Hier und dort

Synopsis Dass "Heimat" nicht unbedingt ein feststehender Begriff ist, sondern vielmehr einem ständigen Wandel unterworfen sein kann, zeigt sich für die junge Noa zwischen Berlin und Israel
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Zum Film

Seit acht Jahren studiert die Israelin Noa in Berlin. Bald wird sie 30 und ist gerade mit ihrem Freund Jörg zusammen gezogen. Dennoch fühlt sich Noa fremd in ihrem Leben und hat das Gefühl, ihren Platz noch nicht gefunden zu haben. Zusätzlich wird das Thema ihrer Abschlussarbeit – ein Lexikon der unübersetzbaren Wörter – als unzureichend abgelehnt. Kurzentschlossen fliegt Noa in ihre Heimat, um dem Ganzen zu entfliehen. In Israel angekommen, fällt sie in die Rolle des aufmüpfigen Teenagers zurück, der im Dauerstreit mit seinen Eltern liegt. Als dann ausgerechnet am nationalen Erinnerungstag ihr besorgter Freund auftaucht, muss Noa erkennen, dass Rollen zu wechseln nicht Ankommen bedeutet. Aber wie geht das, wenn man bisher seine Rollen einfach nur abgestreift hat, wie einen Pullover, der nicht mehr passt?

Interview mit Ester Amrami

Du hast während deines Studiums an der Filmuniversität Babelsberg Konrad Wolf vier Kurzfilme gedreht, die auf vielen Festivals, darunter auch in der "Next Generation"-Reihe in Cannes 2012, gezeigt wurden. ANDERSWO ist dein Abschlussfilm und gleichzeitig dein Spielfilmdebüt. Wie ist es Dir gelungen, so ein großes Projekt zu realisieren?

Da hat mir die Tatsache, dass ich Studentin an der HFF war natürlich schon geholfen. Du bekommst dort die Möglichkeit geboten, Kontakte zu knüpfen. In meinem Fall war vor allem Cooky Ziesche vom RBB sehr wichtig, die den Film im Rahmen des "Leuchtstoff-Programms" gefördert hat. Außerdem hatte ich im Team eine Reihe von Kommilitonen aus anderen Fachbereichen (Kamera, Ton, Produktion), die mit dem Film ebenfalls ihr Diplom erworben haben und deshalb auch bereit waren, trotz sehr geringer finanzieller Entlohnung, ihr Bestes und mehr zu geben. Besonders hervorzuheben ist hier Laura Machutta, die als Producerin von Beginn an involviert war und das Pro- jekt über mehrere Jahre vorangetrieben hat.

Du arbeitest bei ANDERSWO zum ersten Mal mit einem erfahrenen Produzenten zusammen. Hat das deine Arbeitsweise verändert?

Dirk Manthey hat uns viel Vertrauen geschenkt, deshalb brauchte ich meine Arbeitsweise nicht irgendwelchen Bedingungen anzupassen. Ich weiß, dass ich mit ihm viel Glück gehabt habe, denn er legt genau wie ich viel Wert auf eine kooperative Zusammenarbeit, in der gegenseitiger Respekt und Anerkennung einen sehr hohen Stellenwert besitzen.

In ANDERSWO befindet sich die Hauptfigur Noa in einem Schwebezustand, weil sie nicht mehr weiß, wohin sie gehört, was Heimat eigentlich für sie bedeutet. Ist dir dieses Lebensgefühl vertraut?

Das Thema, das mich interessiert hat, ist Heimatlosigkeit. Und zwar in dem Sinn, dass du nach langer Zeit nach Hause kommst und dann feststellst, dass du nicht das findest, was du erwartest. Oder vielleicht stellst du fest, dass du dich verändert hast. Heimat ist für mich etwas, das einem fehlt, wenn man es wagt, seine Geborgenheit zu verlassen. Ich kenne das Gefühl, und das hat mich getrieben, diesen Film zu realisieren. Jetzt bin ich mit dem Thema erst einmal durch, zumindest auf der künstlerischen Ebene. Es gibt einen schönen Aufsatz von Villem Flusser, in dem er Heimat als Mythos entlarvt, der am Ende zu Bequemlichkeit und sogar Repression führen kann. Deshalb ist er selbst wohl auch nie wirklich sesshaft geworden, bzw. hat sich immer wieder eine neue Heimat gesucht. Dazu gehört natürlich auch eine gewisse Beweglichkeit und Abenteuerlust. Am Ende ist es schön, wenn man sich in der Welt zuhause fühlen kann.

Du bist in Israel geboren und lebst seit über 10 Jahren in Berlin. Hattest Du während der Dreharbeiten in Israel das Gefühl "nach Hause" zu kommen?

Ja und Nein. Die israelische Mentalität, diese gleichzeitig sehr direkte, unkomplizierte und unmittelbare Art des Miteinanders, die sich natürlich auch in der Arbeit am Set widerspiegelt, ist mir sehr vertraut und liegt mir auch sehr. Auf der anderen Seite habe ich gemerkt, dass ich in den vergangenen 10 Jahren und während meines Studiums auch "deutsche" Arbeitsweisen zu schätzen gelernt habe. Alles in allem glaube ich, dass sich das gemischte Team bei den Dreharbeiten in Israel hervorragend ergänzt hat. Es war irgendwie so, dass beide Seiten jeweils die besten Eigenschaften der anderen zum Vorschein gebracht haben.

