Wahre Geschichten

Hintergrund Scarpas Drehbuch zu "Alles Geld der Welt" landete zu erst in der Schublade. Als die Produzenten Friedkin und Thomas es lasen, waren sie sofort fasziniert: „Uns war auf Anhieb klar, dass wir hier einen attraktiven Kinostoff vor der Nase hatten"

Produzent Quentin Curtis legte den Grundstein zu ALLES GELD DER WELT, als er die Filmrechte für John Pearsons Buch über die Familie Getty erwarb. „Painfully Rich: The Outrageous Fortune and Misfortunes of the Heirs of J. Paul Getty“ thematisiert vor allem den berüchtigten Entführungsfall des Milliardärsenkels John Paul Getty III. Curtis schlug David Scarpa vor, die Geschichte für die Leinwand zu adaptieren. „Ich hatte von der Entführung natürlich schon gehört“, erinnert sich Scarpa. „Mich interessierte vor allem, inwieweit Geld grundsätzlich das Leben eines Menschen kontrolliert und beeinflusst. Viele unserer Entscheidungen basieren zum Teil auch auf finanziellen Erwägungen – die Wahl des Jobs, des Wohnorts, des Ehepartners usw. Je weniger Geld du zur Verfügung hast, desto eingeschränkter sind deine Möglichkeiten. Die Reichen werden sogar emotional von ihrem Vermögen beeinflusst. Das Geld gibt ihnen Freiheit und Macht, doch wie setzen sie das ein? Als Quentin mir von dem Projekt erzählte, war meine spontane Reaktion: ‚Ach, der Junge, dem ein Ohr fehlt?‘ Quentin wies darauf hin, dass Getty damals der reichste Mann der Welt war und das Lösegeld locker hätte aufbringen können. Er besaß eine Milliarde Dollar und sollte den Entführern 17 Millionen zahlen. Doch er weigerte sich. Dieses Detail machte mich neugierig, also sagte ich zu.“

Gettys notorischer Geiz und die emotionale Dimension, die sich dahinter auftat, faszinierten Scarpa. „Er hätte das Geld für die Freilassung leicht auftreiben können, doch psychologisch war er dazu nicht in der Lage, weil er sich nicht von seinem Geld trennen wollte. Die Geschichte beginnt also als klassischer Thriller, der jenseits der Fakten der Frage auf den Grund geht, welche Macht das Geld über diesen Mann hat und welchen Einfluss es auf seine Familie und die Entführer nimmt. Selbst das Leben eines Kindes bringt ihn nicht dazu, sich von seinem Geld zu trennen. Der reiche Mann ist schon längst zur Geisel seines Reichtums geworden“, fasst Scarpa die eigentliche Misere des alten Getty zusammen.

Die Struktur für Scarpas Drehbuch lieferte der Entführungsfall, anhand dessen hier erstmals zwei etablierte Genres miteinander kombiniert werden. „Wir zeigen Szenen aus der Zeit vor der Entführung, um den Jungen und den Milliardär einzuführen. Die größte Herausforderung bestand darin, Elemente des Thrillers mit denen eines klassischen Biopics zu verbinden. Der Film bewegt sich konsequent hin und her zwischen Thriller und Familiendrama à la Shakespeare“, erläutert Scarpa.

Das Drehbuch landete 2015 auf der Black List, der unter Filmschaffenden jährlich stattfindenden Umfrage nach herausragenden bis dato nicht realisierten Stoffen. Die Produzenten Dan Friedkin und Bradley Thomas von Imperative Entertainment lasen es und waren sofort fasziniert von der Geschichte. „Der Stoff handelt von der persönlichen Tragödie einer der weltweit reichsten und mächtigsten Familien. Das Ganze spielt auf drei Kontinenten. Uns war auf Anhieb klar, dass wir hier einen attraktiven Kinostoff vor der Nase hatten. Und es gab nur einen Mann, der diese Geschichte packend auf die große Leinwand bringen könnte.“ Nämlich Ridley Scott, der anfangs überhaupt nicht scharf darauf war, die Getty-Entführung zu verfilmen – bis er das Drehbuch las.

