Mehr als 70 Millionen Menschen befanden sich Ende 2018 weltweit auf der Flucht. Davon stellten ab 2015 zwar nur 3,5 Millionen einen Asylantrag in Mitgliedstaaten der EU, dennoch kam es im März 2016 aufgrund hohen politischen Drucks zum EU-Türkei-Abkommen. Aufgrund dessen harren mittlerweile 20‘000 Menschen (Stand September 2019) in für nur 6500 Menschen ausgelegten «Erstaufnahmezentren» auf Lesbos, Chios, Samos, Leros und Kos aus. (Sexuelle) Gewalt, Kriminalität, Brände und Unruhen prägen den Alltag in den überfüllten Lagern.
Während eines mehrjährigen Aufenthalts in Griechenland filmte der irische Künstler Richard Mosse (*1980) die viel kritisierte Erstaufnahmeunterkunft Moria auf Lesbos mit einer vom Militär eingesetzten Überwachungs- und Wärmebildkamera. Die Technologie ist in der Lage, die Körperwärme des Menschen aus 30 Kilometern Entfernung gestochen scharf darzustellen. Dabei nimmt der Filmende die Gefilmten nicht als Individuen wahr, sondern lediglich als deren zum Thermobild geronnene Abstraktion.
Aus Mosses Aufnahmen ist die Videoinstallation „Grid (Moria)“ entstanden, die auf 16 grossformatigen Flachbildschirmen einer Hightech-Videowand den Lageralltag in Form einer steten Abfolge ruckartiger Kameraschwenks zeigt. Die Einrichtung wird hier im doppelten Sinne, sowohl baulich als auch menschlich, als Raster gezeigt, in dessen logistischer Ökonomie die Geflohenen sich wiederfinden und – analog zur Kameratechnik – zu Einheiten abstrahiert werden. Die Bilder zeigen Menschen in Warteschlangen oder beim improvisierten Transport lebensnotwendiger Güter, Zeltunterkünfte, gebastelte Wäscheleinen und stacheldrahtbesetzte Zäune. Durch die Präsentationsform des Werks spielt der Künstler mit dem Verhältnis zwischen Betrachter- und Überwacherperspektive und stellt dabei auch die Frage nach der allgemeinen Mitverantwortung all derer, die in der Realität ausserhalb eines Lagers leben.
Ursula Biemann beschäftigt sich mit dem Thema der Mobilität von Sexarbeiterinnen, die sich innerhalb der Kreisläufe des globalen Kapitalismus und zwielichtiger Industrien bewegen bzw. wie Waren bewegt werden. Seit den 1990er-Jahren ist ein deutlicher Anstieg im Zusammenhang von Migration, Mobilität und Sexarbeit verzeichnet worden – sowohl eine direkte Konsequenz der Globalisierung als auch Folge historischer und sozioökonomischer Faktoren. Die Grenzen zwischen der „freiwilligen“ Arbeit als Dienstleisterinnen und der bis zu moderner Sklaverei reichenden Zwangsarbeit sind dabei nicht selten fliessend und schwer zu definieren. Biemann recherchierte und reiste für das Video zwei Jahre lang. Unter anderem traf sie sich dabei mit den Vertreterinnen von Sexarbeitsnetzwerken und -organisationen, die das globale Geschäft beobachten und – soweit möglich – die Rechte der Frauen schützen oder ihnen beim Ausstieg helfen.
Auf diese Weise kam die Künstlerin in direkten Kontakt zu Betroffenen, mit denen sie über Arbeitsbedingungen, Zukunftsperspektiven und die teils extensive Reisetätigkeit innerhalb des Metiers sprechen konnte – von Manila nach Nigeria, von Burma nach Thailand, von der Ukraine und Bulgarien nach Mitteleuropa. Wie schon in anderen Arbeiten stellt die Künstlerin die Ausbeutung von Frauen und ihrem Körper innerhalb herrschender ökonomischer und politischer Ordnungen radikal infrage.