1. Kapitel
Camp Amilcar Cabral, Provinz Kwanza Norte, Angola, 1988
»Redest du jetzt endlich, oder was?« Genosse Pilate tigerte im Vernehmungszimmer auf und ab. Das Kreuzverhör dauerte nun schon vier Stunden, langsam wurde er sauer. Genosse Bambata kaute ängstlich an seinen Fingernägeln. Neben Genosse Idi auf dem Schreibtisch lagen ein Bogen Papier und ein Stift. Er müsste ihnen einfach nur erzählen, was sie wissen wollten. Doch er hatte nichts zu gestehen. Wie ein hungriger Löwe machte Pilate plötzlich einen Satz nach vorne, riss Bambata vom Stuhl und schleuderte ihn gegen die Wand. Sein Hinterkopf knallte gegen den Beton. Er verlor die Orientierung und stürzte auf die Knie. Pilate trat ihm mit dem Stiefel ins Gesicht.
»Wer von euch hat Die Bewegung verraten?« brüllte Pilate auf Bambata herab, der einen Schwall Blut hustete. »Ich schwöre es ... i-ich weiß nichts.« »Du wirst noch heute den Tag bereuen, an dem ich das erste Mal deinen Namen gehört habe!« Pilate zerrte Bambata hoch und schlug ihm mit der Faust ins Gesicht. Bambata taumelte rückwärts, Blut troff aus seiner Nase. Er drehte sich weg, um Pilate zu entkommen, doch da stand Idi schon hinter ihm und versetzte ihm einen Kinnhaken. Bambata fiel rücklings um, schlug mit dem Kopf auf den Boden und verlor das Bewusstsein.
»Wir sind noch nicht fertig mit dir!«, sagte Pilate und folgte Idi zur Tür. »Wir kommen wieder. Und ich bin mir sicher, dann wirst du reden!«
Eine Stunde später kam Bambata wieder zu sich. Sein Mund war voll Blut, das linke Auge so geschwollen, dass er kaum sehen konnte. Er rollte sich auf die Seite und spuckte aus. »Steh auf, Verräter!«, befahl Pilate. »Und zieh dich aus!« »Was?« Verängstigt blickte Bambata zu Pilate hoch. Der stand über ihm, in der Hand ein Akazienzweig, der mit weißen Dornen bespickt war.
»Schneller!«, rief Pilate, als Bambata endlich auf seinen Füßen stand und widerwillig begann, die Kleider abzulegen. »Leg sie da hinten hin und komm rüber zum Tisch.« »Comrades, warum tut ihr mir das an?«, fragte Bambata; ein heftiger Schluchzer entfuhr ihm, in seinen Augen standen Fassungslosigkeit und Angst.
»Schluss jetzt mit den blöden Fragen!«, bellte Pilate. Idi packte Bambata, stieß ihn zum Tisch und presste ihn gegen die Kante. Pilate hob den Zweig in die Höhe und zielte nach Bambatas Schwanz. Reflexartig zog Bambata die Schultern hoch und versuchte, sich loszureißen, doch Idi war stärker.
Ein gellender Schrei schnitt durch den Raum, als Pilate den Akazienzweig herabsausen ließ. Es war einer dieser Schläge, die ein Mann erst im Grab vergisst. Pilate funkelte Bambata an. »Wenn du nicht auspackst, verprügele ich dich damit, bis er dir abfällt!« Mit einem sadistischen Grinsen deutete er zwischen Bambatas Beine.
»Bitte nicht!«, heulte Bambata, als Pilate wieder mit dem Zweig ausholte. »Es ... es war sie ... Sie hat es getan!« »Wer sie?« fragte Idi. »Hat sie auch einen Namen?« »Lady Comrade ... Mkabayi«, stammelte Bambata und nickte schwach.
»Was hat sie getan?«
»Sie ... hat mir Informationen über die Buren gegeben. Und über die U-UNITA.« »Was noch?« »Sie ... sie ... hat uns aufgehetzt. Gegen Die Be-Bewegung.« »Schreib das auf!«, sagte Pilate und zeigte auf den Stift und das Papier, das im Luftzug des Akazienzweigs zu Boden gesegelt war. »Eine eidesstattliche Erklärung, in der du genau das aufschreibst, was sie gesagt hat. Wort für Wort.«
Bambata konnte nur noch resigniert nicken; die Schmerzen und die Vorstellung, seine unschuldige Genossin zu verraten, waren mehr, als er ertragen konnte. »In einer Stunde sind wir wieder da. Dann ist die Erklärung fertig«, sagte Idi und ließ Bambata, der sich noch immer die Eier hielt, zu Boden sacken.
