1963 – Szenen mit jungen afroamerikanischen Demonstranten, in die Hände klatschend, einer reckt den Arm nach oben, Rassenkampf und brutale Polizeigewalt. Danny Lyon, Sohn jüdischer Einwanderer, ist 21 Jahre jung, furchtlos und Student an der University of Chicago, als er diese Aufnahmen des Protestes und den historischen Marsch auf Washington für Arbeit und Freiheit fotografiert. Jene bewegenden Bilder machen den Fotografen und Filmemacher später zu einem der wichtigsten Chronisten der US-amerikanischen Bürgerrechtsbewegung. Ein Jahr zuvor tritt er dem Student Nonviolent Coordinating Committee (SNCC) bei, wird offizieller Fotograf der wichtigsten schwarzen Bürgerrechtsbewegungsorganisation und dokumentiert mit seiner Kamera zahlreiche Versammlungen, Verhaftungen und Trauerfeiern der Civil Rights Movement.
Neben diesen frühen Aufnahmen von der Bürgerrechtsbewegung, entsteht die Bilderreihe Conversations with the Dead (1967/68), die erstmals den Alltag der Gefängnisinsassen und -wärter in Texas zeigt. Zeitgleich schildert er mit The Bikeriders (1966) hautnah und eindringlich das schonungslose Leben inmitten des Chicago Outlaws Motorcycle Club – noch bevor der amerikanische Kultfilm Easy Rider (1969) in die Kinos kommt und die romantischen Vorstellungen sowie das Lebensgefühl von Unabhängigkeit, Freiheit, Highway und Harley-Davidson populär und zum Mainstream werden.
Während seiner mehr als 50-jährigen Karriere hat Lyon nicht nur unzählige sozialdokumentarische Fotografien und ein unverwechselbares visuelles Zeugnis von einem halben Jahrhundert Politkampf geschaffen, sondern auch sein fotografisches Werk mit bewegtem Bild und geschriebenem Wort untrennbar verschmolzen. Diese besondere Sicht auf die Welt mit den Mitteln von Fotografie, Film und Literatur sind in der amerikanischen Fotogeschichte einzigartig.
Zentral geht Lyon der Frage nach, wie man sich als Künstler mit der Identität eines unwahrscheinlich vielfältigen Landes auseinandersetzen kann. Als engagierter und scharfer Beobachter interessieren ihn in erster Linie soziale Randgruppen und Subkulturen der Gesellschaft. Er konzentriert sich dabei immer auf politisch und kulturell relevante Themen. Gleichzeitig sind seine Arbeiten von einem persönlichen Verlangen nach Abenteuer und Freiheit motiviert, aber auch davon, einen Gegenpol zu dem zu setzen, was die Massenmedien der Zeit visuell boten. Auf der stetigen Suche nach neuen Darstellungsmöglichkeiten entwickelt Danny Lyon eine verstärkt subjektive und teilnehmende Form der dokumentarischen Fotografie, indem er sich tief in das Geschehen hineinbegibt und eine besondere Nähe zu den Menschen aufbaut, die vor seiner Kamera stehen. In der Nachfolge von Walker Evans und Robert Frank prägen die Werke von Danny Lyon Künstler wie Larry Clark oder Nan Goldin, aber auch den Geist des New Journalism und die US-amerikanische Street Photography der 1960er-Jahre mit ihrem absoluten Realismus.
Erstmals und als einzige Station in Deutschland präsentiert C/O Berlin nach den Fine Arts Museums of San Francisco, dem Whitney Museum of American Art, New York, sowie dem Fotomuseum Winterthur diese umfangreiche Retrospektive. Die Werkschau Danny Lyon . Message to the Future versammelt mit rund 175 Fotografien sowohl die wichtigsten Serien der späten 1960er- und 1970er-Jahre als auch die weniger bekannten Filme, Collagearbeiten und Materialien aus Danny Lyons privatem Archiv. Die Ausstellung wurde von Julian Cox kuratiert und von den Fine Arts Museums of San Francisco organisiert.