„Mit Getty verband ich ganz bestimmte Erinnerungen. Der Entführungsfall interessierte mich damals nicht sonderlich. Doch das Drehbuch nahm mich von Anfang an gefangen. Und als ich mich mit Dan und Bradley traf, wusste ich, dass ich bei ihnen in guten Händen sein würde. Ich wollte den Film unbedingt machen“, erinnert sich Scott.

„In J. Paul Gettys Brust steckten zwei Seelen“, fand Scott. Für seinen Geiz war er allseits bekannt, aber auch für seinen Geschäftssinn und seine wohltätige Ader. „Er war ein intelligenter Mann, der sich von seinem Instinkt leiten ließ. Wer sich 1948 in den Nahen Osten aufmachte, um Öl und Ländereien zu erwerben, der musste mutig und clever sein. Doch als es darum ging, für seinen Enkel Lösegeld zu zahlen, lehnte er das schlicht ab. Die Leute waren schockiert. Andererseits signalisierte er so den Entführern, dass er nicht bereit war, mit Terroristen zu verhandeln. Regierungen gehen heutzutage genauso vor. Insofern war Getty seiner Zeit voraus. Die Leute vergessen, dass er auch ein großzügiger Wohltäter war. Eine seiner Hinterlassenschaften ist die Getty Villa in Santa Monica, ein Museum, das keinen Eintritt kostet.“

Ursprünglich spielte Kevin Spacey den alten Getty mit Hilfe aufwändigen Make-ups inklusive einer Prothese. Doch die sich häufenden Anschuldigungen von ehemaligen Kollegen Spaceys, von ihm sexuell belästigt worden zu sein, bewogen Scott zusammen mit den Produzenten von Imperative Entertainment dazu, Spaceys Szenen neuzudrehen und ihn durch Oscarpreisträger Christopher Plummer zu ersetzen.

„Die furchtbaren Anschuldigungen wurden sechs Wochen vor dem geplanten Kinostart bekannt. Wir konnten den Film der Öffentlichkeit so nicht präsentieren, das ließ sich nicht mit unserem Gewissen vereinbaren. Als Ridley und ich entschieden, Christopher Plummer für die Rolle zu besetzen, waren das Team und die Schauspieler ganz auf unserer Seite. Wir sind ihnen sehr dankbar, dass sie uns so engagiert unterstützt haben“, kommentiert Dan Friedkin den Nachdreh.

Neben dem an Spacey beanstandeten Verhalten ging es auch darum, die an dem Projekt beteiligten Mitstreiter zu würdigen, die viel Zeit und Kraft in den Film gesteckt hatten. Sony Pictures brachte es folgendermaßen auf den Punkt: „Ein Film ist nicht das Werk eines einzelnen Künstlers. Es sind neben einem hochkarätigen Regisseur über 800 Schauspieler, Autoren, andere Künstler, Handwerker und Mitarbeiter daran beteiligt gewesen, die über mehrere Jahre Zeit und Energie für dieses Projekt aufgewandt haben. Es wäre einfach eine haarsträubende Ungerechtigkeit, ihr Werk wegen der Vergehen eines Nebendarstellers abzustrafen.“

Paul Getty führte ein bemerkenswertes und quasi kinoreifes Leben. Mit 24 war er bereits Millionär. Er war Stammgast auf den Partys der Reichen, ging verschwenderisch mit seinem Reichtum um, bis er schließlich wieder in das Familienunternehmen zurückkehrte. Er verwandelte sich fortan in einen disziplinierten, gnadenlosen Kapitalisten. Gleichzeitig war er Mäzen der Kunst- und Architekturszene. Er ermöglichte unter anderem den Nachbau der Hadrians Villa in Malibu, Kalifornien, die heute als „Getty Villa“ bekannt ist. Getty war ein Mann vieler Widersprüche – unfassbar reich und unglaublich knauserig, liebevoll und grausam.

