Vorwort
Geschichten über die Entstehung von Wohlstand
Zwischen 1975 und 2017 verdreifachte sich in den USA das reale Bruttosozialprodukt – die Größe der Wirtschaft unter Berücksichtigung der Teuerungsrate – von 5,49 auf 17,29 Billionen Dollar.In diesem Zeitraum stieg die Produktivität um etwa 60 Prozent. Der reale Stundenlohn der Mehrzahl der Amerikaner stagnierte jedoch von 1979 an, wenn er nicht gar sank.Anders ausgedrückt, streicht seit nunmehr fast vier Jahrzehnten eine winzige Elite nahezu alle Gewinne aus dieser expandierenden Wirtschaft ein. Sollte das etwa daran liegen, dass diese Elite aus besonders produktiven Mitgliedern der Gesellschaft besteht?
Der griechische Philosoph Platon war der Ansicht, dass Geschichtenerzähler die Welt regieren; mit Märchen sollte in seinem idealen Staat die Wächterkaste erzogen werden, deren Elite den Herrscher stellt. Das vorliegende Buch stellt die heute herrschenden Märchen darüber infrage, wer im modernen Kapitalismus die Schöpfer des Wohlstands und welche Ak tivitäten angeblich produktiv im Gegensatz zu unproduktiv sind, also Ge schichten über den Ursprung des Werts. Das Buch beschäftigt sich mit der Wirkung dieser Geschichten auf die Fähigkeit der Wenigen, im Namen der Wohlstandsschaffung mehr als andere von der Wirtschaft zu profitieren. Diese Geschichten finden sich überall. Der Kontext mag unterschiedlich sein – Finanzwelt, Pharmaindustrie oder Hightech-Sektor –, die Selbstdarstellungen ähneln sich jedoch: Ich bin ein besonders produktives Mitglied der Wirtschaft, meine Aktivitäten schaffen Wohlstand, ich gehe große »Risiken« ein, also habe ich ein höheres Einkommen verdient als Leute, die lediglich von den Auswirkungen meines Tuns profitieren. Aber was, wenn es sich bei diesen Selbstdarstellungen letztlich nur um Geschichten handelt? Was, wenn es letztlich nur Narrative sind, eigens dazu geschaffen, die Ungleichheit von Wohlstand und Einkommen zu rechtfertigen, um die Wenigen zu belohnen, die Staat und Gesellschaft davon zu überzeugen vermögen, sie allein hätten es verdient, reich belohnt zu werden, während der Rest mit Krümeln zu rechtkommen soll.
2009 behauptete Lloyd Blankfein, CEO von Goldman Sachs: »Die Leute von Goldman Sachs gehören zu den produktivsten der Welt.«Dabei hatte Goldman im Jahr zuvor ganz erheblich zu einer der schlimmsten Finanz und Wirtschaftskrisen seit den 1930er Jahren beigetragen. Der amerikanische Steuerzahler musste 125 Milliarden Dollar berappen, um den Banken aus der Patsche zu helfen. Im Lichte eines derartigen Schnitzers im Jahr zuvor wirkt das Statement des CEO also ziemlich vollmundig. Die Bank entließ zwischen November 2007 und Dezember 2009 etwa 3 000 Angestellte; die Profite gingen in den Keller.Die Bank und ihre Konkurrenten bekamen ein Bußgeld aufgebrummt, das freilich klein ausfiel im Vergleich zu späteren Profiten; so hatte zum Beispiel Goldman 550 Millionen Dollar und J.P. Morgan 297 Millionen zu zahlen.Bei alledem wettete Goldman – zusammen mit anderen Banken und Hedgefonds – gleich darauf gegen eben die Instrumente, die sie geschaffen und die uns derart in die Bredouille geritten hatten.
Bei allem Gerede über Strafen für die Banker, die für die Krise gesorgt hatten, ging nicht einer dafür ins Gefängnis, und die vorgenommenen Änderungen hinderten sie gewiss nicht daran, ihr Geld weiter mit Spekulationen zu verdienen: zwischen 2009 und 2016 erwirtschaftete Goldman einen Reingewinn von 63 Milliarden bei einem Nettoerlös von 250 Milliarden Dollar.Allein 2009 brachte man es auf einen Rekordgewinn von 13,4 Milliarden Dollar.Und obwohl der amerikanische Staat das Bankensystem mit Steuergeldern rettete, fehlte es dem Staat an Selbstbewusstsein, die Banken für ein derart risikoreiches Unterfangen zur Kasse zu bitten. Er war letztlich nur einfach froh, sein Geld zurückzubekommen.
