Sorgen und Gründe

Leseprobe "In der internationalen Politik greift Misstrauen um sich. Eskalationen und Konflikte nehmen zu. Bisherige Partner werden sich fremd. Einen der wichtigsten Krisenherde bilden die Wirtschafts- und Handelsbeziehungen."
Sorgen und Gründe

Foto: Patrik Stollarz/AFP/Getty Images

Einleitung
»Krieg, Handel und Piraterie«

Wer zu diesem Buch greift, macht sich vermutlich Sorgen über den Zustand der Welt. Die Sorgen sind berechtigt. In der internationalen Politik greift Misstrauen um sich. Eskalationen und Konflikte nehmen zu. Bisherige Partner werden sich fremd. Einen der wichtigsten Krisenherde bilden die Wirtschafts- und Handelsbeziehungen. Dort wird immer öfter von Konflikt und sogar von Krieg gesprochen. Das ist nicht bloß eine Redensart, es ist ein Alarmsignal. Wirtschaftliche Konflikte wachsen sich oft zu militärischen aus. Dieses Buch handelt von den Gründen dafür und zeigt, was sich tun lässt, damit es beim friedlichen Wettstreit bleibt.

Ist Wirtschaftskrieg in Sicht? Die Frage macht weltweit Schlagzeilen, seit in den Vereinigten Staaten von Amerika Präsident Donald John Trump regiert. In Deutschland ist »Wirtschaftskrieg« fast schon ein unflätiges Wort, denn Wirtschaftskrieg führen, so etwas tut man einfach nicht. Andere westliche Nationen sind da robuster: In Paris lehrt seit 1997 die staatlich anerkannte Ecole de Guerre Economique wirtschaftliche Kampftechniken, die aus militärischem und kriegerischem Denken entwickelt werden. Die Briten haben den Wirtschaftskrieg geradezu erfunden, und sie stehen dazu. In den USA ist das Thema Wirtschaftskrieg seit Jahrzehnten populär, auch wenn die behaupteten ausländischen Aggressoren wechseln. Wie populär, das zeigt der Erfolg des Films »Death by China«. Er lief lange erfolgreich bei Netflix und wurde bei YouTube schon mehr als eine Million Mal angeklickt.Der Film übersetzt die Wirtschaftsbeziehungen der USA mit der Volksrepublik China in Bilder von chinesischen Bombern, Schlachtschiffen und U-Booten, die Amerika zerstören. Das wird zu Recht als Agitprop kritisiert. Breitenwirkung hatte es trotzdem, und zwar lange vor den jüngsten Präsidentschaftswahlen. Der Autor von Buch und Film »Death by China«, Peter Navarro, ist heute als »Direktor für Handel und Industriepolitik« Leiter des neu geschaffenen Nationalen Handelsrats der USA. Das Thema Wirtschaftskrieg sollte besser nicht Agitatoren und Propagandisten überlassen werden. Es gehört für alle auf die Tagesordnung, die ihr Grundlagenwissen in Wirtschaftsfragen, ihr Urteilsvermögen und ihren politischen Orientierungssinn stärken wollen – auch in Deutschland.

Wie so oft lässt sich dabei ein Goethewort zitieren. In der Tragödie »Faust« wird der ziemlich weltläufige Teufel Mephistopheles als Kauffahrer ausgesandt. Er kehrt zurück als Chef einer Piratenflotte, und verkündet bei seiner Ankunft gutgelaunt, die Veränderung seiner Rolle habe sich eben im gleitenden Übergang so ergeben, denn: »Krieg, Handel und Piraterie, / Dreieinig sind sie, nicht zu trennen.«Sieht er da richtig, oder ist das bloß eine Schutzbehauptung und Spötterei über die göttliche Dreifaltigkeit? Ist nicht im Gegenteil Handel auf Frieden angewiesen, und schützt nicht gerade friedlicher Handel miteinander vor Krieg gegeneinander? Leider lässt sich tatsächlich ein großer Teil der Weltgeschichte als zeitlich und sachlich enger Zusammenhang von Krieg, Handel und Piraterie erzählen und erklären.Die entsprechenden Beispiele und Methoden reichen von der Geschäftsanbahnung per Kanonenbootbis zur Belieferung des eigenen Kriegsgegners,vom Schießkrieg um Rohstoffe und Absatzgebiete bis zum Schadvirus zur Vernichtung von Produktionsanlagen, vom mörderischen Kolonialismus bis zur unblutigen Ausbeutung sozialistischer Brudervölker per Transferrubel.Kaperkrieg hat sogar Brandenburg-Preußen geführt, und in diesem Erwerbszweig ist meist des einen Seeheld des andern Pirat.Auch schützen selbst intensive Wirtschaftsbeziehungen nicht immer vor Krieg, und manchmal brüten gerade sie Kriegsgründe aus.Kurz: Im Handeln der Nationen sind die Grenzen zwischen konstruktivem und destruktivem Verhalten immerfort fließend, und in der Zeit folgen und mischen sich unaufhörlich Kooperation und Konfrontation.

Woran liegt das? Darauf geben unterschiedliche Denkschulen unterschiedliche Antworten. Die Denkweisen und Antworten hängen zu einem erheblichen Teil davon ab, welches Menschenbild ihnen zugrunde liegt und welches Verständnis davon, was im tiefsten Grunde vor sich geht in der (Welt)Wirtschaft, in den Staaten und im »Spiel der Kräfte in der Weltpolitik« (Wilhelm G. Grewe). Ist der Mensch von Natur aus gut und wird nur durch herrschende Umstände verdorben, oder ist er gefährlich und bedarf der Zügelung? Vollzieht sich in der (Welt)Wirtschaft ein eher partnerschaftliches Miteinander oder ein eher wettbewerbliches Gegeneinander? Herrschen in modernen Industriestaaten, soweit es um Krieg und Frieden geht, mächtige Interessengruppen oder gemeinwohlorientierte Politiker? Erstreben diese vorrangig (noch) mehr Profite für die heimische Wirtschaft oder leitet sie zuallererst die Sorge um die nationale Sicherheit und Wohlfahrt? Dominieren weltweit in den Staatenbeziehungen – wenigstens seit 1945 oder seit 1989 – vornehmlich Freundschaft und das gemeinsame Bemühen ums globale Gemeinwohl oder spielen noch immer Rivalität, Großmachtpolitik und die Furcht vor dem Aufstieg bösartiger Anderer kräftig mit? Die Autoren dieses Buches neigen zu der jeweils zweiten Vermutung. Das wird eingangs des 1. Kapitels kurz begründet, und unserer Meinung nach von diesem Buch als ganzem bestätigt. Dabei geht es nicht darum, Monster zu beschwören oder Kreuzzüge auszurufen. Wir wollen zeigen, wie über den Zusammenhang von Wirtschaft und Macht gedacht werden sollte, nicht was.

Die Erscheinungsformen von Wirtschaftskrieg sind vielgestaltig und vielschichtig. In ihnen verschlingen sich alle möglichen Faktoren und Wirkungen. Wirtschaftskriege lassen sich darum historisch, ökonomisch, rechtswissenschaftlich, politikwissenschaftlich, ethisch, ideengeschichtlich und spieltheoretisch beschreiben und analysieren. Interdisziplinäre Darstellungen wie unsere sind selten.Die Studien der Einzeldisziplinen dagegen und die einschlägigen Staatsakten füllen Bibliotheken. Die Fülle des Materials wächst täglich und immer schneller. Gerade darum halten wir ein Buch wie dieses für hilfreich.

25.04.2019, 11:08

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