Varianz und Wandel

Thema Im Fokus des Festivals steht der Kölner Komponist Bernd Alois Zimmermann anlässlich seines 100. Geburtstages, wobei seine charakteristischen Kompositionstechniken die thematische Klammer bilden
Foto: Erben Zimmermann
Foto: Erben Zimmermann

Im Fokus: Bernd Alois Zimmermann (1918-1970)

»Schicht um Schicht. Omnia tempus habent: Jedes Ding hat seine Zeit, jeder Mensch, jedes Instrument, jeder Ton, jedes Ereignis, sie alle kommunizieren in der gleichen Sekunde der Ewigkeit ...«

Als Bernd Alois Zimmermann 1960 diesen Gedanken äußert, gehören er und seine Musik zu den bedeutenden Größen im bundesdeutschen Kulturleben. Er selbst, der im selben Jahr den Großen Kunstpreis des Landes Nordrhein-Westfalen erhält – davor und danach manch andere –, sieht das allerdings nicht so. Er hadert mit sich, mit dem Leben, mit seinen Werken. Zweifel und Melancholie sind Wesenszüge des 1918 in Bliesheim, einem kleinen Ort südlich von Köln, geborenen Zimmermann, der nach dem Abitur zunächst Theologie studieren will, sich dann für den Lehrerberuf entscheidet. Er studiert Schulmusik an der Kölner Musikhochschule und schreibt seine ersten Kompositionen. Die Ausbildung muss er aber bald unterbrechen – Deutschland hat der Welt den Krieg erklärt und Zimmermann wird Soldat, in Frankreich, Polen und Russland. Wiederholt erkrankt er schwer, 1942 beurlaubt ihn die Wehrmacht ganz. In Köln setzt er seine Studien fort, komponiert fleißig und nimmt nach Kriegsende privaten Unterricht bei Philipp Jarnach, einem Schüler von Ferruccio Busoni.

Günter Wand bringt mit dem Gürzenich-Orchester bereits Ende der 1940er Jahre größere Werke von ihm in der Domstadt zur Uraufführung. 1949 besucht er erstmals die drei Jahre zuvor gegründeten Ferienkurse für Neue Musik in Darmstadt, gut ein Jahrzehnt sind er und seine Musik dort präsent; indes stellt sich der von Zimmermann erwünschte freundschaftliche Diskurs mit den jüngeren Kollegen wie Karlheinz Stockhausen, Luigi Nono und Pierre Boulez nicht ein. Die Musikkonzepte – dort die trotz aller avancierten Mittel kaum je aufgegebene Klangrhetorik, hier die seriell verschärfte Zwölftonreihe und die Idee musikalischer Abstraktion – sind zu verschieden. Harsche Ablehnung, spitzzüngige Kommentare seitens der Jüngeren enttäuschen Zimmermann, verbittern ihn. Doch wie heißt es im biblischen Predigerbuch: »Alles hat seine Zeit« – ein für Bernd Alois Zimmermann wichtiger Satz wie überhaupt gerade das »Liber Ecclesiastes« des Alten Testaments ihn immer wieder beschäftigt hat: privat wie kompositorisch.

Ende der 1950er Jahre beginnt für ihn eine überaus produktive Phase: Er beginnt an der multiperspektivischen und für die weitere Musikentwicklung wegweisenden Oper »Die Soldaten« zu arbeiten (Uraufführung 1965 in Köln), plant weitere, die nicht zustande kommen, darunter auch eine mit Heinrich Böll. Er schreibt u. a. neben imposanten Solostücken für Cello und Flöte das virtuose Doppelklavierkonzert »Dialoge«, die schillernden Orchesterwerke »Photoptosis«, »Stille und Umkehr« und die Zitat-Collage »Musique pour les soupers du Roi Ubu«, das erschütternde »Requiem für einen jungen Dichter« entsteht, zudem seine einzige elektronische Musik »Tratto«. Schließlich komponiert er – seit einigen Jahren lehrt er auch an der Kölner Musikhochschule – die rätselhafte »Ekklesiastische Aktion: ‚Ich wandte mich um und sah alles Unrecht, das geschah unter der Sonne«. Es ist sein letztes Werk, am 10. August 1970 nimmt sich Bernd Alois Zimmermann in seinem Haus in Groß-Königsdorf bei Köln das Leben. Die Kulturwelt ist geschockt.

Gerade Zimmermanns Kompositionen zwischen 1960 und 1970 haben Publikum wie Kritik sehr beindruckt und überzeugt. Seine sich in diesen Jahren manifestierende Sicht auf die Welt als einer pluralistischen, in der alle Zeiten – Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft – in eins fallen, löst er in seinen Werken geradezu mustergültig ein. Zitate aus der Musikgeschichte verwebt er meisterhaft mit den eigenen klanglichen Texturen, formt sie zu einzigartig erzählerischen Dramaturgien, modelliert vielfache »Kugelgestalten« von einzigartigen Erlebniszeiten. Deren Codes und Kraft faszinieren bis heute und wissen mit den Mitteln der Musik nach wie vor Essenzielles, ja Existenzielles zu erzählen.

[Text: Stefan Fricke]

13.04.2018, 13:41

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