Finanzkrisen sind selbstverständlich nichts Neues. Aber noch ein halbes Jahrhundert zuvor wäre Blankfeins überschwängliches Vertrauen in seine Bank nicht so selbstverständlich gewesen. Noch bis in die 1960er Jahre hinein galt die Finanzbranche durchaus nicht überall als »produktiver« Teil der Volkswirtschaft. Man sah ihre Bedeutung darin, bestehenden Wohlstand zu transferieren, nicht darin, neuen Wohlstand zu schaffen. Die Ökonomen waren so überzeugt von der reinen Mittlerrolle des Finanzsektors, dass die meisten Leistungen der Banken, wie etwa ihre Rolle als Spar- und Kreditinstitute, in ihren Berechnungen der von der Wirtschaft produzierten Güter und Dienstleistungen noch nicht einmal auftauchten. Der Finanzsektor schlich sich gerade mal in Form von »Vorleistungen« in ihre Berechnungen des Bruttosozialprodukts ein, das heißt als Dienstleistungen, die zum Funktionieren anderer Industrien beitragen, die die eigentlichen Wertschöpfer sind.
Etwa um 1970 jedoch begann sich das zu ändern. Die volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen, die ein statistisches Bild von Größe, Zusammensetzung und Richtung einer Wirtschaft liefern, begannen den Finanzsektor in ihre Berechnungen des Bruttosozialprodukts, den Gesamtwert der von einer bestimmten Volkswirtschaft produzierten Güter und Dienstleistungen, miteinzubeziehen.Diese Änderung bei der volkswirtschaftlichen Bilanzierung ging einher mit der Deregulierung des Finanzsektors, die unter anderem für laxere Kontrollen bei der Höhe zu vergebender Kredite sorgte, der Höhe der Zinsen, die Banken verlangen, und hinsichtlich der Art der Produkte, die sie verkaufen konnten.
Zusammengenommen läuteten diese Neuerungen eine grundlegende Veränderung des Verhaltens des Finanzsektors ein und vergrößerten seinen Einfluss auf die Realwirtschaft oder »richtige« Ökonomie. Plötzlich war ein Job in der Finanzwelt keine biedere Laufbahn mehr; vielmehr bot sie smarten Leuten eine Möglichkeit, schnell viel Geld zu verdienen. Es kommt nicht von ungefähr, dass 1989, nach dem Fall der Berliner Mauer, einige der brillantesten Wissenschaftler aus dem Ostblock an der Wall Street landeten. Der Sektor expandierte und gewann an Selbstvertrauen. Ungeniert begann er mit dem Lobbying für seine Interessen; man sei schließlich ein entscheidender Faktor bei der Schaffung von Wohlstand, lautete die Begründung dafür.
Heute geht es längst nicht mehr um die Größe des Finanzsektors oder darum, dass er die gewerbliche Wirtschaft an Wachstum überrundet hat, sondern um seine Wirkung auf das Verhalten der übrigen Wirtschaft, von der bereits große Teile »finanzialisiert« sind. Finanzgeschäfte und die Mentalität, die sie gebären, durchdringen die Industrie, was sich etwa daran er sehen lässt, dass Manager – zur Manipulation von Aktienkursen, Optionen und ihrer eigenen Bezüge – einen Gutteil der Unternehmensprofite in Aktienrückkäufe stecken, anstatt sie in die langfristige Zukunft ihrer Unternehmen zu investieren. Sicher, sie nennen das Wertschöpfung, aber wie im Finanzsektor selbst handelt es sich in Wirklichkeit oft um das Gegenteil, um Wertextraktion beziehungsweise Wertabschöpfung.
