Worte und Zusammenhänge

Einblicke Das Verhältnis von Moral und Ökonomie zueinander ist wesentlich enger, als man meinen mag und als dies thematisiert wird. Die konkreten Auswirkungen dieser Verknüpfung jedoch sind weitreichend und vielfältig
Worte und Zusammenhänge

Foto: Daniel Roland/AFP/Getty Images

Geschichte und Wiederholung

"'Löscht alle Schulden, und verteilt das Land neu!' - das, so hat der große Althistoriker Moses Finley geschrieben, sei über Jahrhunderte das einzige und immer wiederkehrende revolutionäre Programm der Antike gewesen. Zweitausend Jahre später ist es die Selbsttötung eines jungen, hochverschuldeten tunesischen Gemüsehändlers namens Mohamed Bouazizi, die entscheidend die tunesische Revolution und den arabischen Frühling auslöst. In den Vereinigten Staaten demonstrieren in der Occupy-Bewegung keine Berufsrevolutionäre, sondern Menschen, die selbst verschuldet sind: Studenten, die ihre Studentenkredite niemals werden zurückzahlen können, ebenso wie Veteranen, deren Pension verloren ist. Europa droht zu zerfallen, weil seine Staaten überschuldet sind, und es ist mehr als eine besorgte Frage, was geschieht, wenn auch hier immer mehr individuelle Schuldner die Aussichtslosigkeit ihrer Lage erkennen müssen." >> FAZ.net

Der Grund liegt anderswo

"Es handelt sich bei der beinahe weltweit stetig ansteigenden Verschuldung der öffentlichen Haushalte jedoch nicht, wie die einen fälschlich meinen, nur um ein Verteilungsproblem der erwirtschafteten Vermögen, oder, wie die neoliberalen Vertreter immer wieder ins Feld führen, gar um das Resultat einer verschwenderischen Ausgabenpolitik der öffentlichen Hand in Kombination mit einem sogenannten Reformstau auf dem Arbeitsmarkt und der Sozialsysteme. Die ausschlaggebenden Faktoren für dieses annähernd weltumspannende und sich nun immer weiter zuspitzende Verschuldungsdilemma der Nationen liegt offensichtlich anderswo." >> Finanzkrise Politik

Wandel und Versagen

"Heute sind die riskanten und kaum noch bewertbaren Positionen die Staatsanleihen der Euro-Staaten. Waren damals die schlechten Risiken durch ein Marktversagen in die Bilanzen einstmals solider Kreditinstitute geraten, ist der Bankenapparat nun einem Staatsversagen aufgesessen. Dieser wirkt sich auch deshalb so gravierend auf die Stabilität des Bankensystems aus, weil Staatsanleihen früher als quasi risikolos angesehen, bankaufsichtsrechtlich privilegiert und daher in jeder Bankbilanz in großem Volumen zu finden waren." >> ZEIT Online

Nichts Neues

"Nun, ein Grund für mich dieses Buch zu schreiben war, dass Verschuldung mittlerweile jeden Aspekt unseres Lebens durchdringt. In internationalen Beziehungen geht es immer um Schulden, moderne Nationalstaaten laufen auf Defizitfinanzierung und Verbraucherschulden treiben die Wirtschaft an – dennoch hat niemand, meines Wissens, je die Geschichte des Phänomens aufgeschrieben. Obwohl Menschen ja historische Abhandlungen über fast alles, was man sich vorstellen kann, geschrieben haben. Was ich entdeckte, war, dass all das in gewisser Weise nichts Neues ist." >> Syndikalismus

Im Herzen der Bestie

"Aber ab Mittwoch soll die Bewegung wiederbelebt werden: Das Bündnis Blockupy Frankfurt hat in ganz Europa zum Sturm 'ins Herz der Bestie' aufgerufen. 'Die Bestie', das ist nicht nur die Europäische Zentralbank; es ist auch die Bundeskanzlerin, die für Sparmaßnahmen und Fiskalpakt steht. Tatsächlich ist das Wort Sparen unter linken Aktivisten zum Inbegriff der Unterdrückung geworden: Ideologische Grundlage der Occupy-Bewegung ist das Buch 'Schulden – Die ersten 5000 Jahre', in dem der Anthropologe und Aktivist David Graeber den Begriff Schuld als schieren Mythos beschreibt. Graeber, Sohn eines amerikanischen Anarchisten, wird am Donnerstag in Frankfurt vor seinen Anhängern lesen." >> ZEIT Online

18.06.2012, 10:36

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