One Circle
Die Festivalmacher in eigenen Worten:
Das Festival “Detroit – Berlin: One Circle” bezieht sich bereits mit seinem Titel unmissverständlich auf Robert Hoods Track “Detroit: One Circle”. Es stellt zwei Städte ins Zentrum, die im popkulturellen Bewusstsein seit den 1980er-Jahren durch die rasante Entwicklung und Verbreitung von Techno untrennbar miteinander verbunden sind.
Unsere viertägige Veranstaltung ist dabei das Produkt eines intensiven Austausches und einer dynamischen Zusammenarbeit mit ganz unterschiedlichen, zumeist sub- und popkulturell informierten Akteur*innen, aber auch mit Aktivist*innen von (Grassroots-)Bewegungen, die durch das Engagement von African Americans geprägt werden, die die Bevölkerungsmehrheit Detroits ausmachen.
Am Anfang unserer Planung für “Detroit – Berlin: One Circle” stand ein Treffen mit dem Musiker und Hard Wax-Betreiber Mark Ernestus in einem kleinen libanesischen Imbiss in der Reichenberger Straße. Mark Ernestus war für uns von Beginn an ein wichtiger Unterstützer, und bald sollte auch noch Dimitri Hegemann, der Macher des Tresors, dazustoßen. Ihr Vertrauen, aber auch das anderer Mitstreiter*innen, eröffnete für uns wichtige Verbindungslinien zu Protagonisten wie Mike Banks und Cornelius Harris von Underground Resistance, die im vergangenen Sommer während einer Berlinreise das HAU inspizierten. Im November 2017 konnten wir die beiden vor Ort in Detroit treffen.
Die Rezeption und Distribution des in den 1980er-Jahren in Detroit entstandenen Techno – einem Sound, der dem Niedergang der fordistischen Stadt nach dem Beginn der Deindustrialisierung utopische Bilder der Zukunft entgegensetzte – führte bekanntlich auch dazu, dass Berlin sich zu einer Metropole für elektronische Musik entwickeln konnte.
In einem Gespräch mit Mike Banks, Mark Ernestus und Dimitri Hegemann über die Achse “Berlin – Detroit” werden wir daher in einer Live Oral History die Frage vertiefen, auf welchen Pfaden Techno nach Europa kam. Der Ursprung des Genres lässt sich bis zu den Radiosendungen von Charles Johnson aka The Electrifiying Mojo zurückverfolgen, der Funk-Tracks mit instrumentalem Hip-Hop und den Maschinensounds von Kraftwerk mischte. Ein Panel mit John E. Collins von Underground Resistance, selbst Radio-DJ, mit dem wir in Detroit eine beeindruckende House-Nacht in der Nähe der Mack Avenue feierten, widmet sich der Rolle des Radios und der Frage nach der Relevanz dieses Mediums heute.
Dem nicht nur historisch, sondern auch aktuell bedeutsamen Austausch beider Städte tragen wir aber nicht nur mit Gesprächsformaten Rechnung, sondern auch mit musikalischen Highlights. Juan Atkins, der zusammen mit Derrick May und Kevin Saunderson als Techno-Pionier den neuen “Sound of the City” von Detroit wie kaum ein anderer geprägt hat, wird mit MODEL 500 zum ersten Mal seit Langem wieder in Berlin zu sehen sein. Neben Mike Huckabys Sun Ra Sessions mit Richard Zepezauer & Lakuti wird sich eine Nacht ganz dem Hip-Hop widmen. Politische Texte treffen auf feministische Themen – mit Ché & DJ Stacyé J, A.W.A. – African Women Arise und Miz Korona & The Korona Effect.
Detroit und Berlin sind nicht nur übervolle musikalische Bedeutungscontainer, sondern auch aus städtepolitischer Hinsicht überdeterminierte Orte. Über den reichen musikalischen Austausch hinweg werden die ebenso produktiven Felder künstlerischer sowie städtepolitischer Debatten mit einbezogen. Auch hier war das “Wissen der Leute” für uns von großer Bedeutung. Die Kulturwissenschaftlerin Kerstin Niemann, die teilweise in Detroit wohnt, der Humangeograph Lucas Pohl, der zu Detroit forscht, sowie der Journalist Christian Werthschulte, der kurz vor unserer Reise aus Detroit für die “taz” berichtete, ermöglichten uns weitere wertvolle Kontakte: zu dem stadtpolitisch aktivistischen Geografen Joshua Akers, der Bürgermeisterkandidatin und Afrofuturistin Ingrid LaFleur und dem Rapper Bryce Detroit, der den Kunstraum ONE Mile in Detroit-North End betreibt. In Gesprächen zwischen ihnen und Berliner Kulturproduzent*innen und Recht-auf-Stadt-Aktivist*innen wie Julia Brunner vom Kotti-Shop, Tashy Endres und Zoë Claire Miller soll über Möglichkeitsräume für Kulturproduzent*innen in der postindustriellen Stadt nachgedacht werden. Im direkten Städtevergleich werden durch eine Kritik an politischen und privatwirtschaftlichen Akteur*innen Themen der Gentrifizierung, Vertreibung und Austerität aufgeworfen. Andererseits gilt es, auch die bekannten Folgen des “urban boosterism”, der im Stadtleben in erster Linie eine ökonomische Ressource sieht, zu analysieren.
Die interdisziplinär arbeitende Künstlerin Tiff Massey wird für das HAU Hebbel am Ufer ihre erste Bühnen-Performance entwickeln. Mit Elementen vom Hip-Hop bis zur House Music findet man bei ihr eine Perspektive, die die aktuelle Entwicklung Detroits so kritisch wie anschaulich kommentiert.
Der Austausch zwischen den beiden Städten steht im Zentrum des Projektes Be-Troit, welches die Zusammenarbeit von Jugendlichen und Künstler*innen aus Berlin und Detroit darstellt, die vom Berliner Sozialarbeiter Olad Aden initiiert wurde. Wenige Wochen vor dem Festivalstart wird der Austausch überdies durch künstlerische Residencies in Detroit vertieft, die die Musikerin Nguyen Baly, die Performance-Gruppe SDW e.V. sowie Julia Brunner und Stefan Endewardt vom Kotti-Shop wahrnahmen. Sie werden Material ihrer artistic research präsentieren.
Wir hoffen, dass durch die spezifischen Formate von “Detroit – Berlin: One Circle” eine breite Palette unterschiedlichster Aspekte dieser so speziellen Städtebeziehung erfahrbar wird. Darüber hinaus soll die intensive Kooperation zwischen pop- und subkulturell engagierten und politisch denkenden Akteur*innen aus beiden Orten über den Augenblick hinaus Synergien schaffen.
Zuri Maria Daiß (Kuratorin Musik), Pascal Jurt (Kurator Theorie & Text), Sarah Reimann (Dramaturgin) und das Team des HAU Hebbel am Ufer