Der Lauf der Dinge

Leseprobe "Gäbe es den Bereich Investmentbanking nicht und wäre die Deutsche Bank nicht in dieses Geschäft eingestiegen, wäre sie heute bestenfalls eine mittelgroße deutsche Geschäftsbank."
Der Lauf der Dinge

Foto: Ralph Orlowski/Getty Images

2. Das Ziel: Die Wege nach Eldorado

"I’m talking about liquid. Rich enough to have your own jet. Rich enough not to waste time. Fifty, a hundred million dollars, buddy. A player. Or nothing." (Gordon Gekko im Film Wall Street)

Für manchen Leser mag der Rekurs auf den oscarprämierten Kinofilm Wall Street (1987) als Zitationsquelle für ein Sachbuch zur Finanzbranche ungewöhnlich wirken. Wer hingegen weiß, dass der Regisseur und Produzent Oliver Stone in diesem Film zum einen die problematische Beziehung zu seinem Vater Louis Stone, einem zuletzt bankrotten New Yorker Börsenhändler, aufarbeitet und zum anderen auf die Geschäftspraktiken und die Lebensgeschichte des gefallenen Finanztycoons Ivan Boesky und anderer zurückgreift, der beurteilt das, was er im Kino sieht, realistischer. Denn jener unter anderem wegen Insiderhandel inhaftierte Boesky lieferte Michael Douglas alias Gordon Gekko die historische Vorlage für das legendäre Filmzitat »greed is good!«, als er kurz vor seiner Verhaftung im Mai 1986 die Rede bei der Abschlussfeier der Business School der University of California Berkeley hielt und folgende bemerkenswerte Erkenntnis zum Besten gab:

»Greed is all right, by the way. [...] I think greed is healthy. You can be greedy and still feel good about yourself.«

Hier wird etwas als »gesund« und selbstverständlich eingestuft, was nach den Maßstäben katholischer Dogmatik immerhin noch als »Todsünde« zu qualifizieren ist. Und das Ausmaß der Gier, so Gekko, bestimmt für den Reichtum dann auch die Skala: »A player. Or nothing.« Mit dieser oben illustrierten Alternative versucht der fiktive Finanztycoon seinem Schüler Bud Fox zu erklären, was genau im Finanzgeschäft »reich genug« heißt. Schulden sind letztlich endlich. Fürs Schuldenmachen gibt es Grenzen – irgendwann kommt die Insolvenz. Dem Immer-reicher-Werden hingegen scheint keine Grenze gesetzt. Die Skala ist nach oben hin offen, und der Wunsch nach Reichtum scheint keine Grenzen zu kennen. Wie aber wird man in Gordon Gekkos Branche reich?

Wie viel ist zu viel?

Hätte man deutsche Kunden der Deutschen Bank im Jahre 2000 nach ihrem neu berufenen amerikanischen Vorstand Edson Mitchell gefragt, so hätte wahrscheinlich die große Mehrheit der Befragten passen müssen. Man wäre der Meinung gewesen, dass eine global agierende Bank wie eine örtliche Sparkasse ihr Geld damit verdient, Ersparnisse und Überschüsse einiger Kunden anderen Kunden zu leihen oder substanzwahrend zu investieren. Ob vonseiten der Kirchen, Politiker oder Gewerkschaften, ob in Talkshows oder in der Fußgängerzone: die Mehrheit der Deutschen wäre wahrscheinlich der Ansicht, dass Investmentbanker zu viel verdienen, ohne allerdings etwas vom Tagwerk dieser ihnen fremd anmutenden Spezies zu wissen.