»Und denk dran«, fügte Pilate hinzu, als er die Tür des Verhörzimmers öffnete. »Deine Lady Mkabayi ist der dunkle Fleck in deinem Licht. Sie ist sehr gefährlich. Du hast ohne nachzudenken ihren Lügen geglaubt.« Er machte eine Pause und beobachtete Bambata, der nach dem Stift tastete und auf das Stück Papier am Boden zukroch. »Wer innehält, erhält von innen Halt.Veränderung passiert nicht einfach so, sie wird geschaffen, verstehst du? Von Leuten wie uns, die sich berufen fühlen. Denn wir lieben Die Bewegung!«
2. Kapitel
»Halt die Fresse! Halt die Fresse!« Kimathi erwachte schreiend aus seinem Alptraum. Es war Sonntagmorgen elf Uhr. Er lag ausgestreckt auf dem Schlafzimmerboden seiner Villa in Bassonia. Er rieb sich die Augen und sah, dass er noch immer Anzug, Krawatte und Schuhe trug. Ein leeres Whisky-Glas lag neben ihm auf dem Boden, wo er es offensichtlich in der Nacht zuvor hatte fallen lassen. Zum dritten Mal in Folge hatte er nun schon diesen Traum gehabt. Manche Details waren so beklemmend, dass er sich in letzter Zeit gefürchtet hatte, alleine zu Bett zu gehen. Scheiße! Egal wie stark du bist, die Erinnerung an das, was dir Angst macht, holt dich im Traum immer wieder ein, dachte er und setzte sich auf. Doch er konnte die Bilder aus dem Alptraum nur schwer in Zusammenhang bringen.
All das war vor mehr als zwei Jahrzehnten passiert, damals im Exil, und er konnte sich kaum mehr an die Gesichter der Personen erinnern, geschweige denn daran, was mit ihnen geschehen war. Kimathi stand auf und zog sich Krawatte, Jackett und Schuhe aus. Er schwankte, noch immer betrunken vom nächtlichen Besäufnis im Hyatt Regency Hotel in Rosebank. Er wusste nicht einmal mehr, wann er nach Hause gekommen war. Irgendwann um zwei oder drei morgens, dachte er, als ihm ein brennender Schwall Galle in die Kehle stieg. Mit der Hand auf dem Mund stolperte er ins Badezimmer, unter seinen Füßen spürte er die kalten Marmorfliesen. Vorm Waschbecken schloss er die Augen, würgte mehrmals und spuckte eine gelbliche und bitter schmeckende Flüssigkeit aus. Sein Kopf fühlte sich schwer und aufgedunsen an, wie kurz vorm Platzen. Gierig trank er Wasser direkt aus dem Hahn, doch das Hämmern in seinem Kopf hielt an. Als er sich haltsuchend auf das Becken stützte, fiel ihm ein, dass er seine Medikamente nicht genommen hatte. Laut Verschreibung sollte er zwei Tabletten morgens und drei am Abend nehmen.
Kimathi torkelte ins Schlafzimmer, öffnete die unterste Schublade, nahm zwei Pillen heraus, warf sie sich in den Mund und ging zurück ins Bad, um nachzuspülen. Die Kopfschmerzen wollten einfach nicht aufhören. Er schleppte sich zur Bar und goss sich einen doppelten Rémy Martin ein; das, hoffte er, würde den Kater schon verjagen. Er leerte das Glas in einem Zug, starrte einen Moment hinein und schüttete nach. Mit dem Cognac in der Hand öffnete er die Haustür und trat ins Freie.
Die klare, frische Morgenluft strömte in seine Lungen; Kimathi ließ sich in einen weißen Sessel neben dem Pool fallen, wo er, aus der Ferne betrachtet, wie ein Seehundbulle aussah, der sich auf einem der Felsen von Duiker Island räkelt. Er nahm einen Schluck aus dem Glas, stellte es ab und rieb sich die Hände. Als er sich zurücklehnte und die Beine übereinanderschlug, begann sein Hirn langsam zu arbeiten. Nicht mehr der Alptraum beschäftigte ihn jetzt, sondern das Treffen mit seinen Geschäftspartnern, das am nächsten Tag anstand. Auch Ludwe, der Generaldirektor des Ministeriums für öffentliches Bauen, würde dabei sein. Da wird Kohle fließen, grinste er in sich hinein und schlug sich triumphierend auf den Unterarm.
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