Interaktion

Keynote Lectures Die Konferenz bietet Raum, um aus dem künstlerischen Einzelkämpfer*innendasein herauszutreten und kollektive Prozesse in Gang zu setzen. Vier Keynote Lectures vertiefen die Debatten
Tarik Tesfu (Foto: Felix Meinhardt)
Tarik Tesfu (Foto: Felix Meinhardt)

4 Keynote Lecturesvertiefen die Debatten.

Jagoda Marinić untersucht die Bruchstellen einer pluralen Gesellschaft, die weniger durch den „Kampf um Integration“ auseinander driftet, als vielmehr durch ein erstarktes illiberales, autoritäres Demokratieverständnis.

Jagoda Marinić:„Gegen die Verrechtsung der Welt! – Von funktionalen und dysfunktionalen Parallelgesellschaften“

Jahrelang haben große Teile der deutschen Politik und Öffentlichkeit sorgenvoll auf „die Parallelgesellschaften“ geblickt, ohne zu bemerken, dass auch die deutsche Mehrheitsgesellschaft in einer vielfältigen Gesellschaft zur Parallelgesellschaft werden kann.

Mit Pegida zeigte sich plötzlich ein Teil dieser isolierten Mehrheitsgesellschaft, die sich nicht als Teil des demokratischen „Wir“ einer Einwanderungsgesellschaft verstehen möchte, sondern als traditionelle Mehrheit, die gegenüber Minderheiten gewisse Vor-Rechte in diesem Land haben müsste. Erneuerungen wie die Liberalisierung des Staatsbürgerschaftsrechts gingen an Vertretern dieser Parallelgesellschaft vorbei. Statt dem entgegenzuwirken und nun mehr „Wir“ zu fordern, wird das diverse Deutschland zunehmend von rechten Diskursen überlagert. Ein Diskurs, der mit der Realität deutscher Städte nicht positiv umzugehen weiß und dem gegenwärtigen Zusammenleben somit wenig Konstruktives bieten kann.

Solche rechten, autoritären Diskurse finden sich jedoch in unterschiedlichen gesellschaftlichen Milieus und ethnischen Gruppen. Nicht das Sprechen unterschiedlicher Muttersprachen oder familiäre Herkunftsländer trennen Gruppen zunehmend voneinander, sondern ihr Demokratieverständnis. Dabei gehen die gefährlichen Parallelstrukturen eben nicht entlang religiöser oder kultureller Grenzen. Anhänger antidemokratischer, autoritärer Strukturen, ganz gleich welchen kulturellen Hintergrunds, bekämpfen liberale, humanistische Standpunkte. Ein Kampf der Demokraten gegen Anti-Demokraten. Wobei letztere in bekannter Manier die demokratischen Grundrechte für sich beanspruchen, mit dem Ziel, sie für andere – vorwiegend Minderheiten – einzuschränken.

Man kann natürlich die Deutschkenntnisse der Einwander*innen zur zentralen Frage der Integration machen, oder die Frage, weshalb immer mehr Wähler*innen in Europa und weltweit zentrale Grundprinzipien der Demokratie zu opfern bereit sind: Universelle Menschenrechte, freie Presse, Meinungsfreiheit und unabhängige Justiz. Ist eine gemeinsame Sprache der einzige Klebstoff – oder sind es die viel beschworenen „Werte“?

Die bedrohlichen Parallelgesellschaften dieser Zeit sind die anti-demokratischen Kräfte, nicht irgendwelche ethnische oder religiöse Minderheiten per se. Gelungene Integrationspolitik müsste daher vielmehr ein Werben um die aktive Mitwirkung von Bürgerinnen und Bürgern in einer demokratischen, wehrhaften Demokratie sein. Doch wie lässt sich ein Diskurs verschieben, dessen Diskurslinien seit Jahrzehnten etabliert sind – und die nun durch ein neues Heimatministerium erneut eher die Verteidigung des Status Quo fordern statt neue Strategien für Zusammenhalt in einer vielfältigen Gesellschaft zu suchen.

„Eine Politik, die sich sprachlich vor allem auf das primitive Recht des Stärkeren verlässt, höhlt das demokratische Gemeinwesen aus. Das Feindselige des Diskurses dringt in den Alltag ein. „Die da oben“ legitimieren die Wut der anderen. Die Wut aller gegen alle. Eine Grunderregung zieht sich durch das Gemeinsame, wie Hochspannung. Wer aber Heimat schaffen will, muss es so tun, dass es nicht zur Heimatgefährdung gerät. Gerade in Deutschland.“(Aus: „Alle gegen alle“ - Süddeutsche Zeitung, 23.3.18)

(Jagoda Marinić)

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Fiston Mwanza Mujila verleiht der Stimme eines Schwarzarbeiters Gehör und Poesie, der nachts aus seiner Randposition heraus die Welt betrachtet – „im Lichte seiner Subjektivität“.

Fiston Mwanza Mujila:„JE N’ETAIS PAS NOIR (Monologue d’un ordinaire travailleur de nuit) – ICH WAR NICHT SCHWARZ (Monolog eines gewöhnlichen Nachtarbeiters)“

Ich habe Jahrhunderte gebraucht, um zu verstehen, was ein Körper ist. Nicht in dem Sinn, dass er dem Land oder der Familie gehört, sondern dass er sich selbst gehört. Der Körper: sechs wirre Buchstaben, um einen Ozean zu beschreiben; der Körper oder das Kartell aufrührerischer Träume; der Körper oder der schreckhafte Wirbelwind, und wenn wir das Kotzen kriegen. Was ich sagen will: Ich musste zehntausend Kilometer zurücklegen und mich in einem Land Europas niederlassen, um in der Lage zu sein, das Wesen des Körpers zu verstehen.