Was also machen Investmentbanker den Tag und oftmals die Nacht hindurch in ihrem Job? Erstaunlicherweise wird diese einfache Frage von denen, die über Managergehälter und dergleichen ganze Talkshows bestreiten, allzu selten gestellt. Dabei kann man jemandem doch nur glaubhaft vorwerfen, zu viel zu verdienen, wenn man eine grobe Vorstellung davon besitzt, wofür genau dieser Mensch entlohnt wird. Eines der einfachsten Prinzipien zur Bezahlung ist Reziprozität. Dieser Gedanke ist keine Erfindung von Bankern und alles andere als neu. Schon bei der Betrachtung von Martin Luthers Schrift »Von Kaufshandlung und Wucher« aus dem Jahre 1524 kann man lernen, dass ein gerechter Lohn sich im Wesentlichen dadurch auszeichnet, dass bei diesem eine Leistung einer Gegenleistung entspricht. Von daher sollte man vor jeder Kritik an der Höhe eines Lohns zumindest in der Lage sein zu beschreiben, worin die Leistung besteht – im Falle des Investmentbanking also, bevor man über die Mission von Investmentbankern spricht oder gar urteilt. Im Übrigen ist der Wittenberger Reformator aus wirtschaftsethischer Perspektive mit Blick auf das Bankwesen aktueller, als manche glauben, und dabei zuweilen erstaunlich kapitalismusfreundlich:

»[...] das keuffen und verkeuffen eyn nottig ding ist, [...]: Es sind Gottes gaben, die er aus der erden gibt und unter die menschen teylet.«

Allerdings werden auch klare Grenzen gezogen: »Aber der auslendische kauffs handel, der aus Kalikut [Kalkutta] und Indien und der gleychen wahr her bringt [...] sollt nicht zu gelassen werden, wo wyr eyn regiment und fursten hetten.«

Luther argumentiert als Bürger der agrarisch geprägten kleinen Universitätsstadt Wittenberg in einer landwirtschaftlich-feudalen Welt autarker Subsistenzwirtschaft, in der global agierende Finanzinstitute und internationaler Handel noch wenig Platz haben. (Ganz anders würde es sich verhalten beim fest am Genfer Finanzplatz sozialisierten Johannes Calvin.) Einen »gerechten Preis«, der dem Verkäufer zusteht, befürwortet Luther, belegt diesen aber gleichzeitig mit dem Korrektiv der »Billigkeit«:

»Es sollt nicht so heyssen ›Ich mag meyne wahr so theur geben, als ich kan oder wil‹, Sondern also ›Ich mag meyne wahr so theur geben, als ich soll odder alls recht und billich ist‹.«

An dieser Stelle wirken Martin Luthers Worte wie eine Kritik am heutigen Wirtschaftsgebaren mit seinen massiven Verstößen gegen das Wettbewerbs- und Kartellrecht sowie seinen Bilanzmanipulationen und anderen Gesetzwidrigkeiten:

»Denn wer ist so grob, der nicht sihet, wie die gesellschafften nicht anders sind denn eyttel rechte Monopolia? [...] Denn sie haben alle wahr unter yhren henden, und machens damit wie sie wollen, und treyben on alle schew die obberruerten stuck, das sie steygern odder nyddrigen nach yhrem gefallen, und drucken und verderben alle geringe kauffleute, gleich wie der hecht die kleyne fisch ym wasser, gerade alls weren sie Herrn uber Gottes Creaturen und frey von allen gesetzen des glaubens und der liebe.«

Wäre also das Investmentbanking mit seinen üppigen Gehältern in diesem Sinne »recht und billig«, oder ist ein Mann vom Schlage Edson Mitchells eher der von Luther beschriebene Hecht im Karpfenteich? Würde man Menschen wie Mitchell oder Jain nach ihrem Gehalt fragen, würden sie womöglich auf Unternehmer wie Steve Jobs oder Bill Gates verweisen, im Vergleich zu denen ihr eigenes Salär vergleichsweise niedrig erscheinen mag. Wie viel Geld jemand verdient, ist relativ: Wie viel im Vergleich zu wem? Im Vergleich zu einem anderen, mit fremder Leute Geld wirtschaftenden Manager? Einem mit dem eigenen Vermögen haftenden Unternehmer? In den ewigen Managergehaltsdiskussionen ist man besser beraten zu fragen: »Wofür genau?«, statt pauschal: »Wie viel?«. Ein gerechter Lohn ist einer, bei dem eine Leistung einer Gegenleistung entspricht. Was also leisten Menschen wie Mitchell oder Jain? Und für wen?