Plummer war von dieser Gegensätzlichkeit in J. Paul Gettys Wesen fasziniert. „Ich war begeistert, als Ridley mir die Rolle anbot. Ich wollte schon immer mit ihm arbeiten. Ich spiele besonders gern reale Persönlichkeiten, weil ich die Recherchen spannend finde, vor allem bei so einem außergewöhnlichen Mann. Außerdem war das Drehbuch so exzellent, dass ich sofort auf die Rolle angesprungen bin.“

Plummer war mit dem Entführungsfall und Gettys überraschender Weigerung vertraut, doch über den Menschen Getty wusste er kaum etwas. „Getty war ein recht in sich gekehrter Mensch. Er verehrte Geld und genoss es, schöne Dinge zu kaufen, weil er von denen nicht enttäuscht wurde. Ihnen wohnte eine Reinheit inne, die er in Menschen nicht zu finden glaubte. Seine Reaktion auf die Lösegeldforderung folgt einer kühlen, unsentimentalen Logik. Er begründete seine Weigerung damit, dass er schließlich viele Enkelkinder hätte und sich dann dutzendweise neue Entführungen ereignen würden. Das sagt auch viel über seine komplexe Beziehung zu seiner Familie“, gibt Plummer zu bedenken.

Michelle Williams spielt Gail, die leidenschaftliche Mutter von John Paul Getty III, die sowohl ihren geizigen Schwiegervater als auch die Entführer unter hohem Risiko austrickst. Sie war sofort Feuer und Flamme für das Projekt – allein weil Ridley Scott Regie führte, brauchte sie nicht lange zu überlegen. „Als sein Name genannt wurde, war meine Entscheidung schon gefallen. Und nach der Lektüre des exzellenten Drehbuchs gab es eh keinen Zweifel mehr.“

Die Zusammenarbeit mit Scott erfüllte dann auch all ihre hohen Erwartungen: „Er arbeitet mit einer ungeheuren Präzision und kommuniziert seine Vorstellungen kurz und knapp, so dass die Drehtage zügig ablaufen und richtig Spaß machen. Das Ganze gleicht einem Spiel, in dem jeder heiß darauf ist, den Ball, der dir zugespielt wird, zu fangen. Er gibt dir viel Raum, um deine Rolle auszuloten. Und wenn du seine Hilfe brauchst, ist er sofort zur Stelle. Er hat sich immer etwas überlegt, um monoton anmutende Szenen über die Handlung oder den Dialog aufzupeppen“, erläutert Williams.

Williams bereitete sich auf Gail mit Hilfe von Videoclips auf YouTube vor und las Artikel und Bücher über sie. Die Kostümbildnerin und die Maskenbildner erleichterten ihr den Einstieg in die Rolle. „Als ich mit Ridleys fantastischer Kostümbildnerin Janty Yates anfing zu arbeiten und mit Ferdinando Merolla und Tina Earnshaw zwei tolle Maskenbildner an meiner Seite wusste, fügten sich alle Puzzleteile aus meiner Recherche zu einem großen Ganzen. Es ist kein Zufall, dass alle zum wiederholten Male mit Ridley arbeiten. Seine charmante und kluge Art wirkt anziehend auf hochqualifizierte Leute. So viel geballte Kompetenz ist schon einschüchternd. Jedenfalls hat es mir enorm geholfen, über die Kleidung und äußere Erscheinung Zugang zum Innern dieser Person zu finden“, erläutert Williams.

Scott gibt zu bedenken, dass Williams abgesehen von den Informationen aus dem Internet nicht sonderlich viel Material zu Gail zur Verfügung stand. Nach der Scheidung zog Gail sich entschlossen aus der ersten Reihe der berühmten Getty-Familie zurück und lebte ein ganz normales Leben. Erst die Entführung ihres Sohnes katapultierte sie zurück ins Licht der Öffentlichkeit. „Michelle ist eine vielschichtige Künstlerin mit Seltenheitswert. Sie nimmt ihre Rollen sehr ernst. Ihr stand nur wenig Material über Gail zur Verfügung, vor allem Kameraaufnahmen von ihren öffentlichen Ansprachen. Michelle hat ihre physische Erscheinung sehr gut eingefangen. Gail war athletisch, sie spielte Polo. Und sie war sehr intelligent. Sie war der Inbegriff einer modernen Mutter und ebenso entschlossen wie diszipliniert.“

Obwohl sie im Film Gegenspieler sind, hat Christopher Plummer die Zusammenarbeit mit Michelle Williams sehr genossen. „Ich bin ein großer Fan von ihr“, gesteht Plummer. „Sie ist eine extrem vielseitige Schauspielerin.“

