Warum dieses Buch?
Die Globalisierung war einst ein Versprechen von mehr Innovation, Wachstum und Wohlstand dank dem freien Austausch von Waren und Ideen. Heute ist Globalisierung ein Experiment, für das jedes Land sein Möglichstes tut, die Nachfrage der anderen zu befriedigen, indem es die eigene unterdrückt. Das Ziel: mehr zu exportieren als alle Konkurrenten. Der inzwischen allgegenwärtige Begriff der Wettbewerbsfähigkeit steht für den Versuch, in diesem idiotischen Nullsummenspiel die anderen zu Verlierern zu machen, bevor man selbst unter die Räder gerät.
Die Globalisierung hinterlässt wenige Sieger, einige, die noch hoffen, und viele, die resigniert haben, weil sie keine Alternative sehen. Gibt es denn eine? Natürlich! In unserem Buch zeigen wir sie auf. Wir werfen einen unaufgeregten Blick auf die Gegenwart und stellen fest, dass auch heute zwischen 80 und 90 Prozent unserer Bedürfnisse durch lokale und nationale Arbeit befriedigt werden. Weil persönliche Dienstleistungen wichtiger werden und neue Technologien die Industrieproduktion verändern, nimmt der lokale Gehalt der Wertschöpfung tendenziell zu. Zwar werden Importe für unseren Wohlstand auch in Zukunft eine gewisse Rolle spielen. Richtig bleibt auch, dass wir Einfuhren letztlich mit Ausfuhren finanzieren müssen. Doch das ist noch lange kein Grund, die Exportfähigkeit zum Fetisch unserer Wirtschaftspolitik zu machen. Wir müssen vielmehr das Schwergewicht auf Befriedigung und Nutzbarmachung unserer eigenen Bedürfnisse legen. Dazu braucht es eine Politik, die sich am Wachstum ökologischer Systeme orientiert sowie lokale Rückkoppelungskreisläufe entwickelt und pflegt. Diese lokale Zukunft hat fast alle Vorteile auf ihrer Seite, aber auch ein wichtiges Handicap – sie wird in der öffentlichen Meinung bislang gar nicht als Möglichkeit wahrgenommen. Unsere ganze Aufmerksamkeit gilt dem Erhalt der globalen Wettbewerbsfähigkeit, dem Kampf gegen den ständig drohenden Abstieg.
Dabei ist eine andere, lokalere und weit bessere Zukunft nicht nur möglich, wir bewegen uns sogar auf sie zu: Unsere Bedürfnisse nach Gütern und Dienstleistungen, die mit Vorteil an Ort und Stelle für den lokalen Gebrauch erzeugt werden, nehmen laufend zu. Auch die modernen Produktionstechnologien entscheiden sich in einem wichtigen Punkt von den alten: Sie brauchen weniger Kapital und weisen kaum noch Skalenerträge auf. Das bedeutet, dass kleine Serien nicht minder kostengünstig hergestellt werden können wie grosse. Und weil der Distributionsaufwand bei einer dezentralen Produktion – mithin nahe beim Konsumenten – abnimmt, wird die lokale Produktion insgesamt günstiger.
Der weitaus wichtigste Vorteil einer lokaleren Produktionsweise liegt jedoch auf einer anderen Ebene: Die global organisierte Wirtschaft zwingt auch der Gesellschaft ihre Regeln auf. Doch widerspricht es unserer Natur, global gesteuert zu werden. Der Mensch braucht lokale, familiäre Bezüge. Alle tragenden Institutionen sind lokal und national. Der grösste Nachteil der globalen Wirtschaft ist nicht ihre zunehmende Ineffizienz, sondern die Tatsache, dass sie die Gesellschaft desorganisiert. Die Beispiele dafür sind allgegenwärtig. Eine lokal organisierte Wirtschaft eröffnet die Möglichkeit, unsere Gesellschaft wieder »artgerecht« zu organisieren.
Doch genau darin liegt die Schwierigkeit der Operation «lokal statt global«: Sie erfordert einen radikalen Strukturwandel, der mächtige Interessen gefährdet. Die Multis dieser Welt haben riesige Produktionsketten und Distributionsapparate aufgebaut, um ihre Produkte über die ganze Welt zerstreut herzustellen, zu verteilen und zu bewerben. Sie werden diese Investitionen nicht kampflos preisgeben – und sie werden dabei von allen Regierungen unterstützt, denen sie mit Abbau von Arbeitsplätzen drohen können.