Die Arbeit einer Investmentbank

Was die großen Handelsgesellschaften seiner Zeit in Lübeck, Bremen, Nürnberg oder Augsburg taten, das konnte Martin Luther überblicken und nachvollziehen. Was eine Investmentbank ist, konnte Luther natürlich noch nicht wissen. Darum in aller gebotenen Kürze im Rahmen dieser »Sittengeschichte«: Investmentbanking als eigenständiges Geschäftsmodell entwickelte sich in der angelsächsischen Tradition erst mit der Einführung des sogenannten Glass-Steagall Acts im Jahre 1933. Dieses Gesetz trennte die klassischen Aktivitäten einer Geschäftsbank wie etwa das Bereitstellen von Krediten und die Verwaltung von Kundeneinlagen zur Risikominderung strikt von den deutlich risikoreicheren Investmentbankaktivitäten eines Finanzinstituts, also dem Handel mit Aktien oder verzinslichen Wertpapieren (Schuldverschreibungen, Rentenpapieren etc.). Heutzutage gehören zum Investmentbanking vor allem auch die Organisation von Börsengängen, Fusionen und Firmenkäufen (mergers and acquisitions) sowie der Rohstoff-, Derivate- und Wertpapierhandel mit dem Ziel, Gelder am Finanzmarkt zu investieren und so zu mehren. Die Deutsche Bank etwa teilte ihr Investmentbanking nach Mitchells Tod im Jahre 2000 in zwei unterschiedlich geführte Geschäftsbereiche auf: Den einen, Global Markets, führte Anshu Jain, der damit für den Aktien- und Anleihehandel und alle damit verbundenen Finanzprodukte zuständig war, während Michael Cohrs den Bereich Global Banking bis 2010 leitete, was die Beratung bei Börsengängen, die erwähnten Fusionen und auch Großkredite für Unternehmen einschloss.

Die scheinbar einfache Frage lautet nun: Wie und warum verdiente eine Bank wie die Deutsche Bank seit Ende der 1990er Jahre in beiden Geschäftsbereichen ungleich viel mehr Geld als etwa durch ihr Privatkundengeschäft? Die nur scheinbar einfache Antwort lautet: Weil im Investmentbanking möglichst ertragreiche Transaktionen getätigt und möglichst hohe Gebühren eingenommen werden konnten, und zwar im Wesentlichen in folgenden drei Bereichen:

Erstens: Rohstoff-, Anleihe-, Derivate- und Wertpapierhandel

Hier ist die ursprüngliche Idee, Kundengelder über die Anlage in stocks and bonds (ob nun über Fonds, Aktien, Zertifikate, Derivate etc.) möglichst gewinnbringend zu vermehren. Man betrieb den Handel mit solchen Finanzprodukten für andere, gegen andere und für sich/die Bank selbst. Das konnte während der letzten 20 Jahre schon wegen der gehandelten Volumina ein enorm ertragreiches Geschäft sein. Um nur eine Zahl zu nennen: Der Aktienbestand des Jahres 1980 hatte ein Volumen von weltweit 2,9 Billionen US$, das bis 2009 auf 47,7 Billionen US$ angewachsen ist.Doch auch hier liegen mögliche wirtschaftsethische Dilemmata nahe: Wie transparent ist es, wenn die Bank statt allein im Auftrag der Kunden auf eigene Rechnung handelt und damit Märkte bewegt? Wie problematisch ist es, wenn Banken derlei Geschäfte über komplexe und wenig transparente Finanzmarktinstrumente im Verhältnis 1:30 oder 1:60 hebeln? Wie prekär wird es, wenn diese Geschäfte mit dem Geld der Kunden und sogar ohne deren volles Wissen und Einverständnis geschehen?

»Klassische« Beispiele in dieser Kategorie sind etwa die Lehman-Zertifikate, bei denen viele Anleger die wichtigen Sätze wie »Das Ausfallrisiko der Emittentin trägt der Kunde.« oder »Der Handel kann zu Verlusten führen, die Ihre Einlagen übersteigen.« im Kleingedruckten überlasen oder überlesen wollten. Weiterhin werden Banken zu Recht kritisiert, wenn sich herausstellt, dass sich in ihren Büchern Papiere von Landminenproduzenten oder Auftraggebern von Kinderarbeit befinden oder dass durch Hebel etwa an Rohstoffbörsen durch künstlich aufgeblähte Nachfrage eine Nahrungsmittelknappheit erzeugt wird, von der dann Anleger auf Kosten etwa der Entwicklungsländer profitieren.

