Filmprogramm zur Ausstellung
Mit beispielloser Geschwindigkeit und Effizienz hat die „Digitale Revolution” Überwachung zu einem globalen Alltagsphänomen gemacht. Überwachung lässt sich nicht länger aus sicherer Distanz betrachten, als Element dystopischer Literatur oder als Wesenszug repressiver Diktaturen, der ausschließlich „Das Leben der Anderen” betrifft. In allen staatlichen Systemen ist die tägliche Entblößung des Privatlebens der Bürger heute Teil der sozialen Wirklichkeit. Regierungen wie Unternehmen sammeln und speichern Informationen über unsere tägliche Kommunikation, und die immer umfassenderen Bedingungen dieses neuen Gesellschaftsvertrags sind eine unausweichliche Realität des 21. Jahrhunderts. Welche unmittelbaren und weitreichenden Folgen hat es, in einer Überwachungskultur zu leben? Und welche Mittel stehen – und standen – Bürgern zur Verfügung, um diesen neuen Gesellschaftsvertrag kritisch zu prüfen und infrage zu stellen?
In Zeiten, in denen Regierungen und Unternehmen weltweit ihre Bemühungen verstärken, unsere Kommunikation und Aktivitäten zu verfolgen, schärft diese Auswahl nachdenklicher Dokumentar- und Experimentalfilme das kritische Bewusstsein von den vielfältigen Formen und Mitteln der Überwachung. Eröffnet wird das Programm mit dem Oscar-prämierten Film Citizenfour, der die jüngsten Enthüllungen der NSA-Überwachungsaktivitäten begleitet: vom ersten Kontakt zum Whistleblower Edward Snowden Anfang 2013 bis zu den geheimen Interviews mit ihm und den dadurch ausgelösten weltweiten Erschütterungen. Die Palette der Filmthemen reicht von den Langzeitfolgen geheimdienstlicher Eingriffe in Privatleben und kreative Arbeit zu Zeiten des Sozialismus (Engelbecken, I Love You All) bis zur Überwachung in US-Hochsicherheitsgefängnissen (Prison Images) im Rahmen eines heimlichen Drohnenkriegs in Pakistan (Drone) und sogar in eine fiktionale Zukunft, in der die totale Kontrolle mit der völligen Auslöschung aller Individualität einhergeht (Faceless). Durch die kreative Verwendung von Überwachungsvideos und anderen vor- gefundenen Aufnahmen machen die ausgewählten Filme das erschreckende Ausmaß technologiebasierter Kontrolle deutlich. Zugleich zeigen sie Möglichkeiten des kreativen Widerstands auf.
Die Filmreihe wird präsentiert vom Verzio International Documentary Human Rights Film Festival (Ungarn) in Verbindung mit der C/O Berlin-Ausstellung Watched! Surveillance, Art & Photography. Verzio ist das einzige Menschenrechte-Filmfestival in Ungarn. Es findet seit 2004 jährlich statt und hat sich zum Ziel gesetzt, mit der Kraft des kreativen Dokumentarfilms die offene Gesellschaft, demokratische Werte, Rechtsstaatlichkeit und kritisches Denken zu fördern.
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Sa 18.02.2017 . 20:30
Citizenfour
USA / DE, 2014, 112 min, OmU . Regie: Laura Poitras
Diese fesselnde Chronik dokumentiert die bemerkenswerten, exklusiven Treffen der Regisseurin Laura Poitras und des Journalisten Glenn Greenwald mit dem Whistleblower Edward Snowden in einem Hongkonger Hotelzimmer, wo er ihnen Geheimdokumente übergibt, die massenhafte, willkürliche und illegale Verletzungen der Privatsphäre durch die National Security Agency (NSA) belegen. Die Zuschauer sitzen quasi gemeinsam mit Poitras, Greenwald und Snowden im Hotelzimmer, während diese versuchen, mit dem draußen tobenden Mediengewitter umzugehen, und Entscheidungen treffen müssen, die ihr Leben und das ihrer Nächsten beeinträchtigen wer- den. Citizenfour ist ein detaillierter Augenzeugenbericht dieser Diskussionen und zeigt zudem die weitreichenden Folgen von Snowdens Enthüllungen. Wie hängen Freiheit und Privatsphäre zusammen? Was bedeutet es für die Demokratie, wenn nationale Regierungen all unsere Daten kontrollieren? Der Film wurde 2015 als bester Dokumentarfilm mit einem Oscar ausgezeichnet.
Do 23.02.2017 . 20:30
Drone
NO, 2014, 79 min, OmU . Regie: Tonje Hessen Schei
Drone zeichnet den Verlauf und die einzelnen Schritte des heimlichen Drohnenkriegs der CIA in Pakistan nach. Der Film beleuchtet, wie es sich anfühlt, in abgelegenen Regionen Pakistans mit der ständigen Bedrohung durch diese unbemannten und doch machtvollen Fluggeräte zu leben. Aber er beleuchtet auch die Empfindungen der Drohnenpiloten, die ethischen Standpunkte der Drohnenentwickler und die Argumente der Politiker, die den Einsatz von Drohnen vehement rechtfertigen. Er zeigt die Rekrutierung junger Drohnenpiloten auf Computerspielmessen, aber auch Menschen, die gegen die Verletzung von Bürgerrechten aufbegehren. Der Film wirft Fragen über die größte militärische Revolution unserer Zeit auf und vermittelt Einsichten in das Wesen der Drohnenkriegsführung. Ein Blick auf das Verschwinden des empathischen, rechenschaftspflichtigen Menschen in der Kriegsführung des 21. Jahrhunderts.
