Das Land der begrenzten Unmöglichkeiten
Lebensgefühl der digitalen Generation
Die Welt ist unübersichtlich geworden. Es gibt unbegrenzte Möglichkeiten, aber die alten Sicherheiten gelten nicht mehr. Die Popband Wir sind Helden bringt es auf den Punkt: Man könne »glücklich sein und trotzdem Konzerne leiten«, heißt es in einem Song, mit einer Hand die Welt tragen und mit der anderen Getränke anbieten – obgleich wir doch gar nichts wollen würden, wenn wir könnten wie wir wollten, obwohl doch alle etwas wollen sollen. Alles ist möglich, aber ist auch alles machbar?
Schon öfter wurde versucht, einen Namen für diese meine Generation zu finden. Derart hilflos sind die Versuche, der jungen Generation ein Label aufzukleben, dass man als Betroffener selbst nicht mehr weiß, welcher man sich nun zugehörig fühlen soll: Generation Golf, Generation MTV, Generation Chips, Generation Umhängetasche, Generation Kinderlos, Generation Global, Generation Porno, Generation iPod, Generation Krise und so weiter. Einzig unter dem Etikett der Generation Internet könnten wir uns noch wiederfinden, weil wir – anders als unsere Eltern – wie selbstverständlich im Netz leben; aber eine Generation allein über ihr Kommunikationsmittel zu beschreiben ist ebenfalls zu kurz gegriffen. Eine »Generation Telefon« oder eine »Generation Fernseher« gab es schließlich auch nicht.
In der postmodernen Gesellschaft bleibt die Suche nach Sinn und Identität jedem selbst überlassen, jenseits traditioneller Bindungen und Werte. Eine heterogene Gesellschaft lässt sich nur schwer nach soziologischen Kategorien fassen. Gerade die Jugend ist zu einer inhomogenen Gruppe geworden, die sich auf den ersten Blick nur durch kollektive Individualität auszeichnet, verbunden nur durch das zufällig gleiche Geburtsjahr. Weil wir uns als Individuen begreifen, spüren wir ein tief verwurzeltes Unbehagen, uns einem gemeinsamen Etikett unterzuordnen.
[…]
Wir mussten bitter lernen, dass die Heilsversprechen des freien Marktes, auf dem es jeder dank eigener Leistung schnell zu Wohlstand bringen kann, nicht aufgehen. Unser Freiheitsdrang und Erlebnisdurst stehen in krassem Widerspruch zum tagtäglichen ökonomischen Druck.
[…]
Als erstmals Die Zeit von der »Generation Praktikum« sprach, war das für viele ein intellektueller Befreiungsschlag. Nicht weil jeder von uns ein Praktikum nach dem anderen schieben würde – ein Symptom, von dem die brotlosen Geisteswissenschaften befallen sind, aber kaum die technischen Berufe –, sondern weil viele von uns das dumpfe Gefühl nicht loswerden, nichts wirklich richtig machen zu können, und nur schwer einen Einstieg in den Beruf finden. Das gilt nicht unbedingt für heiß begehrte Informatiker, aber doch für die große Mehrheit der jungen Generation, die oft nicht weiß, wohin, weil sie keiner haben will oder zumindest nicht anständig bezahlt. Erst jetzt verstanden wir, dass es nicht unser individuelles Versagen ist, wenn wir auf der Strecke bleiben, sondern die totale Marktkonkurrenz uns zu leichten Opfern der Ausbeutung macht. Erst jetzt lernten wir, gesellschaftliche Missstände überhaupt als solche zu erkennen, weil auch die Selbstoptimierung zur Ich-AG nicht vor Scheitern bewahrte. Erst jetzt lernten wir, die wir als Individualisten aufgewachsen waren, uns für eine gemeinsame Sache einzusetzen.
Nun fühlten wir zum ersten Mal, dass uns mehr verbindet als nur das zufällig gleiche Alter. Es ist dieses Unbehagen über die soziale Ungerechtigkeit und die Ohnmacht der Demokratie, die uns mehr eint als alles andere.