Du hast das Drehbuch zusammen mit Deinem Mann Momme Peters geschrieben. Habt Ihr Euch beim Schreiben besonders ergänzt oder war er eher ein wichtiger Gegenpol?

Ich würde sagen, dadurch dass er ein wichtiger Gegenpol war, haben wir uns so gut ergänzt. Momme und ich schreiben und arbeiten zusammen seit meinem ersten Film "Berlin Diary". Die Zusammenarbeit zwischen uns funktioniert vor allem deshalb so gut, weil wir uns herausfordern und weil wir uns auch hart kritisieren können. Die Basis dafür ist gegenseitiges Verständnis und Vertrauen. Die kulturellen Unterschiede zwischen uns erweitern unsere Perspektiven durch den kritischen, den außenstehenden Blick, den ich für das Schreiben extrem wichtig finde. Ich glaube, wenn man schreibt, soll man immer wieder alles in Frage stellen. Auch das, was man überhaupt erzählen will. Warum und wie man das erreichen kann. Sind die Sachen tatsächlich wie sie aussehen? Was steckt dahinter? Der Autor sollte gar nichts selbstverständlich nehmen. Er muss immer auch alles von Außen betrachten, was natürlich sehr schwer ist. Wenn ich über Israel nachdenke, bin ich oft das Opfer von banalen Heimat-Mythen, die meinen kritischen Blick auf eine gewisse Art neutralisieren. Das sind Geschichten, sinnliche Erfahrungen, Lieder usw., mit denen man aufwächst, die eine emotionale Wirkung haben und sich dann als "Fakt" in die Erinnerung einbrennen. Es ist sehr schwer, sich davon zu befreien, obwohl – oder vielleicht auch weil – ich seit 10 Jahren woanders lebe. Da hilft mir natürlich Mommes Blick, der die richtigen Fragen stellen kann, wo ich oft gar keine Fragen sehe. Er ist ja nicht emotional verbunden mit meiner Heimat – und dadurch kann er die Sachen komplett anders wahrnehmen. Das Gleiche gilt natürlich andersrum auch, also wie ich die deutsche Kultur sehe. Mir ist hier nichts selbstverständlich.

Wie ist die Idee entstanden ein "Lexikon der unübersetzbaren Wörter" als roten Faden durch den Film zu ziehen und wie habt Ihr Eure Experten gefunden?

Wir wollten mit den unübersetzbaren Wörtern zwei Dinge erreichen. Zum einen sollten sie das Gefühl der Heimatlosigkeit unterstreichen, denn die Protagonisten sprechen ja davon, dass ihnen diese Wörter im Alltag in Deutschland fehlen, und dass sie es so erleben, dass sie auch die Emotion, für die der jeweilige Ausdruck steht, vermissen. Zum anderen wollten wir dadurch Noas Erfahrung der Heimatlosigkeit aus ihrem persönlichen Bezugsrahmen heraus heben und sozusagen die globale Komponente zeigen. An die Leute, die die Wörter erklären, sind wir auf unterschiedlichen Wegen gekommen. Irgendwer kennt irgendwen, der irgendwen kennt... Wir haben aber auch einfach Zettel aufgehängt an einschlägigen Orten, an denen Mitglieder aus den verschiedenen Communities verkehren. Und Wladimir Kaminer, der das russische Wort erklärt, ist in Berlin bekannt aus Funk und Fernsehen. Den haben wir angeschrieben und er hatte Lust mitzumachen.

Hana Laslo ist in ihrer israelischen Heimat ein Star. War es schwer, sie für deinen Film zu gewinnen?

Mit Hana Laslo haben wir ebenfalls sehr viel Glück gehabt. Sie mochte das Drehbuch sehr und war deshalb bereit, sich auf das Abenteuer einer Low-Budget-Diplomfilm-Produktion einzulassen. Die Arbeit mit ihr war unglaublich angenehm, nicht nur wegen ihrer Schauspielkunst. Vom ersten Tag an, kannte sie die Namen von jedem Einzelnen und sie verteilte jeden Tag kleine Aufmerksamkeiten, also Süßigkeiten, Nüsse etc. an alle.

Deine Hauptdarstellerin Neta Riskin hat selbst lange in Berlin gelebt und ging danach nach Israel zurück. Wie hast Du sie entdeckt?

Neta Riskin hat einige sehr anspruchsvolle Projekte im israelischen Fernsehen gemacht. Ich habe bei ihr sofort die Eigenschaften einer großen Schauspielerin gesehen. Damals kannte ich ihre Biografie nicht. Dass sie tatsächlich auch eine Vergangenheit in Berlin hatte, war ein großer Zufall und natürlich ein Volltreffer.

ANDERSWO ist bereits mit mehreren Filmpreisen u.a. dem Studio Hamburg Nachwuchspreis und den Preis der deutschen Filmkritik ausgezeichnet worden und er steht auf der Longlist für den Europäischen Filmpreis. Macht diese Anerkennung es leichter, den nächsten Film zu realisieren?

Ich hoffe, dass ich diese Frage in 2 Jahren positiv beantworten kann.

29.01.2015, 15:08

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