Do 09.03.2017 . 20:30
Faceless
AUT/UK, 2007, 50 min, OmU . Regie: Manu Luksch
In einer Gesellschaft mit reformiertem „Real-Time”-Kalender, ohne Vergangenheit noch Zukunft, sind alle gesichtslos. Als eine Frau eines Tages mit einem Gesicht aufwacht, gerät sie in Panik. Nach und nach findet sie immer mehr über die verlorene Kraft und Geschichte des menschlichen Gesichts heraus und macht sich auf die Suche nach dessen Zukunft. Der Film hinterfragt unsere Überwachungskultur, indem er sich authentischer Aufnahmen von aktiven Überwachungskameras (CCTV) in London bedient, der am stärksten überwachten Stadt der Welt. Dabei folgt Faceless den Grundsätzen des Manifesto for CCTV Filmmakers. Dieses Manifest untersagt u.a. den Ein- satz zusätzlicher Kameras an Filmschauplätzen. Der UK Data Protection Act sowie EU-Richtlinien geben Individuen ein Recht auf Zugang zu personenbezogenen Daten, die in Datenverarbeitungssystemen gespeichert sind, schützen zugleich aber die Privatsphäre Dritter. Bei CCTV-Aufnahmen werden die Gesichter anderer Menschen unkenntlich gemacht werden, eine „gesichtslose” Welt erschaffend.
Do 16.03.2017 . 20:30
Engelbecken
DE, 2014, 80 min, OmU . Regie: Gamma Bak, Steffen Reck
Dieser Film, fertiggestellt 25 Jahre nach dem Fall der Berliner Mauer, ist ein eindrucksvolles historisches Dokument, das uns in eine Zeit zurückversetzt, in der die beiden Regisseure Gamma Bak (West-Berlin) und Steffen Reck (Ost-Berlin) eine grenzüberschreitende Beziehung führten. Der Film versammelt privates Archivmaterial, Amateurfilme und Aufnahmen von Aufführungen der avantgardistischen Ost-Berliner Theatergruppe „Zinnober“, deren Gründungsmitglied Steffen Reck war, sowie geheime Polizeiakten über die Protagonisten und deren Freundeskreise. Engelbecken zeigt die gemischten Empfindungen, mit denen man einer bewegten Vergangenheit begegnet, und beleuchtet die Gefühle der Schuld und des Verrats, die dauerhaft an Menschen nagen, die ins Exil getrieben wurden.
Do 23.03.2017 . 20:30
I Love You All
DE / FR, 2004, 88 min, OmU . Regie: Eyal Sivan
Im Februar 1990, wenige Wochen nach dem Fall der Berliner Mauer, wird das Ministerium für Staatssicherheit aufgelöst. Es ist das Ende der „Stasi”, des DDR-Geheimdienstes, für den der Protagonist und Erzähler Mr. B. als Offizier gearbeitet hat. Seines Amtes enthoben und seiner Bestimmung beraubt, liefert B. einen detaillierten Bericht jener zwanzig Lebensjahre, in denen er für diese Behörde tätig war. I Love You All ist rund um dieses persönliche Zeugnis konstruiert, unter Verwendung zuvor unveröffentlichter Archivaufnahmen der Stasi, die zeigen, wie weit deren Arm ins Alltagsleben der DDR-Bürger und nicht zuletzt auch ihrer eigenen Mitarbeiter hineinreichte. Ein Film über Überwachung, blindes Vertrauen und schließliche Desillusion.
Do 06.04.2017 . 20:30
Prison Images
DE / FR, 2000, 60 min, OmU . Regie: Harun Farocki
Bilder aus Gefängnissen, Zitate von Robert Bresson und Jean Genet sowie Dokumentarfilme aus der Nazi-Zeit halten Zwiesprache mit Aufnahmen von Überwachungskameras in Hochsicherheitsgefängnissen der USA. Prison Images wirft einen Blick auf neue Kontrolltechnologien: Instrumente der Personenidentifizierung, elektronische Fußfesseln und andere Trackingmöglichkeiten. Das Kino ist von Gefängnissen seit jeher fasziniert, und heutige Gefängnisse sind voller Überwachungskameras. Deren Aufnahmen sind unbearbeitet und monoton; da in ihnen weder Zeit noch Raum verdichtet ist, sind sie besonders geeignet, jenen Zustand der Untätigkeit zu vermitteln, dem Gefangene zur Strafe ausgesetzt sind. Welche Art von Bildern liefern Überwachungskameras und Schulungsvideos für das Wachpersonal? In Farockis Film wird die Justizvollzugsanstalt zu einem anthropologischen Labor, in dem vor dem starren Auge der Kamera das Leben und der Tod geprobt werden.