Das erste Hindernis auf dem Weg zu einer intelligenteren Zukunft ist jedoch nicht die Macht der Multis, sondern der bedauerliche Zustand der etablierten Ökonomie. Sie hat ihren viel zu engen Blick auf die Realität in den letzten Jahren noch einmal entscheidend verengt. Damit ist sie längst nicht mehr in der Lage, die richtigen Fragen zu stellen oder eine Alternative zu noch mehr Globalisierung überhaupt zu erkennen. Fast alles, worauf es im wirklichen Leben ankommt, liegt ausserhalb ihres Horizonts. Die Art und Weise, wie wir heute über Wirtschaft nachdenken und wie Wirtschaftspolitik betrieben wird, ist zu einer Gefahr für die Menschheit geworden. Der grösste Fehler des etablierten Ökonomiebetriebs liegt darin, dass er den Begriff Wirtschaft auf das beschränkt, was für Geld produziert und getauscht wird. Die einzige Instanz der Bedürfnisbefriedigung ist das Unternehmen. Dabei sind die produzierten Autos, Fernsehgeräte, Mars-Riegel und Fernsehserien nur ein kleiner Ausschnitt aus der reichhaltigen Bedürfnispalette der Menschen. Diese Wünsche und Ansprüche werden nicht nur durch Unternehmen gedeckt, sondern auch durch soziale Organisationen wie Familien, Vereine oder Nachbarschaften.
In diesem Buch fassen wir diesen Bereich unter dem Begriff der Selbstversorgung zusammen und unterscheiden ihn von der Geldwirtschaft. Dazwischen liegen gemäss diesem Verständnis lokale Währungen und Tauschgemeinschaften. Eine als Sozialwissenschaft verstandene Ökonomie darf sich deshalb nicht auf die Frage beschränken, unter welchen Rahmenbedingungen Unternehmen am effizientesten produzieren. Vielmehr geht es darum, die ganze Palette der Bedürfnisse ins Auge zu fassen und sich zu fragen, welche sozialen Organisationsformen welche Bedürfnisse am besten abdecken. Und wie wir das Zusammenspiel dieser Organisationen am optimalsten organisieren. Die Geldwirtschaft und die daran beteiligten Unternehmen sind nur ein Teil dieses Orchesters.
Innerhalb der Geldwirtschaft nehmen die global tätigen Unternehmen zunehmend eine Vorrangstellung ein. Sie produzieren weltweit in grossen Mengen dort, wo die Kosten am tiefsten sind. Und sie verkaufen ihre Produkte da, wo die Kaufkraft hoch und die Margen satt sind. Damit sind sie rein betriebswirtschaftlich sehr effizient. Doch wir erlauben uns, die Frage nach dem volkswirtschaftlichen Nutzen von Multis zu stellen. Das Urteil fällt negativ aus:
• Viele Multis geben für Werbung und Vertrieb mehr aus als für die Produktion. Dank ihres Marketingwissens und kraft ihrer immensen Datenbanken fällt es ihnen leicht, künstliche Bedürfnisse zu wecken. Im Erkennen von echten Bedürfnissen sind ihnen jedoch die lokal verankerten sozialen Organisationen weit überlegen.
• Mit ihrer Marktmacht generieren Multis hohe Gewinne, die sie zunehmend ungleich verteilen. Sie schaffen damit eine Wirtschaft, in der vor allem die Gelüste von wenigen, mit Kaufkraft ausgestatteten Reichen befriedigt werden, während die echten Bedürfnisse einer Mehrheit auf der Strecke bleiben.
• Mit ihrem gebieterischen Verlangen nach billigen, jederzeit flexibel einsetzbaren Arbeitskräften zerstören Multis das soziale Gefüge und damit die Grundlage, auf der die Selbstversorgungswirtschaft gedeihen kann.
Die etablierte Ökonomie scheint derzeit unfähig, die volkswirtschaftliche Effizienz multinationaler Unternehmen in Frage zustellen. Dies liegt unter anderem daran, dass sie immer noch im Harmoniedenken des allgemeinen Gleichgewichts gefangen ist. Diese Theorie kennt keinen Widerspruch zwischen dem Gewinnstreben der Unternehmen und dem Allgemeinwohl. Nach ihrer Lesart sorgt der Wettbewerb für mehr Effizienz, die wiederum allen zugutekommt. In der Realität steigern Unternehmen ihren Profit jedoch nicht nur durch mehr Effizienz, sondern auch durch Ausbeutung. Ob die Wirtschaft im Effizienz- oder im Ausbeutungsmodus arbeitet, hängt vor allem vom Arbeitsmarkt ab. Ist er im Gleichgewicht, müssen die Unternehmen Effizienzgewinne via höhere Löhne oder tiefere Preise mit den Arbeitnehmern teilen. Ist der Arbeitsmarkt aus der Balance, führen Produktivitätsfortschritte zu Stellenabbau und zu sinkenden Löhnen. Globale Produktionsketten und die Möglichkeit, Arbeitnehmer unterschiedlicher Länder gegeneinander auszuspielen, begünstigen den Ausbeutungsmodus. Eine solche Wirtschaft ist nur aus Sicht der Sieger effizient.