Derlei Geschichten um die Wertschöpfung beschränken sich mitnichten auf die Finanzwelt. 2014 bezifferte der Pharmagigant Gilead eine dreimonatige Behandlung des lebensgefährlichen HepatitisC-Virus mit seinem Medikament Harvoni auf 94 500 Dollar. Gilead recht fertigte den Preis mit dem »Wert«, den das Medikament für das jeweilige Gesundheitssystem darstelle. Laut John LaMattina, dem ehemaligen Forschungs und Entwicklungschef beim Pharmakonzern Pfizer, recht fertige sich der hohe Preis von Spezialpharmazeutika aus dem Nutzen für die Patienten und die Gesellschaft ganz allgemein. In der Praxis bedeutet dies, dass man den Preis nach den Kosten kalkuliert, die der Gesellschaft entstünden, würde die Krankheit mit dem zweitbesten Medikament oder gar nicht behandelt. Die Branche spricht hier von »wertorientierter Preisgestaltung«. Kritiker dieser Praxis führen gerne Fallstudien an, denen zufolge es keinerlei Korrelation gibt zwischen dem Preis von Krebsmedikamenten und ihrem Nutzen.Ein interaktiver Rechner im Internet, mit dem sich der »korrekte« Preis einer Krebsdroge auf der Basis seiner abschätzbaren Charakteristika (Erhöhung der Lebenserwartung, Nebenwirkungen und so weiter) errechnen lässt, zeigt, dass der wertorientierte Preis für die meisten Medikamente unter dem des tatsächlichen gegenwärtigen Marktpreises liegt.
Trotzdem sinken die Preise für Medikamente nicht. Es sieht ganz so aus, als hätte die in der Branche gängige Darstellung der Wertschöpfung jeder Kritik den Wind aus den Segeln genommen. Tatsache ist, ein erheblicher Anteil der Gesundheitskosten in der westlichen Welt hat mit Gesundheitsfürsorge an sich nichts zu tun; es handelt sich bei diesen Kosten schlicht um den von der Pharmaindustrie abgeschöpften Wert.
Oder denken Sie an einschlägige Geschichten aus dem Hightech Sektor. Im Namen von Unternehmergeist und Innovation macht sich hier die Lobby der IT-Branche immer wieder für weniger Regulierung und eine bevorzugte steuerliche Behandlung stark. Unter dem Banner der »Innovation« als neuer Kraft des modernen Kapitalismus geriert sich das Silicon Valley erfolgreich als unternehmerische Kraft hinter der Schaffung von Wohlstand, die für die »schöpferische Zerstörung« sorgt, aus der die Arbeitsplätze der Zukunft entstehen sollen.
Diese zugegeben durchaus reizvolle Darstellung der Wertschöpfung hat nicht nur zu niedrigeren Sätzen bei der Kapitalertragsteuer für die Risikokapitalgeber hinter den Tech-Unternehmen geführt, sondern obendrein auch zu fragwürdigen steuerpolitischen Maßnahmen wie der »Lizenz oder Patentbox«. Letztere senkt den Steuersatz für Erträge aus dem Verkauf von Produkten mit patentiertem immateriellem Input, was angeblich Anreize bietet, indem es die Schaffung geistigen Eigentums belohnt. Es ist eine Maßnahme, deren Sinn sich nicht ganz erschließen will, schließlich sind Patente an sich schon Instrumente, die auf zwanzig Jahre Erträge aus Monopolen und damit hohe Profite garantieren. Es sollte nicht Ziel politischer Entscheidungsträger sein, die Profite aus Monopolen zu erhöhen, sondern vielmehr die Reinvestition solcher Profite, zum Beispiel in die Forschung, zu fördern.
Viele dieser sogenannten Wohlstandsschöpfer im Tech-Sektor, wie etwa der Mitbegründer von PayPal Peter Thiel, ziehen immer wieder gegen den Staat vom Leder, der ihrer Ansicht nach der Schaffung von Wohlstand nur im Wege steht.Thiel ging gar so weit, in Kalifornien eine »Sezessionsbewegung« ins Leben zu rufen, die die Schöpfer von Wohlstand weitestgehend von der Zuchtrute des Staats befreien soll. Und Eric Schmidt, CEO von Google, hat wiederholt behauptet, die Daten der Bürger seien bei Google sicherer als beim Staat. Eine solche Haltung nährt eine moderne Binsenweisheit: Unternehmen gut, Staat schlecht oder zumindest unfähig.
