Auf der Grenze

Biographie Ihre recht eigene persönliche Geschichte versetzt die Schriftstellerin Sofi Oksanen in die Position, aus jeder ihrer beiden Heimatwelten heraus einen Blick auf die jeweils andere zu werfen
Auf der Grenze

Foto: Verlag/Toni Härkönen

Sofi Oksanen (* 7. Januar 1977 in Jyväskylä, Finnland) ist eine finnisch-estnische Schriftstellerin und Dramaturgin. Oksanen hat bislang drei Romane und ein Theaterstück verfasst. Ihr dritter Roman, Fegefeuer, wurde mit mehreren Literatur-Preisen ausgezeichnet.

Der Debütroman Stalinin lehmät (wörtlich: Stalins Kühe, auf Finnisch 2003) handelt von Estland in den sowjetischen Zeiten, von Immigranten und von Essstörungen. Er schildert das Leben der Esten in Finnland in den 1960er und 1970er Jahren, als die so genannte Finnlandisierung die offizielle Politik färbte. Damals wurden die Esten in Finnland häufig als Russen beschimpft und estnische Frauen als Prostituierte verunglimpft. Es ist ein finnisch-estnischer Bildungsroman, der die Realität der nordischen Gleichberechtigung in Frage stellt. Der Debütroman Oksanens wurde als Kandidat für den Runeberg-Preis und für den Debütromanpreis der überregionalen Tageszeitung Helsingin Sanomat nominiert.

In ihrem zweiten Roman Baby Jane (auf Finnisch 2005) behandelt Sofi Oksanen Panikattacken und wie sie auf die Mitmenschen wirken sowie Gewalt in Frauenbeziehungen. Im Gegensatz zu den anderen beiden Romanen spielt Baby Jane in Finnland (im Helsinki der 1990er Jahre).

Mit ihrem ersten Theaterstück, Fegefeuer (Originaltitel: Puhdistus), gelang Oksanen 2007 der Durchbruch auf nationaler Ebene, mit ihrem gleichnamigen Roman ein Jahr später auch international. Der Roman wurde bislang in 38 Sprachen übersetzt und mit zahlreichen, auch bedeutenden Preisen honoriert; sein Erfolg wirkt auf das Stück zurück, das 2011/12 in mehreren Ländern Premiere hat(te).

Thematisch knüpft Oksanen an ihren ersten Roman, Stalinin lehmät, an und kehrt ins benachbarte Estland zurück. Indem sie die wenige Tage dauernde Handlung im Jahr 1992 (also kurz nach Wiedererlangung der Unabhängigkeit Estlands) spielen lässt, rückt sie der Jetztzeit näher, geht aber andererseits noch weiter in die Geschichte dieses Landes zurück. Mit solchen Spannungspolen wird auch die Begegnung der zwei Protagonistinnen aufgeladen: Alt gegen Jung, Estin gegen Russin, Alteingesessene gegen Eindringling. Doch mit Ausnahme des ersten Gegensatzes bleibt keiner bestehen; Gemeinsames wird wichtiger als Trennendes und führt dennoch weder im Drama noch im Roman zu einem Ende, das man als "Happyend" bezeichnen kann. Nach einem Drehbuch von Marko Leino wird Puhdistus auch verfilmt und voraussichtlich 2012 auf die Leinwand kommen.

Die Werke von Sofi Oksanen wurden bis 2010 vom Verlagshaus WSOY herausgegeben. Im Juni 2010 gab WSOY jedoch in einer Pressemitteilung bekannt, die Zusammenarbeit mit Sofi Oksanen mit sofortiger Wirkung zu beenden. Begründet wurde der Schritt mit der öffentlichen Kritik, die Oksanen an ihrem Verlag äußerte. Sie hatte sich vor allem über die ihrer Meinung nach ungenügende Marketingpolitik von WSOY beschwert.

Fegefeuer ist bisher das einzige Werk, das in Finnland sowohl mit dem Finlandia- als auch mit dem Runeberg-Preis ausgezeichnet wurde. Oksanen ist außerdem die jüngste Autorin, die einen dieser beiden Preise gewonnen hat. Schließlich ist sie auch die erste ausländische Autorin, der der "Prix du Roman fnac" zugesprochen wurde.

Oksanen erzählt, dass sie gern "Autofiktion" schreibt, d. h. sie kombiniert autobiografische Geschichten mit Belletristik. Auch andere finnische Gegenwärtsautorinnen wie die mit dem Finlandia-Preis ausgezeichnete Pirkko Saisio und Anja Snellmann schreiben Autofiktion. Oksanen ist eine vielgestaltige und reflektierende Schriftstellerin, die keine Angst hat, auch über schwierige und ungewohnte Themen zu schreiben. Sie findet auch vorbehaltlos Aufhänger für ihr Werk in ihrem eigenen Leben.

Sofi Oksanen hat auch Kolumnen für die finnische Zeitschrift Sihteeri&Assistentti und für die finnischen Zeitungen Sunnuntaisuomalainen, Metro und Aamulehti geschrieben. Die Kolumnen behandeln unter anderem multinationale Identität, die Zensur im Internet, Menschenrechte und Redefreiheit. Weitere Themen bei Oksanen sind die Geschichtslosigkeit und die doppelte Identität im Leben der estnischen Frauen.

Gemeinsam mit der Estin Imbi Paju hat Sofi Oksanen 2009 die finnischsprachige Artikelsammlung Kaiken takana oli pelko (wörtlich: "Hinter alledem stand Angst") herausgegeben, die die estnische Geschichte während der sowjetischen Okkupation beschreibt. In der Einleitung des Buches begründet Oksanen die Herausgabe damit, dass das kommunistische Gesellschaftssystem eines der verderbenbringendsten der Weltgeschichte ist, im Gegensatz zum Nationalsozialismus bislang jedoch nicht oft thematisiert worden ist.

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Teile dieses Textes basieren auf dem Artikel Sofi Oksanen aus der freien Enzyklopädie Wikipedia und stehen unter der Doppellizenz GNU-Lizenz für freie Dokumentation und Creative Commons CC-BY-SA 3.0 Unported (Kurzfassung).

04.10.2012, 08:50

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