Mark Wahlberg spielt Fletcher Chace, Gettys pragmatischen, rätselhaften und oft moralisch widersprüchlichen Berater und Sicherheitsmann. Auch er folgte dem Lockruf der Produzenten vor allem wegen Ridley Scott: „Die Geschichte hat mich zwar auch sehr fasziniert, aber die Chance, endlich mal unter seiner Regie arbeiten zu können, war ausschlaggebend. Wir kennen uns bereits seit circa 20 Jahren, und ich war auch davor schon ein großer Fan seiner Arbeit. Ich steckte gerade mitten in Dreharbeiten und hätte bis zu ALLES GELD DER WELT nur fünf Tage frei gehabt. Doch ich wollte mir diese einmalige Gelegenheit nicht entgehen lassen, zumal ich beim Lesen des Drehbuchs feststellte, dass ich so eine Rolle bisher noch nie gespielt hatte. Zur Abwechslung musste ich mich nicht mit Teddybären, Waffen oder miesen Typen herumschlagen, sondern konnte einen gebildeten Mann verkörpern, der für Getty interessante Dinge erledigte“, erinnert sich Wahlberg.

Zu Ridley Scotts Lieblingsfilmen gehört sogar der mit Wahlberg und dem Teddy. Besonders Wahlbergs natürlicher Stil hat den Regisseur angesprochen: „TED und BOOGIE NIGHTS zählen tatsächlich zu meinen Lieblingsfilmen. Mark ist sehr einfühlsam und hat Sinn für Humor. Er wirkt sehr natürlich in seinem Spiel, und der Zuschauer kann sich mit ihm leicht identifizieren, selbst wenn seine Figur in extreme Situationen gerät. Genau das ist bei Fletcher Chace der Fall, als er von der Spezialeinheit in die CIA und schließlich zu Getty wechselt. Er ist gleichzeitig klug und verfügt über eine beeindruckende körperliche Präsenz, die er nur einsetzt, wenn es unbedingt nötig ist“, erläutert Scott.

Wahlberg konnte bei seinen Recherchen nicht viel über Chace herausfinden – nicht weiter verwunderlich bei einem Mann, der so ein geheimnisvolles Leben führte. „Er führte die Rudermannschaft in Harvard an, war Kampfschwimmer, arbeitete für die Marineeinheit der SEALs, dann für die CIA und hatte eine Ölfirma. Als er Getty kennenlernte, beriet Chace andere Ölfirmen. Getty schätzte seinen Rat und heuerte ihn für Getty Oil an“, fasst Wahlberg seine Kenntnisse über den Mann zusammen. „Dann legst du Hosenträger und Weste an und schlüpfst dank des tollen Drehbuchs geschmeidig in die Rolle.“

Das Drehbuch diente Wahlberg tatsächlich hauptsächlich als Quelle seiner Vorbereitung auf einen Mann, dessen Loyalität und Moralvorstellungen während des Entführungsfalls wiederholt auf die Probe gestellt werden. „Ich habe das Drehbuch vier Mal täglich laut gelesen, sodass ich es während des nicht chronologisch ablaufenden Drehs in- und auswendig konnte. Das hat mir geholfen, die Zwischentöne herauszuarbeiten, besonders in den Szenen, in denen sich bei Fletcher Chace langsam ein Sinneswandel ankündigt“, erläutert Wahlberg seine Arbeitsweise. Christopher Plummer war sehr erfreut, dass Wahlberg in fast all seinen Szenen an seiner Seite war. „Ich war auf die Zusammenarbeit mit ihm sehr gespannt“, verrät er.