Die globale Wirtschaft und die Finanzindustrie haben einen Grad an Komplexität erreicht, der unser Denkvermögen überfordert. Das zeigt sich etwa am Beispiel der aktuellen Endlosdiskussion über das sogenannte Quantitative Easing (QE). Wer diesen Begriff googelt, erzielt mittlerweile 13,3 Millionen Treffer. Gemeint ist damit der massenweise Aufkauf von Staatspapieren durch die US-Notenbank, die Bank of England und die Bank of Japan mit dem Zweck, die Aktivseite der Geschäftsbanken mit billigem Notenbankgeld aufzufüllen. Ursprüngliches Ziel der Übung war es, einerseits mit billigen Krediten einen Boom der Aktien und/oder Immobilienmärkte zu erzeugen; das sollte andererseits die Haushalte animieren, mehr Geld auszugeben und so die Wirtschaft anzukurbeln. Bei Redaktionsschluss dieses Buches wurde in der Szene der Ökonomen vor allem heiss über die Frage diskutiert, ob ein drohender Einbruch der überzogenen Aktienkurse und Immobilienpreise nicht das baldige Ende des Quantitative Easing bedeuten könnte.
Ökonomiestudenten im ersten Semester hätten wahrscheinlich vor dreissig Jahren noch naiv, aber treffend gefragt: »Warum kurbelt man die Konjunktur nicht einfach mit höheren Löhnen an?« Doch auf die naheliegende Idee, die Haushalte über Lohnerhöhungen mit der nötigen Kaufkraft auszustatten, kommt heute niemand mehr. Für diese Denkblockade gibt es diverse Gründe:
Erstens senken steigende Löhne die Konkurrenzfähigkeit. Das ist ein riesiges Problem für alle, die fest daran glauben, dass zusätzliche Nachfrage nur durch steigende Exporte möglich ist.
Zweitens kann es den Ruf eines Ökonomen schädigen, wenn er sich mit Fragen der Einkommensverteilung befasst. Die Fähigkeit, Verteilungsfragen konsequent auszublenden, unterscheidet den seriösen Ökonomen schliesslich vom Klassenkämpfer und vom Gewerkschaftssekretär. Zwischen den beiden vermeintlichen Denkschulen liegen im Übrigen mindestens zwei Lohnklassen.
Drittens sind Ökonomen gebannt von kurzfristigen Veränderungen, von »hochfrequenten Mikrodaten«. Das Lohnniveau ändert sich im besten Fall jährlich; bis die entsprechenden Daten publik werden, dauert es zwei Jahre. In der Zwischenzeit ist bereits 24 Mal die »Sparneigung« gemessen worden. Wenn man diese Zahlen mit den Börsenkursen korreliert, lassen sich daraus »Elastizitäten« ableiten, denen man den bedeutungsvollen Namen »Wealth Effect« geben kann. Wenn sich diese intellektuelle Spielerei erst einmal eingebürgert hat, kann man daraus sogar noch eine Politik entwickeln, eben das Quantitative Easing. In Wirtschafts-Talkshows und Zeitungskommentaren wird über dessen Für und Wider endlos debattiert. Das generiert Aufmerksamkeit und Umsätze – und lenkt von den eigentlichen Problemen ab.
Doch verharren wir noch kurz bei einem Nebenproblem. Beim Quantitive Easing geht es um einen kleinen Teilaspekt der grossen, dominierenden Frage: Wie bringen wir die Staaten dazu, ihre Schulden abzubauen oder wenigstens nicht weiter anzuhäufen? Und wie können wir – bis es so weit ist – den grossen Finanzkollaps vermeiden? Bei dieser Diskussion offenbart sich eine weitere, nahezu unglaubliche intellektuelle Schwäche der etablierten Ökonomie: mangelnde Kenntnis der Grundlagen. Die Staatsschulden sind eine isolierte Grösse aus der nationalen Buchhaltung. Den Schulden des Staates stehen die Guthaben der drei übrigen Sektoren gegenüber – Unternehmen, private Haushalte und Ausland. Der Sektor Ausland wiederum besteht aus Staat, Unternehmen und Privataushalten. Will der Staat also Schulden abbauen, muss mindestens ein anderer Sektor Guthaben abbauen. Deshalb kann man schlecht über den Abbau von Staatsschulden diskutieren, ohne sich Gedanken darüber zu machen, wie sich die Schulden und Guthaben der anderen Sektoren verändern. Doch das kümmert offenbar kaum jemanden. Alle fordern den Abbau von Staatsschulden. Keiner spricht davon, wie man im Gegenzug den Unternehmenssektor dazu bringt, seine exorbitanten Gewinne zu reduzieren.