Auf den gesamten Tätigkeitsbereich des Handels einer Investmentbank trifft besonders Edson Mitchells Definition seiner Tätigkeit »I buy and sell other people’s money« zu, bevorzugt gegen hohe Gebühren. So ist das Investmentbanking-Team angehalten, die eingesetzten tools und Rückversicherungen so zu strukturieren, dass die Bank selbst nie oder möglichst wenig im Risiko steht, was eben im Umkehrschluss bedeutet, dass das Risiko anderswo und im Zweifel beim Kunden oder beim Staat liegt. Ein weiteres, dabei noch virulenteres Problem: Für einen Marktteilnehmer außerhalb der Bank ist oft nicht erkennbar, ob und wann die Bank für einen Kunden handelt oder im Eigenhandel für sich selbst. Dadurch können die Banken selbst zum market maker werden. Ein solcher, stark gehebelter Eigenhandel wurde zu einem wesentlichen Geschäftsfeld und Profitbringer für Investmentbanken sowie makroökonomisch zum Problem, wenn etwa im Falle der drohenden Insolvenz der Bank der Steuerzahler einspringen muss.

Zweitens: Mergers and Acquisitions (M&A)

Hier besteht die Aufgabe der Investmentbanker in der Regel darin, für ihre Kunden geeignete Kandidaten für Firmenübernahmen oder einen Unternehmenskauf zu identifizieren, und diesen Kauf oder »merger« dann im Erfolgsfall abzuwickeln. Dieser Geschäftsbereich, wenn er solide geführt wird, ist eine traditionelle cash cow einer Investmentbank, da die betreffenden Firmenkunden auf der Suche nach Kauf- oder Übernahmekandidaten entsprechend zahlungskräftig und kompetent sind. Ein klassisches Problem entsteht in diesem Bereich aus wirtschaftsethischer Sicht dann, wenn die Bank mit den von ihr in diesem Prozess erlangten Insiderinformationen unverantwortlich umgeht, indem sie diese Kenntnisse beispielsweise ausschließlich zu Zwecken eigener Gewinnmaximierung einsetzt. Ebenso problematisch ist es, wenn eine Investmentbank im Rahmen einer Übernahme auf beiden Seiten des Deals Verbindungen pflegt und ihr Klient auf öffentlicher Seite erkennbar unprofessionell aufgestellt und wenig kompetent erscheint. Ein aktuelles Beispiel für letzteres Problem stammt aus dem Jahre 2010, als die Baden-Württembergische Landesregierung Aktien des Stromversorgers Energie Baden-Württemberg AG (EnBW) vom französischen Energiekonzern Électricité de France SA (EdF) zurückkaufte und dabei von der Investmentbank Morgan Stanley beraten wurde. Aufgrund der Rolle von Morgan Stanley und der unangemessenen Nähe ihres Deutschlandchefs (und früheren Vorsitzenden der »Jungen Union« von Baden-Württemberg), Dirk Notheis, zum damaligen Ministerpräsident Stefan Mappus entstand so der Vorwurf, dass durch dieses Vorgehen der Investmentbank und deren Insiderkenntnis am Ende das Land Baden-Württemberg zu viel für die zurückgekauften Aktien bezahlte und damit Steuergelder verschwendete.

Drittens: Die Organisation und Betreuung von Börsengängen

Hier berät und unterstützt die Bank Unternehmen, ihre Aktien am Markt zu platzieren, um so Kapital zu generieren. Prinzipiell ist dies eine für Unternehmen unverzichtbare Dienstleistung, die wegen ihres Umfangs und ihrer Komplexität eine einfache Geschäftsbank nicht zu leisten vermag. Diese Dienstleistung ist das Kerngeschäft vieler Investmentbanken. Wirtschaftsethisch betrachtet entstehen die Probleme in diesem Teil des Bankgeschäfts meist dann, wenn die Bank nicht als honest broker auftritt, sondern selbst – etwa aufgrund der hohen Gebühren oder preferred shares (= Aktien zu Vorzugspreisen) – ein Eigeninteresse an möglichst vielen und möglichst großen Börsengängen mit zu teuer gepreisten Aktien hat. Ein Beispiel dafür ist der »Neue Markt«, der mithilfe der Banken über 300 Unternehmen im sogenannten NEMAX Index listete, welcher dann nach Überschreiten seines Zenits im Jahre 2000, dem Todesjahr Edson Mitchells, in den folgenden 30 Monaten über 90 % seines Wertes verlor. Was hier aus wirtschaftsethischer Sicht offenbar komplett aus dem Ruder gelaufen ist, war das eigennützige Interesse von Banken, möglichst viele technologie- und IT-orientierte Firmen an die Börse zu bringen, die dafür in keiner Weise reif waren. Zwar ist der Fall »Neuer Markt« ein Extrem, aber er fand nicht zufällig zu jener Zeit statt, als die Deutsche Bank und viele andere Investmentbanken ihre bis dahin höchsten Gewinne verbuchten.