Charlie Plummer, mit Christopher weder verwandt noch verschwägert, spielt den entführten Getty-Enkel John Paul Getty III. Er versteht ALLES GELD DER WELT als ein für unsere Gegenwart abschreckendes Beispiel, trotz der sehr speziellen Umstände der Entführung, die eine eher exklusive Milliardärsfamilie wie die der Gettys trifft: „Darüber haben Ridley und ich anfangs viel diskutiert: Was machst du mit deinem Leben, wenn du scheinbar alles hast? Meine Figur wächst in recht bescheidenen Verhältnissen auf und landet dann bei seinem Großvater in einem Leben voller Macht und Überfluss. Dem wird er je entrissen und muss während der Entführung viele Entbehrungen und Misshandlungen erdulden, bis er schließlich wieder freikommt. Wie reagierst du auf so etwas, wenn du reich bist und dir jeglicher moralische Kompass fehlt? Für ihn endete das Ganze tragisch. Meine Generation befindet sich in einer ähnlichen Situation, wo es vielen an nichts fehlt und alle danach streben, noch mehr anzuhäufen. Der Film macht deutlich, dass Geld nicht der entscheidende Faktor ist, der einen glücklich macht. Die Quelle für dein Glück liegt in dir selbst.“

Scott fand Plummers „schlaksigen Charme“ besonders ansprechend. Für den Regisseur war er die Idealbesetzung, denn er versteht es, den jähen Wandel vom unbekümmerten und selbstbewussten Jugendlichen hin zu einem brutal verunsicherten, fürs Leben gezeichneten jungen Mann überzeugend zu verkörpern. „Er sieht aus wie ein Erwachsener, strahlt aber auch diese jugendliche Frische aus. Deshalb sollte die Eingangsszene des Films unbedingt an der Via Veneto spielen, so wie in Fellinis DAS SÜSSE LEBEN, einem meiner Lieblingsfilme. Dort tummelten sich damals neben mondänen Filmstars und Paparazzi allerlei Eurotrash, Prostituierte sowie Wohlstandswaisen. Wir führen den 17-Jährigen ein, wie er allein die Straße entlanggeht und den attraktiven Strichmädchen selbstbewusst entgegentritt. Der Zuschauer weiß ihn sofort einzuordnen. Erst als er durch die Entführer dieser Welt brutal entrissen wird, tritt der kleine Junge in ihm wieder in den Vordergrund. Charlie spielt diesen inneren Bruch perfekt“, schwärmt Scott.

Gail ist die Einzige, die sich von Gettys Vermögen nicht korrumpieren lässt. Ihr liegt lediglich daran, dass ihr Sohn heil zu ihr zurückkommt. Das Geld von Getty ist für sie nur das Mittel zum Zweck. Die Liebe zu ihrem Sohn verleiht ihr den nötigen Schneid und selbstlosen Starrsinn und macht sie zum moralischen Vorbild. Williams weist darauf hin, dass Gail immer wieder aufs Neue beweisen muss, wie ernst sie ihre Mutterliebe nimmt: „Insofern ist der Film nicht nur ein spannender Thriller, er bricht auch eine Lanze für den Feminismus, indem er deutlich macht, was es für eine Frau bedeutet, sich in einer von Männern dominierten Welt durchzusetzen. Es gibt viele Szenen, in denen gezeigt wird, wie sie an den Rand gedrängt oder außen vor gehalten wird. Sie wusste intuitiv, dass sie ihre ganze Kraft aufbringen musste, um in diesem Kampf die Kontrolle zu erlangen und am Verhandlungstisch Platz nehmen zu dürfen. Sie muss sich zusammenreißen, weil sie sich immer wieder auf eine veränderte Situation neu einstellen muss, um das Ziel am Ende zu erreichen. Ich liebe solche Figuren, die sich nicht unterkriegen lassen und kämpferisch daherkommen“, schwärmt Williams.

Klassenübergreifender Stil

ALLES GELD DER WELT spielt Anfang der 1970er, umspannt aber mehrere Generationen und gesellschaftliche Schichten – von den Superreichen über radikale Terroristen bis hin zu einer alleinerziehenden Mutter aus der Mittelschicht. Kostümbildnerin Janty Yates versteht es, diese verschiedenen Welten über den modischen Stil entsprechend zu definieren. Auch bei Scotts GLADIATOR war sie für das Kostümdesign verantwortlich und wurde für ihre Leistung mit einem Oscar belohnt.