Wir alle besitzen einen Körper, aber manche zahlen dafür einen hohen Preis. In jedem Fall genügt der Körper sich selbst. Wenn der Körper nachlässt, ermüdet, aufgibt oder unter Schmerzen zusammenbricht, kann man nichts machen. Denn unser Gehäuse ist gestellt fürs ganze Leben. Diesen Rhythmus, dieses angeborene Tempo kann man nicht unterbrechen.

Ein Körper ist dazu da, zu feiern, zu tanzen, zu essen und des Nachts zu ruhen. Selbst wenn du das boykottierst, selbst wenn du gute Gründe hast, nicht zu schlafen, wird der Körper schlafen, wie sehr du dich auch sträubst. Der Körper verarscht dich. Er entriegelt dein Bewusstsein und tanzt Walzer mit dem Spitzbart deines Schmerzes. Das ist die Lektion, die ich von der Nachtarbeit gelernt habe.

In diesem Text spricht ein junger Mann, der in Schwarzarbeit Zeitungen austrägt. Auf seinen nächtlichen Wanderungen quatscht er über das Land seiner Geburt, träumt laut vor sich hin und betrachtet die Welt im Lichte seiner Subjektivität.

(Fiston Mwanza Mujila)

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Der Video-Blogger Tarik Tesfu spricht über seine Erfahrungen mit Rassismus und Hass im Netz und über seine persönlichen Strategien gegen rechtsextreme Hetze.

Tarik Tesfu:„Tariks Hate-Side-Story – Wenn im Internet die Hass-Post abgeht...“

Wer im Internet einen auf Feminismus macht, wird schnell zur Zielscheibe von (rechten) Trollen und Hater*innen. Der Netzaktivist TARIK TESFU kann ein Liedchen davon trällern. Ein Liedchen, das mit einem Hackerangriff endet. Ende 2017 wurden seine E-mail-Adresse gehackt, seine Social Media-Kanäle übernommen, auf Twitter sein Personalausweis gepostet, seine Videos auf YouTube gelöscht und später seine komplette Netz-Präsenz ausradiert. YouTube, Facebook, Twitter und Instagram, alles futschikato. Fast drei Jahre Arbeit innerhalb von ein paar Tagen verpufft. Die gute Nachricht: Tarik konnte seine Accounts reaktivieren. Die schlechte Nachricht: Private Dokumente, wie die Lohnsteuerabrechnung oder seine aktuelle Adresse, schwirren immer noch irgendwo im Internet herum.

In seiner Keynote TARIKS HATE-SIDE-STORY geht’s gemeinsam auf Spurensuche. Denn es stellt sich die Frage: Wie konnte es so weit kommen, dass Unbekannte es scheinbar als legitim empfinden, jemandem virtuell so dermaßen ins Gesicht zu rotzen. Mit im Gepäck: ein Potpourri von Tariks Videos, wie MAKE DEUTSCHLAND GREAT AGAIN!, eine Liebesbotschaft an die Identitäre Bewegung und DICH WIRD MAN DOCH HATEN DÜRFEN, eine Liebesbotschaft an seine treue Hater-Community. Ganz nebenbei erklärt Tarik seine Motivation für seine feministische Netz-Arbeit, was für ihn Feminismus bedeutet und warum dieser nur aus einer intersektionalen Perspektive für ihn Sinn ergibt. Da lacht das Herz, da heult der Hater! <3

(Tarik Tesfu)

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Kathrin Röggla untersucht den Begriff des Kollektivs und die „Ermächtigungsrhetoriken“ der Rechten ausgehend von der Sprache im öffentlichen Diskurs und hinterfragt kritisch die selbstgeschaffenen „Ohnmachtspositionen“ der Kunst.

Kathrin Röggla:„Wir sind die Handlung! Der rechte Kulturkampf und seine Ermächtigungsrhetoriken“

Zwischen technokratischer Delegationswut sowie postdemokratischer Handlungsarmut und rechtspopulistischem Aktionismus ist unser öffentlicher Diskurs aufgespannt. Automatismen beherrschen die Medienöffentlichkeit. Die eine Seite ist eine in vermeintlichen Pluralismen und inklusiven Sprechübungen, Sprechgeboten sich ausagierende liberale Position, auch die eines Austeritätsregimes, das auf Bürgerbeteiligung statt staatlicher Wohlfahrt setzt, die andere Seite ist eine Behauptung des Volkes Willen zu 100%. Auffällig ist, dass der Kollektivbegriff sehr stark von rechts geframt wird, und zwar unter dem Motto „wir gegen die anderen“, als könnte sich ein Kollektiv nur so behaupten.

Als Schriftstellerin interessieren mich diese zwei Seiten einer Medaille, einer Figur des Handelns. „Mit Rechten reden“, lautet nicht nur der Buchtitel von Per Leo, sondern auch ein Anspruch an Journalistinnen und Autoren, der immer häufiger ambivalent gestellt wird. Wie kann und soll der Eintritt in die Bullshitting-Diskurse aussehen, oder ist das ohnehin nur unsinnig? Welche Strategien taugen in dem Kulturkampf gegen Rechts etwas? Ist Kultur überhaupt der richtige Austragungsort? Welche Ohnmachtspositionen schaffen wir uns als Künstler und wie kommt es überhaupt zu dieser Handlungsarmut?

(Kathrin Röggla)

01.06.2018, 14:02

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