Gesamtwirtschaftlich besonders problematisch schienen in den letzten Jahren weniger die Beratungsmandate bei M&A, Börsengängen und sonstige Provisionsgeschäften, wie die Emission von Aktien und Anleihen, sondern vor allem der intransparente Eigenhandel sowie die Entwicklung und der Handel jener bewusst komplex gehaltenen Finanzprodukte, bei denen eine Investmentbank zusammen mit anderen überhaupt erst Märkte geschaffen hat – zum Beispiel bestimmte Derivatmärkte und hochstrukturierte Finanzprodukte wie die später im Fall ABACUS beschriebenen, verbrieften Real Estate CDOs. Denn dabei entsteht oft folgender Interessenkonflikt: Ist ein solches Finanzprodukt erfolgreich, entwickelt sich das Geschäft etwa im Fall von Immobilienkrediten und Kreditausfallversicherungen so gewaltig, dass keiner abspringen will (oder kann). Platzt irgendwann die Blase und mit ihr das weithin vermarktete Finanzprodukt, dann entsteht aufgrund eines damit einhergehenden Vertrauensverlustes und wegen der enormen Interdependenz des Finanzwesens ein Dominoeffekt, der ganze Banken und mit ihnen Volkswirtschaften zu gefährden vermag – wie etwa im Fall der Lehman-Pleite 2008.

Vor diesem Hintergrund forderte Kanzlerkandidat Peer Steinbrück, nicht nur die Investmentbanken, sondern auch deren Algorithmen transparenter zu gestalten und stärker zu regulieren. Nur sind Algorithmen nicht moralfähig. Problematisch scheinen vor allem die Motive hinter den Algorithmen: das Spekulieren und Wetten mit dem Geld anderer Leute mit dem Ziel, möglichst hohe eigene Gewinne und Gebühren zu generieren. Denn damit verliert eine Bank ihre dienende Funktion, da sie nur noch ihrem eigenem Profitmaximierungsinteresse dient. Dass im klassischen Investmentbanking oftmals überlebenswichtige Dienstleistungen für Unternehmen angeboten werden, die Kapital aufnehmen, Vermögen investieren oder Fusionspartner finden wollen, ist unbestritten. Wie aber kann es sein, dass ohne oder gar gegen solche Kunden Profite generiert werden, die es einer Bank erlauben, einem einzelnen Angestellten über zehn Jahre Schätzungen zufolge bis zu einer halben Milliarde US$ an Gehältern und Boni zu zahlen?

Auch die bereits beschriebene Mathematisierung des Bankengeschäfts hatte dramatische Folgen für die Werthaltungen der Mitarbeiter – nicht nur bei der Deutschen Bank: Aus den Kunden und Klienten der Geschäftsbank wurden im Investmentbanking counterparts, »Gegenparteien«, vielleicht besser noch: »Gegenspieler«. Aus einem an Industrie und Mittelstand ausgerichteten relationshipbanking, bei dem Zahl und Qualität der Kunden die entscheidenden Größen waren, wurde ein rein handelsorientiertes, anonymes transaction-banking im Stile der großen amerikanischen Investmentbanken. Nicht mehr Kundenbeziehungen mit einer realen Person standen im Vordergrund, sondern mathematisch orientierte Transaktionen in einem anonymen Abwicklungsprozess. Ethische Erwägungen laufen in einem solcherart technisch ausgerichteten Investmentbanking zumindest aus der Binnensicht ins Leere, da ein so »effizienter« gestalteter Handel sich gerade dadurch auszeichnet, anonymisiert zu sein. Computer sind nicht moralfähig, sondern nur die sie Programmierenden. Auch die Zahl und vor allem Qualität der Kunden und Mitarbeiter steht dann nicht mehr zuvorderst im Geschäftsbericht, sondern stetig wachsende Bilanzsummen und gehandelte Volumina.

