Enge Verbindung

Einblicke Die Regisseurin und Drehbuchautorin Arantxa Aguirre spricht im Interview über ihr persönliches Verhältnis zu Beethoven und zum Béjart-Ballett Lausanne sowie über die Entstehung ihres Films
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Foto: Arsenal Filmverleih

Interview mit der Regisseurin Arantxa Aguirre

Ein weiteres Mal überraschen Sie uns mit einem außergewöhnlichen Dokumentarfilm über das Béjart Ballett Lausanne, mit dem Sie seit über acht Jahren in Verbindung stehen. Erzählen Sie uns von der Beziehung, die Sie zu dieser Truppe entwickelt haben, und von der Ausgangsidee für DANCING BEETHOVEN?

ARANTXA AGUIRRE: Meine Beziehung zu der Truppe von Béjart reicht in meine Jugendzeit zurück, in der ich im Palacio de los Deportes in Madrid eine ihrer Aufführungen sah. Sie führte mir eine neue Art vor Augen, den Tanz und die Bühnenkunst zu begreifen. Kurz darauf bekam ich die Erlaubnis, sie an ihrer Schule in Brüssel zu beobachten, womit ich damals viel Zeit verbracht habe. Als ich mich 2008 wieder mit ihnen in Verbindung setzte, um einen Dokumentarfilm über die Truppe zu machen, hatte ich bereits eine sehr genaue Vorstellung davon, was ich machen wollte. Der erste Dokumentarfilm EL ESFUERZO Y EL ANIMO war wichtig für das Verständnis der neuen Phase, in die die Truppe unter der Leitung von Gil Roman eintrat. Später bat man mich, kurze Dokumentationen über ihre Arbeit zu drehen und einen Teil ihres Repertoires zu filmen. Als sie mir dann aber vorschlugen, bei der Neunten Symphonie mitzuarbeiten, sagte ich mir, dass dies eine grössere Aufgabe sei, als bei den anderen Filmen.

Und die Person Maurice Béjart ist noch immer präsent, nicht wahr? Welche Bedeutung hat dieser Meister der Innovation in Ihren Augen?

Mit ihm hörten die Tänzer auf, nur dekorative Objekte zu sein; endlich entpuppten sie sich als intelligente und mutige menschliche Wesen. Für den Zuschauer war es, als würde er direkt von ihnen angesprochen. Zwischen Tänzern und Publikum wurde eine echte Verbindung, eine Ebene der Kommunikation hergestellt. All das geht auf Béjart zurück, und dafür bin ich ihm sehr dankbar. Andererseits war es ein aussergewöhnliches Privileg, mit seiner Truppe weiterarbeiten zu dürfen. Die Jahre zogen ins Land, und die Kamera war Zeuge, ganz wie in dem Film BOYHOOD.

Mussten Sie, als Sie die Choreographien von Maurice Béjart filmten, viele technische Hürden nehmen?

Nachdem ich die Proben auf der Bühne gesehen hatte, zerbrach ich mir den Kopf darüber, wie ich dieses Ballett filmen sollte. Vor allem kam mit Beethovens Neunter Symphonie etwas Episches ins Spiel, das im Bild zum Ausdruck kommen musste. Trotz des völlig anderen Hintergrundes ließ ich mich hier von Leni Riefenstahls Dokumentarfilm über die Olympischen Spiele in Berlin inspirieren. Und ich hatte das Glück, mit dem Kameramann Rafael Reparaz und der Cutterin Valeria Gentile zusammenzuarbeiten, die diese Herausforderung mit Bravour meisterten.

Und auch mit Malya Roman, die durch die Handlung führt. Warum wählten Sie sie als Erzählerin aus, anstatt diese Rolle selbst zu übernehmen?

Die Neunte Symphonie ist ein so dichtes und reiches Werk, dass es anmaßend von mir gewesen wäre, einen vermeintlich objektiven Standpunkt einzunehmen. Es erschien mir interessanter, meine Gedanken darüber durch eine Erzählerin zu vermitteln, durch die Subjektivität von Malya Roman. Außerdem hat Malya in das Projekt ihre eigene Geschichte, ihre eigene Sicht eingebracht. Indem sie zur Hälfte mein Alter Ego, zur Hälfte sie selbst war, trug dazu bei, eine Spiegelung zu erzeugen, die ich sehr inspirierend fand.

All das führt uns zu dem pädagogischen Aspekt von DANCING BEETHOVEN, der uns hilft, ein universelles Meisterwerk wie die Neunte Symphonie und auch die Welt des Tanzes als Beruf und Lebensweise besser zu verstehen. War auch das ein Ausgangspunkt für diesen Dokumentarfilm?

Wenn Sie einen Film drehen, müssen Sie, egal an welchem Punkt in ihrem Leben Sie gerade stehen, großzügig sein und alles geben. Es war für mich also unvermeidlich, mit dem Publikum alles zu teilen, was ich gelernt habe, nicht nur durch die Neunte Symphonie, sondern auch in meinem Leben. Wenn es um Kunst geht, ist es völlig nutzlos, etwas für sich zu behalten. Das bringt nichts. Ich schaffe gerne Räume für Vorschläge, für Reflexion; ich verzichte darauf, dem Publikum Vorträge zu halten. Aber natürlich funktioniert dieser Beruf nur, wenn Sie den anderen auch etwas mitzuteilen haben.

Ich möchte Ihnen zum Schluss dieses Interviews zwei Fragen stellen. Was bedeutet für Sie Freude? Und sind wir wirklich alle Brüder und Schwestern?

Die Freude ist eine Art und Weise, sich in der Welt aufzuhalten und zu verhalten. Ich sehe das an meiner kleinen Schwester, die von Natur aus fröhlich ist und das ganze Haus zum Strahlen bringt. Es geht weniger um die Umstände, als um einen inneren Zustand, eine Lebenseinstellung, eine natürliche Gabe, die dafür sorgt, dass wir uns wohlfühlen, die uns allen Trost spendet, auch den traurigsten Menschen der Welt. Sind wir alle Brüder und Schwestern? Eigentlich ist das gar nicht die Botschaft der Ode an die Freude. Was Schiller sagt, ist: "Alle Menschen werden Brüder, wo dein sanfter Flügel weilt." In anderen Worten: die Freude verwandelt die Dinge in etwas, das wir in ihrer Abwesenheit nicht besitzen. Dass eine so einfache Formel wie "Alle Menschen werden Brüder" so unmittelbar ergreift und auf universelle Weise funktioniert, sagt viel über die Sehnsüchte und Wünsche der Menschen aus. Von den drei Idealen der Französischen Revolution (Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit) haben sich manche Regierungen für die Freiheit, andere für die Gleichheit entschieden, die Brüderlichkeit aber wurde lange ignoriert oder vergessen. Und zurzeit besteht ein großer Bedarf, ein "Hunger" nach Brüderlichkeit in der Welt.

13.04.2017, 16:58

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