Facettenreich

Einblicke Die Ausstellung ist in sechs Kapitel unterteilt, die sich schwerpunktmäßig verschiedenen relevanten Aspekten der Novembergruppe sowie dem Verlauf ihrer historischen Entwicklung widmen
Große Berliner Kunstausstellung 1928, Mitglieder der Hängekommission der Novembergruppe. Repro: Anja Elisabeth Witte
Große Berliner Kunstausstellung 1928, Mitglieder der Hängekommission der Novembergruppe. Repro: Anja Elisabeth Witte

Ausstellungskapitel

Die Ausstellung ist in folgende sechs Kapitel unterteilt

Befreiungsenergien der neuen Kunst
Künstler*innen sahen nach dem Ende des Kaiserreichs eine historische Chance, aktiv am Aufbau einer neuen Gesellschaftsordnung mitzuwirken. Hauptaugenmerk dieses Kapitels liegt auf den ersten, von Aufbruchseuphorie geprägten Auftritten der Novembergruppe, die im Rahmen der Kunstausstellung Berlin stattfanden. In der Abteilung der Novembergruppe dominierten Mischformen der schon vor dem Krieg entwickelten Stile Kubismus, Futurismus und Expressionismus, die nun als „Befreiungsenergien der neuen Kunst“ (Adolf Behne) zum Ausdruck einer neuen Zeit avancierten. Welches Provokationspotential diese Kunst barg, belegen nicht zuletzt tätliche Angriffe des Publikums auf einzelne Werke. Künstler*innen in der Sektion: Rudolf Belling, Max Dungert, Otto Freundlich, Paul Klee, César Klein, Otto Möller, Moriz Melzer, Oswald Herzog, Emy Roeder, Fritz Stuckenberg, Georg Tappert u.a.

Dada und Skandale
1921 geriet die Novembergruppe in eine grundlegende Krise, die im zweiten Kapitel dargestellt wird: In der Ausstellung von 1920 waren zahlreiche dadaistische und veristische Werke vertreten, die nicht nur das Missfallen der Presse, sondern auch der politisch Verantwortlichen hervorriefen. Im darauffolgenden Jahr wurde die Leitung der Großen Berliner Kunstausstellung von Regierungsseite dazu angehalten, solche Werke nicht mehr zuzulassen, obwohl den vertretenen Künstler*innengruppen Juryfreiheit zugesichert worden war. Die inkriminierten Arbeiten, darunter eine Bordellszene von Otto Dix, wurden aus der Abteilung der Novembergruppe entfernt. Das führte intern zum Vorwurf, Zensur zu dulden und revolutionäre Ziele zu verraten. Einige Künstler*innen erklärten ihren Austritt; aus der überstandenen Zerreißprobe ging die Vereinigung indes gestärkt hervor: In der Presse wurde der Beitrag der Novembergruppe spätestens ab 1922 von Jahr zu Jahr positiver beurteilt. Künstler*innen in der Sektion: Otto Dix, Curt Ehrhardt, Hannah Höch, Georg Scholz, Kurt Schwitters.

Abstraktion und Sachlichkeit
Seit Beginn ihres Bestehens war die Gruppe bemüht, die Kontakte zur europäischen Avantgarde, die durch den Krieg zum Erliegen gekommen waren, zu reaktivieren. Ab 1923 legte sie in ihren Ausstellungen einen deutlichen Schwerpunkt auf die neuesten abstrakten Tendenzen, insbesondere in der osteuropäischen und niederländischen Kunst. Sowohl die russischen Konstruktivisten als auch die Protagonisten der de Stijl-Gruppe waren mit ihren ungegenständlichen Werken in den Abteilungen der Novembergruppe auf der Großen Berliner Kunstausstellung zu Gast. Außerdem setzte sich die Vereinigung bereits sehr früh für innovative gegenständliche Darstellungsformen ein, und zwar lange vor der berühmten Ausstellung in der Mannheimer Kunsthalle, die 1925 diese Richtung als „Neue Sachlichkeit“ kanonisierte. Mithin beweist sich die Novembergruppe auch in der Mitte der 1920er-Jahre als Agentin der Avantgarden, die mit ihren Ausstellungen wegweisenden bildkünstlerischen Entwicklungen eine breite öffentliche Plattform bot und sich damit aktiv in die Kunstdebatten der Zeit einschaltete. Künstler*innen in der Sektion: Henryk Berlewi, Walter Dexel, Ernst Fritsch, Peter Förster, Hannah Höch, Issai Kulvianski, El Lissitzky, Ewald Mataré, Piet Mondrian, Iwan Puni, Arthur Segal u.a.