Das Problem ist nur, wenn Apple und Konsorten sich zur Rechtfertigung ihrer immensen Profite und Geldberge als moderne Helden gerieren, vergessen sie dabei geflissentlich die Pionierrolle, die der Staat im Bereich neuer Technologien seit jeher spielt. So erklärte Apple ganz ungeniert, seinen Beitrag zur Gesellschaft nicht in Form von Steuern leisten zu sollen, die Genialität seiner großartigen Geräte sollte doch wohl genügen. Nur, woher kam die smarte Technologie hinter diesen großartigen Geräten? Aus öffentlichen Mitteln! Internet, GPS, Touchscreen, SIRI wie auch die Algorithmen hinter Google – sie alle wurden von öffentlichen Einrichtungen finanziert. Sollte der Steuerzahler davon nicht etwas zurückbekommen – über eine Reihe zweifelsohne brillanter Gadgets hinaus? Aber allein schon diese Frage stellen zu müssen unterstreicht die Notwendigkeit eines radikal neuen Narrativs darüber, wer diesen Wohl stand überhaupt erst geschaffen hat und wer davon profitiert.
Aber wie genau passt nun der Staat in diese Geschichten um die Schaffung von Wohlstand? Wenn es in der Industrie derart viele Schöpfer von Wohlstand gibt, so drängt sich der Schluss auf, dass leichtfüßigen Bankern, hochwissenschaftlichen Pharmazeuten und geschäftstüchtigen Geeks am anderen Ende des Spektrums träge, wertabschöpfende Beamte und Bürokraten gegenüberstehen. Wenn in dieser Weltsicht die private Unternehmung der pfeilschnelle Gepard ist, der der Welt Innovationen bringt, dann ist der Staat eine schwerfällige Schildkröte, die den Fortschritt hemmt – oder, um eine andere Metapher zu bemühen, ein kafkaesker Bürokrat hinter Stapeln von Papier, umständlich und in effizient. Dieser Weltsicht nach ist der Staat nichts weiter als eine von der Steuerpflicht seiner leidgeprüften Bürger finanzierte Last für die Gesellschaft. Diese Geschichte endet immer auf dieselbe Weise: mit der Forderung nach mehr Markt und weniger Staat. Je schlanker, ranker und effizienter die Staatsmaschinerie, desto besser.
In all diesen Fällen, von der Finanzierung von Medikamenten bis hin zur Informationstechnologie, scheut der Staat keine Anstrengungen, um diese angeblich wertschöpfenden Individuen und Unternehmen anzuziehen, lockt sie mit Steuererleichterungen und Befreiungen von einer Bürokratie, die angeblich ihre wohlstandsschaffenden Energien hemmt. Die Medien loben Schöpfer von Wohlstand über den grünen Klee, Politiker hofieren sie, und für viele haben sie einen bewundernswürdigen Status, dem es nachzueifern gilt. Aber wer hat eigentlich entschieden, dass ausgerechnet sie Wert schaffen? Welche Definition von Wert zieht man hier zur Unterscheidung von Wertschöpfung und Wertabschöpfung beziehungsweise Vernichtung von Wert heran?
Warum haben wir uns dieses Narrativ so bereitwillig verkaufen lassen? Wie misst man vom öffentlichen Sektor geschaffenen Wert? Warum behandelt man den öffentlichen Sektor in der Regel einfach als ineffizientere Version des privaten Sektors? Was, wenn diese Geschichte in Wirklichkeit völlig haltlos wäre? Was, wenn dahinter nur eine Reihe tief verwurzelter Ideen stünde? Welche neuen Geschichten könnten wir dann erzählen?
Platon hatte erkannt, dass Geschichten Charakter, Kultur und Verhalten formen: »Zuerst also, wie es scheint, müssen wir Aufsicht führen über die, welche Märchen und Sagen dichten, und die Märchen, welche sie gut gedichtet haben, einführen, die andern aber ausschließen. Die eingeführten aber wollen wir Wärterinnen und Mütter überreden, den Kindern zu erzählen, um so noch weit sorgfältiger die Seele durch Er zählungen zu bilden, als mit ihren Händen den Leib. Von denen aber, die sie jetzt erzählen, sind wohl die meisten zu verwerfen.«
Für Platon gehörten dazu Mythen über ungezogene Götter. Das Buch, das Sie in Händen halten, beschäftigt sich mit einem moderneren Mythos über die Wertschöpfung in der Wirtschaft. Diese Art von Mythenbildung, so mein Argument, hat zu einer Wertabschöpfung von ungeheuren Ausmaßen geführt, die einigen Wenigen immensen Reichtum beschert, die Gesellschaft allgemein jedoch Wohlstand gekostet hat.