Der Einstieg der Deutschen Bank

Vom »Wie« zum »Wieviel«, also zum Geld als entscheidendem Wertmaßstab in Mitchells Branche: Alfred Herrhausen verdiente als Sprecher der Deutschen Bank zunächst dieselbe Summe wie alle seine Vorstandskollegen, eben weil er in dieser Funktion kein CEO, sondern lediglich ein primus inter pares war. Im Jahre 1988, als jener Alfred Herrhausen ein Unternehmen mit 44 000 Mitarbeitern (BMW zur gleichen Zeit: 55 000 Mitarbeiter) führte, waren dies 1,1 Millionen Mark. Zum Vergleich: BMW- Chef Eberhard von Kuenheim verdiente damals 2,5 Millionen Mark. Herrhausen verdiente als Vorstandssprecher – zugegebenermaßen in völlig anderen Zeiten – weniger als 10 % von dem, was die Bankangestellten Mitchell und, nach dem Jahr 2000, Jain in ihren besten Jahren und inklusive aller Boni brutto rund eine Dekade später nach Hause trugen. Was also hatte sich zwischen 1989 und 1999 so fundamental geändert? Aktienhandel und Firmenfusionen gab es auch vorher und danach.

Der Schlüssel zur Beantwortung dieser Frage liegt im Falle der Deutschen Bank bei Alfred Herrhausen selbst. Dieser hatte in seinen letzten Vorstandssitzungen im Herbst 1989 mit der Vorbereitung der Übernahme der Londoner Investmentbank Morgan Grenfell den Schritt von der nationalen Geschäftsbank ins globale Investmentbanking eingeleitet und damit den beschriebenen Wechsel weg vom relationship-banking hin zum transaction-banking. Herrhausen war derjenige, der den Kauf und damit den massiven Einbeziehungsweise Umstieg ins Investmentbanking innerhalb des Deutsche Bank-Vorstands durchsetzte, so sein Biograf Andreas Platthaus. Eingefädelt habe den Morgan Grenfell-Deal allerdings dann Hilmar Kopper. 1990 wurde der Kauf zu einem Preis von rund 1,5 Milliarden US$ (damals rund 2,6 Milliarden D-Mark) für das traditionsreiche Londoner Institut abgeschlossen.

Der Kauf der Morgan Grenfell durch die Deutsche Bank wurde am 27.11.1989 offiziell bekannt gegeben, drei Tage vor der Ermordung Alfred Herrhausens durch die »Rote Armee Fraktion« (RAF). Herrhausen erkannte früher als andere Bankvorstände, dass immer mehr deutsche Industrieunternehmen die Dienste amerikanischer Investmentbanken wie Goldman Sachs oder J. P. Morgan in Anspruch nahmen, während die Deutsche Bank ihren industriellen Kunden in diesem stark wachsenden Bereich des Investmentbanking keine vergleichbaren Dienstleistungen anzubieten vermochte.

Mit der Entscheidung für diesen Einstieg ins Investmentbanking wurde von Herrhausen der entscheidende Mentalitätswandel und ein damit einhergehender Paradigmenwechsel innerhalb der Deutschen Bank ab 1990 eingeleitet. Hilmar Kopper, Rolf E. Breuer und das zuständige Vorstandsmitglied Ulrich Cartellieri trieben den massiven Ausbau des Investmentbanking Anfang der 1990er Jahre nach Herrhausens Tod voran. Dies gelang, weil das Investmentbanking schnell der profitabelste Bereich der Deutschen Bank wurde. Gäbe es den Bereich Investmentbanking nicht und wäre die Deutsche Bank nicht mit dem Kauf von Morgan Grenfell in dieses Geschäft eingestiegen, wäre sie heute bestenfalls eine mittelgroße deutsche Geschäftsbank und im schlechtesten Fall von einem Mitbewerber bereits übernommen worden, der sich für vergleichsweise kleines Geld einen Kundenpool sichern wollte, genau wie dies die Deutsche Bank Jahre später mit der Übernahme der Postbank tat. Die Kehrseite: Als Deutschbanker einer anderen Generation holten Breuer, Kopper und andere aus der Erkenntnis der Notwendigkeit heraus eine Gruppe von jungen, hungrigen Konquistadoren in ihre Bank, deren Eroberungsmodell und Waffenarsenal sie nicht vollständig übersahen und über die sie zunehmend die Kontrolle zu verlieren drohten.