Dass man auch über Schulden diskutieren kann, ohne den Boden unter den Füssen zu verlieren, zeigt der Ethnologe David Graeber in seinem Buch Schulden – die ersten 5000 Jahre auf. Seine Motivation für die Publikation beschreibt er wie folgt: »Ich habe bei meinen Feldforschungen in Madagaskar erlebt, dass Kinder an Malaria gestorben sind, weil die Regierung aus Spargründen die Bekämpfung der Moskitos eingestellt hatte. Die Regierung wiederum sparte, weil sie vom Internationalen Währungsfonds dazu gezwungen wurde. Als ich diese und andere Geschichten zu Hause erzählte, sagte man mir: ‹Warum regst du dich auf? Schulden muss man doch bezahlen?› Das hat mich zunächst nachdenklich und danach neugierig gemacht. Ich wollte wissen: Warum ist die Schuldenmoral so absolut unanfechtbar? Warum ist das Bezahlen von Bankschulden wichtiger als das Leben von Babys?«
Seine Neugier hat Graeber dazu geführt, die Schuldenfrage in einem ganz anderen Licht darzustellen. Für ihn sind finanzielle Verbindlichkeiten nur ein kleiner Ausschnitt aus dem komplexen Netz der zwischenmenschlichen Verpflichtungen und Ansprüche von Schuld und Sühne. Deren Besonderheit liegt für ihn darin, dass finanzielle Schuldverhältnisse bezifferbar sind und dadurch ihren zwischenmenschlichen Bezug verlieren. Andere Verpflichtungen werden nicht eingefordert, wenn das für die Schuldner eine Zumutung bedeutet oder wenn zwischen dem Nutzen des Gläubigers und dem Aufwand für den Schuldner ein grobes Missverhältnis besteht. Bei finanziellen Forderungen verschwindet diese Beisshemmung. Das erklärt ein Stück weit die Rolle, die die herzensgute Frau Merkel in der Bewältigung der Eurokrise spielt. Die Unmenschlichkeit ihrer Vorgehensweise liegt nicht an der Person, sondern in der Natur ihrer Forderung.
Graeber ist einer von vielen Ethnologen, Soziologen, Historikern und Ökonomen, die uns geholfen haben, die Geldwirtschaft in einem grösseren sozialen Kontext zu sehen: als eine von vielen sozialen Institutionen, die Bedürfnisse befriedigt, soziale Verpflichtungen verrechtlicht und damit auch moralische Massstäbe setzt – nicht immer zum Guten. So gesehen segelt unser Buch mitten im Mainstream. Wir wollen die Ökonomie nicht neu erfinden. Im Gegenteil: Wir wenden ihre ganz banalen Buchhaltungsregeln an und benutzen dabei die offiziellen Zahlen und Statistiken der OECD, der EU sowie anderer anerkannter Quellen. Wir nehmen uns dabei aber die Freiheit heraus, uns immer wieder aus dem Korsett der orthodoxen Theorien zu befreien und Ausflüge in andere Disziplinen zu unternehmen.
Das Ergebnis unserer Bemühungen hat uns selbst erstaunt. Und es stimmt uns optimistisch: Wenn man die Grenzen der etablierten Ökonomie sprengt, die Ökonomie von den Bedürfnissen her denkt und das Puzzle der Wirtschaft neu zusammensetzt, wird einiges klarer, was bisher verschwommen war. Es zeigt sich, dass wir bereits unterwegs sind in eine Zukunft, in der die Bedürfnisse vermehrt lokal geweckt und lokal gedeckt werden und in der Multis nur noch eine untergeordnete Rolle spielen. Das eröffnet die Perspektive auf eine neue Marktwirtschaft, die dezentraler organisiert ist und auf Massenproduktion und Skaleneffekte verzichten kann. Eine solche Wirtschaftsordnung ist keine nostalgische Rückkehr in die Vergangenheit. Ohne moderne nachhaltige Energieformen, ohne Internet, ohne Solarchemie, ohne intelligente Netze oder 3-D-Printer wird es keine lokalere, im menschlichen Sinn effizientere und damit auch ökologischere Zukunft geben. Die Technologie allein kann es aber nicht richten. Noch droht uns eine globalisierte Zukunft, in der die Produktion zwar o.k. ist, aber alles andere und insbesondere die Gesellschaft k.o.
Um diese Entwicklung zu verhindern, müssen wir uns von der fixen Idee lösen, dass die Wirtschaft unsere Gesellschaft in erster Linie durch die Menge ihrer Produkte beeinflusst. Viel wichtiger für unser Glück und Wohlbefinden ist die Art und Weise, wie die Wirtschaft unsere Gesellschaft organi- siert oder desorganisiert. Dieses Buch ist deshalb nicht nur eine Gebrauchsanweisung für eine intelligentere Zukunft, sondern auch eine Abrechnung mit der etablierten Schmalspurökonomie.