Sinn und Zweck dieses Buches ist es, diesen Stand der Dinge zu ändern, und das zunächst einmal durch eine Wiederbelebung der Wertdebatte, die früher im Herzen ökonomischen Denkens stand – und meiner Ansicht nach dort auch wieder hingehört. Wenn Wert sich durch den Preis definiert – der sich nach den angenommenen Kräften von Angebot und Nachfrage richtet –, dann schöpft eine Aktivität Wert, solange sie einen Preis erzielt. Demnach muss einer, der viel verdient, auch ein Wertschöpfer sein. Mein Argument läuft darauf hinaus, dass die Art und Weise, wie der Begriff »Wert« in der modernen Ökonomie zur Anwendung kommt, erheblich dazu beigetragen hat, dass wertabschöpfende Aktivitäten heute allenthalben als wertschöpfende Aktivitäten durchgehen. Im Verlauf dieses Prozesses verwechselt man Renten (unverdientes Einkommen) mit Profiten (verdientem Einkommen); die Ungleichheit steigt, und die Investitionen in die wirkliche Wirtschaft sinken. Schlimmer noch, wenn wir nicht mehr unterscheiden können zwischen Wertschöpfung und Wertabschöpfung, dann wird es auch nahezu unmöglich werden, die Erstere statt der Letzteren zu belohnen. Wenn wir smartes, also innovationsgetriebenes, integratives und nachhaltiges Wachstum wollen, müssen wir zu einem besseren Verständnis von Wert gelangen, das uns dabei als Leitstern zu dienen hat.
Es handelt sich hier, anders gesagt, nicht um eine abstrakte Debatte, sondern um eine mit weitreichenden – sozialen, politischen und ökonomischen – Konsequenzen für alle. Die Art, wie wir den Wert diskutieren, wirkt sich darauf aus, wie wir alle – vom Konzerngiganten bis zum bescheidensten Shopper – uns als ökonomische Akteure verhalten, auf die Art, wie dieses Verhalten in die Ökonomie zurückfließt, und wie wir deren Leistung messen. Philosophen sprechen hier von »Performativität«: Wie wir über etwas sprechen, wirkt sich auf unser Verhalten aus und damit wiederum auf die Art, theoretische Überlegungen darüber anzustellen. Es handelt sich mit anderen Worten um eine sich selbst bewahrheitende Aussage.
Oscar Wilde hat das Wertproblem treffend in einem seiner berühmten Bonmots erfasst, als er sagte, ein Zyniker sei einer, der von allem den Preis kenne, aber von nichts den Wert. Womit er Recht hatte – und in der Tat steht die Ökonomie im Ruf einer zynischen Wissenschaft. Aber genau das ist der Grund, weshalb eine Veränderung in unserem Wirtschaftssystem dadurch zu untermauern ist, dass wir den Wert wieder ins Zentrum unseres Denkens stellen. Wir brauchen eine Wiederbelebung unserer Fähigkeit, unsere Nutzung des Wertbegriffs infrage zu stellen; wir müssen die Debatte am Leben erhalten, und wir dürfen uns auf keinen Fall von simplen Geschichten erzählen lassen, wen wir für produktiv halten und wen nicht. Woher kommen diese Geschichten? In wessen Interesse erzählt man sie? Solange wir nicht definieren können, was eigentlich unter Wert zu verstehen ist, können wir weder dafür sorgen, dass wir Wert schaffen, noch diesen gerecht verteilen oder wirtschaftliches Wachstum aufrechterhalten. Ein Verständnis des Wertbegriffs ist also grundlegend für alle anderen Debatten, die es darüber zu führen gilt, wohin unsere Wirtschaft geht und wie wir ihren Lauf ändern können. Und erst – und nur – dann kann aus der zynischen Wissenschaft Ökonomie ein Hoffnungsträger werden.