„Ich freue mich jedes Mal, wenn ich mit Ridley zusammenarbeiten darf. Wenn ich das Drehbuch gelesen habe, geht Ridley es mit mir durch und skizziert die einzelnen Figuren etwas detaillierter. Mit diesen Informationen ziehe ich los und beginne meine umfangreiche Recherche“, erläutert Yates ihre Arbeitsweise. „Beim zweiten Treffen sind dann schon einige der Schauspieler anwesend, was die weitere Entwicklung des Looks entscheidend beeinflusst. Wir dehnen die Recherche daraufhin noch weiter aus, suchen repräsentative Bilder aus der Zeit zusammen, um ein Gefühl für die Atmosphäre zu bekommen. Anschließend treffe ich mich separat mit jedem einzelnen Schauspieler.“

Für ALLES GELD DER WELT setzte Yates so viel Originalstücke wie möglich ein. „Wir konnten auf Unmengen von Secondhand-Klamotten zurückgreifen, das machte die Kostüme natürlich absolut authentisch“, schwärmt Yates. Bis auf die Garderobe von Gail und John Paul Getty herrschen vorwiegend einfarbige Outfits vor – Grau, Schwarz, Blau und Weiß hatte Scott als Farbkonzept vorgeschlagen. „Ridley liebt es, sich mit den Kostümen zu befassen und Farbkonzepte zu entwickeln. Er geht dabei bis ins kleinste Detail, selbst Taschentücher und Anstecknadeln entgehen seiner Aufmerksamkeit nicht. Die Zusammenarbeit mit ihm ist immer sehr inspirierend.“

Yates ordnete jeder Figur ihren eigenen Modestil zu. „Fletcher Chace musste nach einem früheren CIA-Agenten aussehen, der sich keine Anzüge von bekannten Designern zulegt, um möglichst unauffällig seiner Tätigkeit nachgehen zu können. Trotzdem sollte er elegant und schnittig aussehen, mit einer Prise Steve McQueen.“

„Gails Garderobe ist inspiriert von den Stilikonen der 1960er und 1970er, vor allem von Jackie O. Michelle trägt also schicke, zeitlose, gerade-geschnittene Hosen und keine verrückten Tops. Grace Kelly war ein weiteres Vorbild für ihr Erscheinungsbild“, erläutert Yates.

Besonderen Spaß bereitete Yates das Einkleiden von Charlie Plummer in der Rolle von John Paul Getty III, der bis zu seiner Entführung wie ein junger Bohemien auf Dauerurlaub daherkommt. „Bei den Recherchen zu seiner Person fanden wir heraus, dass er eine wilde Mischung bevorzugte. Auf den Fotos trug er vorwiegend Klamotten aus psychedelischen Boutiquen aus Londons Kings Road, wie dem angesagten Laden ‚Granny Takes a Trip‘“, verrät Yates.

Den reichen aber geizigen J. Paul Getty verkörpert Christopher Plummer in maßgeschneiderten Anzügen aus der berühmten Londoner Saville Row. „Aus Geiz trug er die bis zu 25 Jahre lang. Auf den Fotos war zu erkennen, dass er über zehn Jahre lang auch dieselben Schuhe und Krawatten anhatte“, erläutert Yates.

All die vielen Orte

Die Story rund um John Paul Gettys Entführung und hochdramatische Rettung spielten sich an verschiedenen Orten in London und Rom ab. Ausstatter Arthur Max wählte mehrere berühmte Sehenswürdigkeiten beider Städte als Hintergrund für die Handlung aus: das Nationalmuseum in Rom; der Palazzo Fontana wird zum Firmensitz von Getty Oil in San Francisco; die Villa Wolkonsky, eigentlich die Residenz des britischen Botschafters in Rom, wird zu Gettys Domizil in Rom; die Hadrians Villa des gleichnamigen römischen Kaisers, Teil einer bemerkenswerten klassischen Anlage aus dem 2. Jahrhundert n. Chr., wird als Gettys amerikanischer Nachbau etabliert; und der Palast Hatfield House nördlich von London dient als Gettys englisches Domizil im Sutton Place.

Max hatte von Anfang an den Plan, die Locations für ALLES GELD DER WELT in London und Rom zu suchen. „Am Anfang haben wir eine umfangreiche Recherche der 1970er in Rom betrieben in Verbindung mit intensiven Studien zum Leben John Paul Gettys und seiner Familie. Dadurch förderten wir die Aspekte seiner Persönlichkeit zutage, die wir durch das Produktionsdesign besonders hervorheben wollten“, erklärt Max.

