Wie sucht er sich seine Opfer?
Wie tief ist er verwurzelt?
Für eine kleine Archäologie des Hasses zielt die Inszenierung von Stephan Kimmig mit Euripides‘ Drama Hekabe ins Herz der Finsternis. Hekabe, Königin von Troja, ist die Übermutter der Antike, Inkarnation von Leid, Verlust und Klage, Mutter von fünfzig Söhnen und Töchtern, die alle dem trojanischen Krieg zum Opfer fallen. Doch anstelle von Empathie weckt sie bei den Gewinnern des Krieges nur Hass, vor allem bei Odysseus, dem listenreichen Strategen der Zerstörung. Unter allen Beutefrauen der besiegten Stadt ist die greise Königin diejenige, die er sich als Trophäe erwählt, um sie auf seiner Heimreise bis zur Entmenschung zu demütigen. Diese Erniedrigung der Hekabe über jede Vernunft und Rationalität hinaus beschreibt Euripides in seiner Tragödie, während Homer seinem Protagonisten Odysseus in der „Ilias“ und „Odyssee“ ein Heldenlied singt.
In einer Zusammenführung der verschiedenen Perspektiven entsteht ein neues und zugleich archaisches Bild des Kriegs der Kulturen, der Geschlechter, der Mütter und Söhne, Männer und Frauen. Die Wucht ihrer Stimmen versucht Regisseur Stephan Kimmig freizulegen mit voller Konzentration auf eine großartige Drei-Generationen-Besetzung von SchauspielerInnen:
Katharina Matz mit ihren mehr als achtzig Lebensjahren und sechzig Jahren Frauenrollen-Erfahrung, Almut Zilcher mit der ihr eigenen Kraft, Archaik und Größe, Linn Reuse als eine der eigenwilligsten und eindringlichsten jungen Schauspielerinnen des Deutschen Theaters, ergänzt von Paul Grill als ihrem männlichen Mit- und Gegenspieler und Michael Verhovec als Live-Musiker. Was wie ein Konzert oder eine Textuntersuchung beginnt, verdichtet sich in Momenten zu maximaler Spielintensität, um dann wieder vom Theater Abstand zu nehmen und auf seine Muster zu schauen.