialtransfers zu beheben seien.

Eine Erholung der Wirtschaft und die Stärkung des Sozialstaats in Europa sind sicherlich extrem wichtig, um ein weiteres Anwachsen von Protestbewegungen aller Art zu verhindern. Aber auch in gut funktionierenden Volkswirtschaften – das zeigen die Beispiele der Schweiz oder Däne- marks – können Rechtspopulisten erfolgreich sein und die politische Agenda (mit)bestimmen. Es wird daher eines sehr viel breiteren, das ganze Spektrum der Verunsicherungsgefühle abdeckenden Ansatzes bedürfen, um dem Rechtspopulismus das Wasser abzugraben. Dafür möchte dieses Buch einen Beitrag leisten.

11.06.2015, 17:04

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