Dann brach am 15. September 2008 mit der Pleite der Investmentbank Lehman Brothers die größte Wirtschaftskrise seit der Großen Depression über die Welt herein. Und wir Jungen reagierten darauf – gar nicht. Nur ein subtiles Gefühl der Unsicherheit und Ohnmacht machte sich breit, ein skeptischer, unaufgeregter Realismus.
Uns wurde vorgeworfen, wir seien eine charakterlose Generation ohne Gesicht. Doch wir sind mehr als nur eine Anhäufung von Individuen, die zufällig im gleichen Jahrzehnt geboren wurden. Uns verbindet mehr: Freiheit, Globalisierung, Internet, grenzenlose Mobilität, ein friedliches Europa. Aber auch: Arbeitslosigkeit, Hartz IV, Klimawandel, der elfte September, Bankenkrise. Uns verbindet eine Schizophrenie aus Konsumismus und Postmaterialismus, eine bizarre Mischung aus materieller Sorglosigkeit und sozialem Leistungsdruck, persönlichem Zukunftsoptimismus und diffuser Zukunftsangst, politischer Entfremdung und dem Bewusstsein, dass doch alles nicht so bleiben kann, wie es ist.
Die Welt ist schlecht. Wir machen das Beste draus
Wir sind groß geworden in der Dauerkrise. Unsere Zukunftsmusik klingt nach Klimakatastrophe, Bildungsnotstand und Schuldenorgien, all dies auf Kosten von – uns. Aus der Perspektive eines greisen Wutbürgers würden sich uns drei Optionen anbieten, wie wir mit diesem Ausverkauf der Zukunft umgehen könnten: Entweder wir erstarren in Angst; oder wir verballern, was uns noch zur Verfügung steht, weil ohnehin alles verloren ist; oder aber wir gehen wütend auf die Barrikaden.
Doch all das traf bislang nicht ein. Die Altprotestler übersehen, dass ihre entscheidende Grundannahme falsch ist: Denn wir fühlen uns nicht als Opfer. Egal welche Krise auch über uns hereinbricht, wir vertrauen darauf, dass wir unser Leben schon irgendwie meistern werden. Selbst der Beinahe-Systemkollaps des Kapitalismus konnte der jungen Generation ihren Optimismus nicht verderben. Wir waren die Verlierer der Krise: als junge Arbeitnehmer, die am schnellsten entlassen wurden; als Schulabgänger, die keinen Ausbildungsplatz fanden; als Generation insgesamt, weil wir unser Leben lang für die Schulden haften müssen, die eine alte Politikergeneration zur Rettung abgewirtschafteter Banken und Autokonzerne auftürmte. Doch wir sind darüber weder schockiert noch wütend. Weit schlimmer: Wir sind darüber nicht einmal erstaunt. Für uns angebliche »Krisenkinder« (so eine Spiegel-Titelstory) ist die Krise der wenig überraschende Normalzustand.
[…]
Weder Krise noch düstere Zukunftsszenarien bringen die junge Generation von ihrer optimistischen Grundhaltung ab. Wir sind zwar beunruhigt, verfallen aber nicht in Panik. Wir sind nicht vor Angst erstarrt, sondern bleiben gelassen. Wir verlassen uns nicht mehr auf den Staat, sondern helfen uns selbst. Weil wir nicht einmal von den Exzessen der Banken und Spekulanten entsetzt sind – wir wussten ja schon immer, dass es da nicht mit rechten Dingen zugeht –, treibt uns auch der Tagtraum der Weltrevolution nicht auf die Straße. Für uns ist die Ungerechtigkeit des Wirtschaftssystems erschreckend normal.
Von der Zukunft erwarten wir nicht viel, außer der nächsten Krise. Doch wir bleiben seltsam gelassen. Obwohl es keinen Fahrplan gibt, glauben wir, dass wir schon irgendwie am Ziel ankommen werden. Wir werden das schon schaffen, haben nur keine Ahnung, wie.