Neues Bauen
1924 übernahm der Architekt Ludwig Mies van der Rohe den Vorsitz der Novembergruppe. In den nächsten Jahren dominierten – zumindest in der öffentlichen Wahrnehmung – die Architekten die Vereinigung. Ihre Bedeutung und ihr Einfluss sind Thema der vierten Sektion. Gezeigt werden Modelle von Bauten und Entwürfe der Beteiligten, darunter auch Gemeinschaftsprojekte zwischen Architekt*innen und Bildhauer*innen. Auf dem Feld der Architektur ist die Verbindung der Novembergruppe zum Bauhaus besonders eng. Im Zentrum standen hier wie dort Fragestellungen des Neuen Bauens, vor allem nach Wohn- und Arbeitsformen für die sich wandelnde Gesellschaft. Welche soziale Verantwortung hat Architektur? Und welche Gestaltungsmöglichkeiten ergeben sich in Hinblick auf eine konstruktive und stilistische Ökonomie? Die Novembergruppe stellte mit ihren Ausstellungen diesen Diskurs über Fachkreise hinaus auch dem Laienpublikum vor. Architekten in der Sektion: Otto Bartning, Walter Gropius, Hans und Wassili Luckhardt, Erich Mendelsohn, Ludwig Mies van der Rohe, Max Taut, Hans Poelzig, Hans Scharoun.

Die späte Revolution
Das Kapitel thematisiert, mit welchen Strategien die Novembergruppe anlässlich des zehnjährigen Bestehens 1928/29 ihre eigene Geschichtsschreibung betrieb. In einer Art von Selbstversicherung wurden in der Jubiläumsausstellung noch einmal alle Kräfte gebündelt, um die propagierte soziale Wirksamkeit künstlerischen Schaffens zu zeigen. Dabei setzte die Vereinigung verstärkt auf gesellschaftskritische Werke mit dezidiertem Bezug zur Novemberrevolution, die ihr den programmatischen Namen gab. Die (Kunst-)Revolution erschien den meisten Rezensent*innen dennoch bereits historisch. In einer Phase relativer politischer Stabilität und erhöhter Akzeptanz von moderner Kunst wirkten offenbar viele Ziele der Novembergruppe obsolet. Im Oktober 1929, drei Wochen nach Abschluss der Jubiläumsausstellung, löste jedoch der „Schwarze Freitag“ an der New Yorker Börse die Weltwirtschaftskrise aus, die das gerade Erreichte erodieren ließ. Künstler der Sektion: Willi Baumeister, Conrad Felixmüller, George Grosz, Paul Goesch, Otto Nagel, Karl Völker u.a.

Erzwungenes Ende
Ab 1930 fällt die Novembergruppe auseinander: 1932, auf der letzten Schau vor der Machtübernahme der Nationalsozialisten, sind nur noch vier Künstler vertreten. Weltabgewandtheit und Rückzug sprechen aus den Werken und geben einer allgemeinen Resignation und dem Erlahmen der avantgardistischen Bestrebungen Ausdruck. Die Verhältnisse am Ende der Weimarer Republik führen zu keiner erneuten Politisierung der Novembergruppe. Weder inhaltlich noch programmatisch reagieren ihre Künstler*innen auf die Zeitumstände. Nach 1933 sind keine Aktivitäten der Gruppe mehr nachzuweisen. 1935 wird die Novembergruppe auf eigene Kosten aus dem Vereinsregister gestrichen. Die meisten ehemaligen Mitglieder werden als „entartet“ diffamiert und ihre Werke aus öffentlichen Sammlungen entfernt. Viele wurden verfolgt und mussten fliehen, einige traten in die NSDAP ein, manche zogen sich ins innere Exil zurück. Nach Ende des Zweiten Weltkriegs findet sich die Gruppe nicht wieder zusammen. Ihre bedeutende Rolle für die Etablierung der Avantgarden und ihrer vielfältigen Stilidiome wird von ehemaligen Mitgliedern retrospektiv allerdings stets unterstrichen. Auch die Vorstellung von einer gesellschaftsbildenden Kraft der Kunst findet im geteilten Nachkriegsdeutschland ihren Widerhall. Künstler*innen der Sektion: Hannah Höch, Otto Freundlich, Walter Kampmann, César Klein, Laszlo Moholy-Nagy, Fritz Stuckenberg u.a.

02.11.2018, 11:59

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