Die Location-Suche ermöglichte es Max, Orte seiner Jugend nochmals aufzusuchen. „1972 war ich zum ersten Mal in der Via Veneto. Ich war per Auto bereits durch andere Städte Europas gereist und landete nachts in Rom. Verschlafen wie ich war, hielt ich unter einem riesigen Torbogen, an einer alten Mauer und machte ein Nickerchen. Als ich aufwachte, bemerkte ich, dass ich auf der Via Veneto gelandet war. Ich wurde von zwei netten Frauen begrüßt, die es sich auf meiner Kühlerhaube gemütlich gemacht hatten. Auch in London habe ich in den 70ern eine Zeitlang gelebt. Insofern hatte ich eigene Erinnerungen an diese Orte und die Zeit“, erläutert Max.

In den 70ern sahen London und Rom nicht so geleckt aus wie heute. „Besonders in Rom lag in den Straßen viel Müll herum“, erinnert sich Max. „In London und Rom waren viele Wände mit Graffiti verziert, überall hingen politische Plakate und Reklametafeln. Heutzutage stehen natürlich auch ganz andere Autos in den Straßen. Doch die Architektur ist in beiden Städten fast unverändert, von einigen Neubauten mal abgesehen. Londons Hatfield hat sich nicht großartig verändert, seit ich 1984 als Ausstattungsassistent bei GREYSTOKE mitgearbeitet habe.“

Die ewige Stadt ermöglichte es, Gettys Reichtum in Szene zu setzen, ohne die Drehkosten ins Unermessliche zu katapultieren. „Unser Ziel war es, Opulenz möglichst kostengünstig zu visualisieren. Es galt also, die Motive klug auszusuchen und effizient einzusetzen. Der Palazzo Barberini ist ein gutes Beispiel – dieses wunderschöne Museum diente uns als Auktionshaus. Die Residenz des britischen Botschafters in Rom verwandelten wir in John Paul Gettys Hotel, denn sie strahlte eine Atmosphäre aus Luxus und Macht aus. Für das Versteck der Entführer hingegen haben wir uns außerhalb Roms in den Bergen um den Braccianosee heruntergekommene Häuser gesucht, die der ärmlichen Herkunft der Terroristen entsprechen“, verrät Max.

Die Farbpalette in ALLES GELD DER WELT spiegelt die Zeit, den jeweiligen Ort und den sozialen Status wider. In San Francisco beschränkte Max sich auf neutrale Töne, Variationen von Blau sowie frühlingshafte Farben für die Zeit, als Gail noch ein unbeschwertes Leben führte. „In Rom wechseln wir zu Schwarz- und Goldtönen, die Handlung wird dramatischer und düsterer – dunkles Holz, Walnuss, fast schwarze Türen. Für die Entführung wählten wir extrem schmutzige, tote Farben, als Kontrast für Gettys Welt in Rom, als wir ihn zusammen mit seinen Enkeln treffen. Luxuriöses Ambiente in Orange, Gold, Lachsfarben, Pink und Rostrot. Jeder Erzählabschnitt ist durch eine eigene Farbe gekennzeichnet“, erläutert Max.

Die detaillierte Visualisierung des andauernden Drucks, dem Gail sich ausgesetzt sieht, spiegelt sich auch in den Motiven, den Kostümen und der Ausstattung wider, durch die uns Gettys Welt und die der Entführer nahegebracht wird. Außerdem wird der alte Getty zuweilen als Bösewicht und als Opfer gezeigt, was dem realen Zwiespalt entspricht, in dem er sich gefangen sah. Selbst während des notwendig gewordenen Nachdrehs durch die Umbesetzung des alten Getty hat ALLES GELD DER WELT nie seinen ursprünglichen Fokus verloren.

Christopher Plummer bringt es auf den Punkt: „Ridley ist ein Profi durch und durch. Er weiß bei jeder Einstellung genau, wie er sie im Schnitt bearbeiten wird. Er ist ein Regisseur der alten Schule. So wie Hitchcock wagt er sich an sehr unterschiedliche Sujets. Er experimentiert ständig herum, weiß aber gleichzeitig genau, was er will. Es ist extrem erfrischend, mit ihm zu arbeiten.“

14.02.2018, 12:05

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