Blick zurück

Damals und heute Globalisierung ist kein neues Phänomen: Das KMB hat es sich deshalb zur Aufgabe gemacht, die gegenwärtige postkoloniale Ära zu reflektieren und einen Zusammenhang herzustellen zwischen kolonialer Vergangenheit und imperialen Machtstrukturen
„Amazon worker cage patent drawing as virtual King Island Brown Thornbill cage“ von Simon Denny, 2016
„Amazon worker cage patent drawing as virtual King Island Brown Thornbill cage“ von Simon Denny, 2016

Foto: Jesse Hunniford / MONA/ Kunstmuseum Basel

Aus europäischer Perspektive betrachtet, begann die Globalisierung zu Beginn des 16. Jahrhunderts mit der Errichtung des portugiesischen Estado da Índia bzw. mit dem spanisch-portugiesischen Wettlauf um die sogenannten Gewürzinseln, der zur ersten Weltumsegelung (15191522) durch Ferdinand Magellan führte. In Antonio Pigafettas Augenzeugenbericht „Die erste Reise um die Erde“ ist eine Vielzahl von Aktivitäten beschrieben, die auch heute die Globalisierung charakterisieren: der Verkauf, Ankauf und Transport von Gütern rund um die Welt; das Schmieden weitreichender Bündnisse, die ihren Partnern zollfreien Handel und die Erleichterung anderer Handelshemmnisse garantieren; die Gründung von Stützpunkten, Wirtschaftsräumen und weltumspannenden Kommunikationssystemen; die Auslagerung der Produktion fernab des eigentlichen Sitzes der Auftraggeber; die freiwillige und unfreiwillige Arbeitsmigration; der Kulturtransfer.

Schon damals gab es Gewinner und Verlierer, Handelskriege und „richtige“ Kriege, Unterdrückte und Unterdrücker. Letztere oktroyieren all jenen ihre Interessen auf, die sich nicht an dem System beteiligen wollen.
Dies wird innerhalb der Ausstellung durch den freien kuratorischen Umgang mit Druckgrafiken von bewaffneten Drei- und Viermastern von Pieter Bruegel d. Ä. aus den 1560er Jahren reflektiert, die sich in der Sammlung des Kunstmuseums Basel befinden und als Zeugnisse für den frühen Zusammenhang zwischen technologischer Entwicklung, Kolonialisierung und früher Globalisierung konzeptualisiert werden können. Breugel entwickelte eine ganze Reihe von Druckgrafiken, die meist kanonenbestückte Handelsschiffe zeigen. Schiffsgeschütze setzten sich gerade zu dieser Zeit durch, weil die Kugeln mittlerweile auch Bordwände durchschlagen konnten. So war eine überlegene Artillerie in der Lage, Gegner auf Abstand zu halten, selbst wenn diese eine grössere Entermannschaft besassen. Bruegels Kupferstiche dokumentieren diesen Strategiewechsel im Seekampf. Sie belegen auch die neuen kolonialen Hoheitsansprüche sowie die militärischen Aspekte, die bei der Entstehung und dem Ausbau des weltweiten Seehandels von Beginn an massgeblich waren. Daneben liegt der Fokus des Projekts auf der ungeheuren Beschleunigung, die die Globalisierung seit Ende des 20. Jahrhunderts erlebt hat. Es ist gerade mal 30 Jahre her, dass in Mittel- und Osteuropa der Zusammenbruch des real existierenden Sozialismus begann, in dessen Folge weltweit mehr als 25 Staaten mit der einzigen real existierenden Alternative zum Kapitalismus brachen. Das viel zitierte „Ende der Geschichte“ wurde ausgerufen und die weltweiten ökonomischen Spielregeln und Beziehungen wurden neu aufgestellt.

So entstanden allein in den ersten vier Jahren der 1990er-Jahre mit Mercosur (1991), dem Umbau der EWG zur Europäischen Gemeinschaft (1992), dem NAFTA (1994), der Weiterentwicklung von ASEAN und der Gründung der Welthandelsorganisation (1994) zahlreiche neue Wirtschaftsräume. Der Abbau von Handelshemmnissen wurde global vorangetrieben: Die internationale Wettbewerbsfähigkeit geriet zum Mantra für Unternehmen, Staaten und ganze Staatenbündnisse und begann, überall und für alle die Bedingungen von Arbeit und Produktion zu diktieren. China hielt zwar am Kommunismus fest aber nicht, um das Volk zu ermächtigen, sondern um die Massen zu kontrollieren. Tatsächlich entwickelte sich das Land zunächst wie andere Staaten in Fernost aufgrund fehlender Arbeitsrechte und Umweltschutzauflagen zu einem Niedriglohnmekka, das 2001 sogar der WTO beitrat. Durch den Abbau weiterer Handelsbarrieren und auf Basis der bereits in den 1980er Jahren vorangetriebenen weltweiten Deregulierung des Bankensektors entstanden die Voraussetzungen für die heiss gelaufene Weltökonomie von heute.Heute betrachten wir im Kontext kultureller, ökonomischer und politischer Entwicklungen auch staunend die Kunstwelt, in der ehemalige Peripherien zu neuen Zentren geworden sind während im Gegenzug unser Zentrumsbegriff museumsreif wurde. Angesichts der Neugründung riesiger Zollfreilager in der ausserwestlichen Welt, des stakkatoartigen Erscheinens neuer Biennalen und der Entstehung von knapp 40 spektakulären Museumsneubauten allein in den letzten zweieinhalb Jahrzehnten, insbesondere in Asien sowie im Nahen und Mittleren Osten und nicht selten in „postdemokratischen“ Systemen mit erhöhtem Gentrifizierungs-, Artwashing- und Stadtmarketingbedarf –, werden wir auch Zeugen einer neuen Kunstordnung.

Hat hier schon das internationale korporatistische Neo-Rokoko begonnen
initiiert von Art Industry, Superreichen und Konglomeraten, für die Gegenwartskunst in gleicher Weise wie Steuerparadiese und Offshore-Firmennetze als Leiterbahn dient? Hoffentlich nicht, anstatt die neue globale Gegenwartskunst nur resigniert als Spiegel und Gleitmittel neuer Machtverhältnisse zu interpretieren, sollten wir ihr kritisches und postkoloniales Potenzial erkennen und sie aus der im zuvor genannten Sinne dienenden Funktion befreien, wie es auch Hito Steyerls Essay im Reader des Projekts nahelegt: duty free nicht im Sinne von zollfrei, sondern als frei von Pflichten.

27.12.2019, 14:07

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