Wir definieren das gute Leben neu: Wir träumen nicht von »immer mehr« und materiellem Überfluss, fürchten uns aber auch nicht vor existenzieller Not, sondern sind glücklich und zufrieden, wenn wir gelassen leben können. Bei Mittelschichtskindern, die bei roten Kontoziffern notfalls ihre Eltern anpumpen können, ist diese materielle Unbekümmertheit sicherlich stärker ausgeprägt als bei Arbeiterkindern, die immer noch eher auf eine solide Berufswahl achten. Aber trendmäßig lässt sich beobachten: Wir jagen nicht dem nackten Konsum und der dicken Knete hinterher. Lieber suchen wir ein bescheidenes Glück im Hier und Jetzt.
Das klingt sonderbar für eine Generation, der aalglatter Karrierismus und Konsumgeilheit vorgeworfen werden. Wir sind in der Tat hedonistische Wesen, die mit ihrer Konsumlaune unzählige Coffee Shops, H&M-Stores und neuerdings Bubble-Tea-Läden am Laufen halten. Gleichwohl ist unsere Einstellung zum Leben durchdrungen von postmateriellen Idealen, von der Sehnsucht nach Freiheit, Selbstbestimmtheit und Verlässlichkeit. Wir sind pragmatisch, aber nicht angepasst. Dem Kapitalismus können wir einiges abgewinnen. Planwirtschaftliche Utopien liegen uns fern. Wir glauben an den Markt. Wir glauben aber nicht, dass es auf dem Markt gerecht zugeht. Fleiß und Leistung stehen bei uns hoch im Kurs, aber der Spaß darf nicht zu kurz kommen. Wir wollen das Leben intensiv genießen. In einer Zeit, in der die Berufswelt brüchig wird, sind uns Familie und Freunde umso wichtiger.
Unbekümmert tun viele junge Leute, worauf sie wirklich Lust haben, weil sie – so blauäugig das auch erscheinen mag – nicht nur an das verlässliche Einkommen denken. Lieber drehen wir Filme, mit denen wir bestimmt irgendwann ganz groß rauskommen, und halten uns währenddessen mit Kellnern über Wasser – statt der soliden Banklehre, die uns Papa »einzubläuen« versuchte. Hauptsache, es reicht fürs WG-Zimmer und die Clubnacht am Wochenende. Mehr brauchen wir gar nicht.
Die Überzeugung ist uns ins Blut übergegangen, dass wir uns auf den Sozialstaat nicht mehr verlassen können und für uns selbst sorgen müssen. Einerseits betrachten wir es als selbstverständlich, schon vom ersten Gehalt – und oft schon davor vom Konto der Eltern – ein paar Euro für den Renten- oder Bausparvertrag abzuzwacken. Andererseits ist es uns fremd, uns richtig um das Dasein sorgen zu müssen.
Wir hatten immer eine warme Wohnung, genug zu essen, ein schnelles Internet. Wir sind vielmehr gar nicht in der Lage, uns echte Sorgen zu machen. Unser Urvertrauen verspricht, dass es uns schon irgendwie gutgehen wird. Uns ist nur etwas schleierhaft, wie.
In einer Gesellschaft, in der ökonomischer Druck um sich greift, sind wir bescheidener geworden. Unser Ideal ist nicht das große Geldmachen. Sinnfreie Kapitalakkumulation ist nicht unser Ding. Sorgenfrei und selbstbestimmt leben zu können ist für uns wichtiger, als viel zu verdienen. Wir stecken lieber beim Gehalt zurück, wenn dafür das Einkommen verlässlich ist oder wir den Beruf mit unserem Leben vereinbaren können. Wichtiger als der fette Reichtum sind uns Freiheit, Selbstverwirklichung und nicht zuletzt Geborgenheit. Gut leben statt viel haben – wer hätte gedacht, dass diese Utopie verträumter Umweltbewegter sich gegenwärtig über den Umweg der Kapitalismuskrise zu verwirklichen andeutet?