Die Erträge des beschleunigten wirtschaftlichen Wachstums bleiben asymmetrisch verteilt: In einem weltweiten Massstab betrachtet, nimmt die Ungleichheit ab; auf einzelne Länder heruntergebrochen, wächst sie jedoch. Die Verteilung der Menschen mit den grössten Vermögen wird global zunehmend homogener, was allerdings nicht bedeutet, dass sich das Gefälle zwischen Arm und Reich verringert.
Inwieweit ist Ungleichheit eben nicht nur eine ungewollte Nebenwirkung, sondern vielmehr das tragende Prinzip globaler Ökonomie geworden, so dass die Basis „unseres“ Wohlstands nachweislich das Elend der „anderen“ ist? Ohne nackte Armut gäbe es in Asiens Textilfabriken keine 72-Stunden-Wochen für 40 Euro Monatsgehalt und in Afrikas Rohstoffminen keine gänzlich unbezahlte Kinderarbeit; niemand würde dort auf Müllbergen den Elektroschrott des Westens mit blossen Händen trennen oder den eigenen Körper zu Markte tragen. Im Gegenteil: Wäre die Welt nicht durch die Ökonomie der Ungleichheit so justiert, wie es heute der Fall ist, dann wären die Drittweltländer irgendwann in der Lage, ihre Rohstoffressourcen für die Herstellung moderner Produkte einzusetzen, anstatt sie westlichen Unternehmen zu Schleuderpreisen zu überlassen, wie Felwine Sarr es im Reader zur Ausstellung analysiert.
Die Talentabwanderung (Braindrain) aus ärmeren Ländern in die Industriestaaten könnte dann ins Stocken geraten. Ebenso die in umgekehrter Richtung verlaufende Überflutung der Märkte der Dritten Welt mit westlichen Abfall- und Billigprodukten, die lokalen Produzent*innen die Lebensgrundlage nehmen. Und wenn Entwicklungshilfe einmal überflüssig werden sollte, dann liessen sich Entwicklungshilfeabkommen nicht mehr an Handelsverträge knüpfen, die zuvor mit den Interessen der Geberländer und denen von weltumspannenden Unternehmen synchronisiert wurden. Kurz: Die Armut der anderen ist tatsächlicher Garant für das Funktionieren unserer Ökonomie. Vor diesem Hintergrund bilden komplexe Verflechtungen zwischen Wirtschaft, Politik und transnationalen Organisationen ein wichtiges Thema in „Circular Flow“. Die über den Reader verteilten Gedichte von Alice Creischer thematisieren einige von grossen Konzernen verursachte Menschenrechtsverletzungen, denen in den Medien meist wenig Beachtung geschenkt wird.
Das für die Ausstellung entstandene Werk „Petropolitics“ des Künstlerduos Bureau d‘Études widmet sich historischen und aktuellen Entwicklungen innerhalb des globalen Ölhandels vom Beginn des 20. Jahrhunderts bis heute. Dabei recherchieren die Künstler*innen zu den komplexen Beziehungen zwischen Staaten und transnationalen Organisationen wie beispielsweise Thinktanks, Finanzunternehmen, Regulierungsbehörden, Nachrichtendiensten, Mediengruppen und Waffenherstellern. Für gewöhnlich überführen sie ihre Ergebnisse in anschauliche Kartografien und Diagramme, die publiziert werden – für das Kunstmuseum Basel entwickelten sie eine mehr als 14 m lange Wandtapete.
Der Titel von Lisa Raves Videoessay „Europium“ zitiert den Namen einer sogenannten Seltenen Erde. Aufgrund seiner Eigenschaft, in einem Farbton zu phosphoreszieren, der nicht mit technischen Mitteln synthetisiert werden kann, ist Europium ein Schlüsselelement in Farbbildschirmen und spielt eine entscheidende Rolle bei der Revolution des Farbfernsehens ab den 1960er-Jahren. Ob Handy, Tablet, Fernseher oder Laptop: Immer wenn wir Bilder auf einem Screen betrachten, ist Europium im Spiel. Nicht zuletzt wurde es als Fälschungsschutz in den Eurobanknoten eingearbeitet. Das Material findet sich zum Beispiel in den Gehäusen von Tiefseeorganismen wie Muscheln, die es zusammen mit anderen Substanzen aus ihrer Umgebung filtern und in ihrer Schale einlagern. Mittlerweile gilt das Geschäft mit seltenen Erden als Zukunftsmarkt. Die Tatsache, dass Meeresboden ein wichtiger Baustein des planetaren Ökosystems ist und dass durch die Arbeiten auch Lebensgrundlagen der indigenen Bevölkerung zerstört werden, spielt dabei eine untergeordnete Rolle. Um den problematischen Zusammenhängen, die zwischen der omnipräsenten Nutzung von Farbbildschirmen und deren ökologischen und politischen Folgen bestehen, nachzugehen, lädt das Video zu einer mittels Voice-Over kommentierten Bildreise ein, die im Hochglanzprospekt eines global führenden Displayherstellers beginnt und in der Zeit zurück bis in die Kolonialgeschichte „Deutsch-Neuguineas“ führt (seit 1975 souveräner Staat Papua-Neuguinea).
Für die Ausstellung inszeniert Rave den Film im Kontext von Druckgrafiken Paul Gauguins aus der Sammlung des Kunstmuseums Basel. Auf diese Weise werden zwei Aspekte miteinander in Beziehung gesetzt: einerseits die Kolonialgeschichte und die gegenwärtige ökonomische Einflussnahme westlicher Staaten und Unternehmen im Pazifikraum, andererseits die Exotisierung der „Südsee“ im Rahmen ihrer Aneignung durch die europäische Kunst gegen Ende des 19. Jahrhunderts. Die von Andreas Siekmann für „Circular Flow“ adaptierte Installation „In the Stomach of the Predators“ vermittelt Zusammenhänge rund um die Monopolbildung auf dem Saatgutmarkt und verdeutlicht – anhand eines ausgeklügelten Systems beweglicher, miteinander verbundener Paneele – die Verbindungen zwischen Konzernen und politischen Entscheidungsträgern. Die grafische Gestaltung basiert auf serialisierten Mengenbildern, einem Prinzip, das Gerd Arntz‘ und Otto Neuraths Standardwerk „Gesellschaft und Wirtschaft. Bildstatistisches Elementarwerk“ von 1930 entliehen ist. Mengenbilder bieten kein schnelles Verständnis durch abstrakte Zahlen, sondern fordern das Vorstellungsvermögen der Betrachter*innen heraus.