Ohne die Entscheidung für den Einstieg ins Investmentbanking seitens der Deutschen Bank hätte es die Karriere von Edson Mitchell zumindest in der Weise, wie sie sich Mitte/Ende der 1990er Jahre in atemberaubender Geschwindigkeit vollzog, wahrscheinlich nie gegeben. Viele Londoner Banker, die die Deutsche Bank lange verlassen haben, rechnen ihrem ehemaligen Arbeitgeber jedoch eines hoch an: »They did not blink«, womit ein Londoner Investmentbanking-Urgestein meinte, dass Frankfurt bei allen Herausforderungen und Kapitalanforderungen der Londoner Filiale stets zu diesem Investment rückhaltlos gestanden habe. Andererseits betonte einer der damals zuständigen Vorstände der Deutschen Bank, dass man darum eine Londoner Bank gekauft habe, weil man sich den Einstieg in die Königsklasse des Investmentbanking auf dem härter umkämpften, nordamerikanischen Markt noch nicht zugetraut habe. Diesen nächsten Schritt ging man erst mit der Akquise der New Yorker Bank Bankers Trust Ende der 1990er Jahre unter Führung von Edson Mitchell. Am 29.11.1998 beschloss der Vorstand der Deutschen Bank den Kauf von Bankers Trust für 9,7 Milliarden US$. Spätestens damit war Mitchells Position im Investmentbanking unanfechtbar. Frank Newman als Bankers Trust-Obmann blieb hoch bezahlt an Bord. Und die Deutsche Bank hatte mehr als einen Fuß im US-Investmentbanking, indem sie einen Mitarbeiter wie Newman mit einem golden handshake an die Bank zu binden versuchte, der ähnlich wie Mitchell weitgehend unkontrolliert entschied, an wen er sich wie lange zu binden gedachte – Konquistador eben.

Hinsichtlich der Risikovorsorge war man auch in den führenden US-Investmentbanken zunächst vorsichtig: Erst Ende der 1990er Jahre gab Goldman Sachs seine Partnerstruktur auf und ging an die Börse, was die Bereitschaft, höhere Risiken mit dem Geld anderer Leute einzugehen, enorm steigerte. Denn im Falle des Misserfolgs hafteten nicht mehr die Partner mit ihrem privaten Vermögen, sondern alle Aktionäre. Und was sich neben der Partnerstruktur solcher Investmenthäuser ebenfalls radikal veränderte, war deren Größe und globale Präsenz:

Die Investmentbank Morgan Stanley etwa, die 1935 aus der vom Glass-Steagall Act forcierten Aufspaltung der Bank J. P. Morgan hervorgegangen war, hatte Anfang der 1970er Jahre weniger als 150 Mitarbeiter, während dort heute nach der Lehman-Pleite und dem Zusammenschluss mit der Citigroup immer noch über 20 000 Menschen arbeiten. Was sich in den 1990er Jahren durch den Boom im Investmentbanking vollzog, veränderte die Spielregeln, die Gehälter und auch die Mission der Akteure grundlegend.

Investmentbanker sind in der Regel daran interessiert, ihre an der Größe der Geschäfte bemessenen Gebühren zu erheben beziehungsweise in die Höhe zu treiben – zu »optimieren«, wie man das klinisch in diesem Gewerbe nennt: Während die Deutsche Bank in den 1980er Jahren vor allem durch Industriebeteiligungen von sich reden machte – in guten wie in bösen Tagen etwa bei Philipp Holzmann, Allianz oder Daimler –, setzten Mitchell und Kollegen ganz auf das OPM-Geschäftsmodell des Investmentbanking, other people’s money: Man musste Kunden in möglichst viele, große und schnell wechselnde Transaktionen einbinden, die so gestaltet wurden, dass die Klienten damit potenziell mehr gewinnen (und damit natürlich auch verlieren!) konnten als mit einem festverzinslichen Papier oberhalb der Inflationsrate oder durch die Beteiligung an einem eher langweilig-soliden Unternehmen, dass aber gleichzeitig das damit verbundene Risiko zuweilen bewusst unklar und in jedem Fall nicht bei der Investmentbank blieb. Um dies zu erreichen, mussten Häuptlinge wie Mitchell ein Team von Experten zusammenstellen, die so harmonierten, dass die Bank die zu diesem Geschäftsziel passenden Finanzprodukte selbst entwickelte, verkaufte und sich gleichzeitig andernorts gegen die damit verbundenen Risiken absicherte. Mitchell und Jain wussten, wovon sie redeten: Anders als viele deutsche Vorstände der Bank hatten sie selbst bei Merrill Lynch als einer typischen Investmentbank amerikanischen Stils jahrelang Erfahrungen gesammelt und am Telefon gesessen und Kunden derlei Produkte verkauft.

Dass mit einem solchen Geschäftsmodell des Investmentbanking auch für den anderen Teil einer Bank, der auf traditionelle Weise Geld verleiht, Gefahren verbunden sind, sahen bereits die Väter des Glass-Steagall Acts als Lehre aus der Weltwirtschaftskrise von 1929. Und eben darum schieden sie solche Investmentbanken von Geschäftsbanken, um das Kerngeschäft des volkswirtschaftlich existenziellen Geldverleihens vom riskanten Spekulieren im Investmentbanking zu trennen. Lehren aus einer Krise (wie der von 1929) vergisst man umso schneller, je besser die Geschäfte gehen. So wurde der bis 1999 geltende Glass-Steagall Act 66 Jahre nach seiner Einführung durch den vom US-Kongress verabschiedeten Gramm-Leach-Bliley Act abgelöst. Spötter nannten dieses neue Gesetz auch »Citibank Relief Act«, weil sein Hauptziel war, den nach Glass-Steagall eigentlich unerlaubten Zusammenschluss der Citicorp und Travelers im Jahre 1998 zur Citigroup als der größten financial services-Gruppe der Welt legal zu ermöglichen.

Man braucht relativ wenig von Regulierung und Recht zu verstehen, um einzusehen, dass man mit derlei Ausnahmen aufgrund vermeintlich besonderer Umstände selten Gutes schafft. Peer Steinbrück und andere fordern heute die »Zerschlagung der Banken«. Letztlich ist dies nicht anderes als »Glass-Steagall-2.0«. Andererseits stieg eine Universalbank wie die Deutsche Bank in den späten 1980er Jahren, als auch andere große Geschäftsbanken einzelne Investmenthäuser übernahmen (z. B. 1995 Übernahme von Kleinwort Benson durch die Dresdner Bank), ganz bewusst ins große Geschäft mit dem Investmentbanking ein. Dies taten sie, nachdem sie einsehen mussten, dass mit dem Verleihen von Geld an Privatkunden über teure Filialnetze weit weniger Geld zu verdienen war als mit den Geschäften, wie sie die großen amerikanischen Investmentbanken wie Goldman Sachs, Morgan Stanley, J. P. Morgan, Bear Stearns, Merrill Lynch oder Salomon Brothers betrieben. Für ein Institut wie die Deutsche Bank war der Einstieg in dieses Geschäftsmodell eine Frage des wirtschaftlichen Überlebens, und, wie es Hilmar Kopper einmal ausdrückte, »wenn Enten nicht gehen, dann verkaufen wir eben Hühner«. Doch für die direkt im Investmentbanking Tätigen war die Mission eine andere. Wer erfolgreiche Teams rekrutieren, von ihnen höchst profitable Investmentprodukte entwickeln lassen und diese möglichst vielen solventen Kunden verkaufen konnte, der handelte mit etwas weit Profitablerem als Federvieh. Er konnte in den zwei Jahrzehnten nach Ende des Kalten Krieges so reich werden wie Edson Mitchell und Anshu Jain, wie Gordon Gekko und Bud Fox.

11.04.2013, 00:06

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