Als Feuilletonist mit eigener Fernsehsendung ist Jean-Michel Rouche zum Star geworden und einer der einflussreichsten Literaturkritiker des Landes. Für jedes schreibende Nachwuchstalent ist seine Stimme die Autorität, die über Wohl und Wehe der Kreativkarriere entscheiden kann. Entsprechend frustriert ist die junge Verlegerin Daphné Despero als der Debütroman ihres Freundes Fred plötzlich aus der Sendung fliegt und das frisch gedruckte Werk allzuschnell in der Versenkung verschwindet. Über die Abhängigkeit von der öffentlichen Aufmerksamkeit kann wohl jeder Verleger und jede Verlegerin ein eigenes Klagelied singen. Fasziniert horcht Daphné deshalb auf, als ihr Vater bei einem Besuch im heimatlichen Finistère von der Bibliothek der zurückgewiesenen Bücher erzählt. Hier, am sprichwörtlichen Ende der Welt, auf einer kleinen Halbinsel in der französischen Bretagne, sind jene Werke heimisch geworden, die bei den Verleger*innen mit Pauken und Trompeten durchgefallen sind. Doch mit dem Geschmack der Öffentlichkeit und der Konjunktur von Themen ist es so eine Sache. Dass sie sich radikal ändern können, ist eine Binsenweisheit im Verlagsgeschäft. Mit dem Optimismus einer Schatzsucherin stattet Daphné dieser kreativen Resterampe einen Besuch ab. Von „Masturbation und Sushi“ bis zum „Kaviar für die Mutigen“ ist allerlei dabei – auch „Die letzten Stunden einer großen Liebe“ von Henri Pick, ein Roman, von dem Daphné überwältigt ist. Sie ist überzeugt, dass hier ein großer Romancier und wahrer Literat am Werke war. Und nicht nur das: Henri Pick, Verfasser der dramatischen Liebesgeschichte ist kein anderer als der vor einiger Zeit verstorbene Pizzabäcker aus dem Dorf, der eigentlich sein Leben lang mit Literatur nichts am Pizzahut hatte.
Ein genialer Roman, dessen Genese eine eigene Geschichte ist – mit dieser Kombination lässt sich nicht nur in der Literaturszene, sondern auch beim Publikum ein triumphaler Erfolg lancieren. Die Verkaufszahlen des Romans geben Daphné recht. Ein ganzes Land ist in ein literarisches Fieber geraten und Henri Pick der neue, geheimnisumwitterte, glühende Star der Branche. Nur Jean-Michel Rouche wird skeptisch, denn der angebliche Autor ward sein Lebtag nicht mit einem Schreibgerät geschweige denn mit einem Buch gesehen. Kann jemand ohne jegliche literarische Vorbildung einen derart informierten und mit kanonischen Texten der Literaturgeschichte verwachsenen Roman produzieren?
Mit seinen Zweifeln macht sich Jean-Michel aber ziemlich unbeliebt. Seine Macht verkennt er. Nicht die resolute Autorität des Kritikers ist hier gefragt, sondern die raunenden Wogen der Nachfrage – und die Nachfrage nach heimlichen, zurückgewiesenen Genies, die sich hinter dem Gewöhnlichen verstecken, ist enorm. Der Zeitgeist will‘s, dass ein verhinderter Autor in fast jedem von uns steckt, dass das Zurückgewiesensein durch die Etablierten schon fast selbst zum Qualitätsmerkmal wird. Und so gelangt auch die Bibliothek der abgelehnten Bücher zu nachträglichem Ruhm. Ein eifriger Haufen Verlagsmitarbeiter tummelt sich bald hier und schnuppert sich durch die salonfähig gewordene Kreativkraft der Abgelehnten und Zurückgehaltenen.
Allein Jean-Michel Rouche schwant, dass die Hintergründe dieser Publikation selbst fiktionaler Natur sein könnten. So überzeugt ist er von seiner Theorie, dass da ein völlig anderer Autor hinter diesem Roman und dessen Inszenierung steckt, dass er sich weigert, in seiner Sendung weiter über Henri Pick zu sprechen. Jean-Michel findet heraus, dass Henri Pick sich zu Unrecht im Glanz der Zurückweisung sonnt. Denn sein Manuskript hat er nie bei den Verlagen eingereicht. Die Wahrheit dieser Dichtung will er ans Licht bringen, nicht mehr und nicht weniger. Das kostet ihn seinen Job und bringt ihm das Stigma eines gestrigen Verschwörungstheoretikers ein. Als auch seine Frau sich von ihm trennt, hat Jean-Michel die Freiheit, sich seiner „Ermittlung“ voll und ganz zu widmen. Zunächst versucht er, die junge Verlegerin in die Mangel zu nehmen – für ihn die naheliegendste Verdächtige. Doch Daphné Despero hält seiner Einschüchterungstaktik stand und auch aus seiner alten Freundin, der Verlagschefin Inès, sind keine Indizien für einen Schwindel herauszuholen. Jean-Michel steigert sich immer mehr in die Frage nach der wahren Autorschaft hinter „Die letzten Stunden einer großen Liebe“ hinein und macht sich auf den Weg ins verregnete Finistère, um die Sache an Ort und Stelle einmal gehörig zu untersuchen.
Schließlich wimmelt es hier nur so von Verdächtigen, die potentiell zur schreibenden Zunft und zu den heimlichen Profiteuren dieser verwegenen Literatur-Geschichte gehören könnten: von der Witwe Henri Picks über den neuen, in eine Identitätskrise gestürzten Pächter von Picks Pizzeria, die Bibliothekarin, die Damen eines Lesekreises bis hin zur offenkundig sehr belesenen Tochter Henri Picks. Jean-Michel muss den Ruin seines bisher tadellosen Rufes in Kauf nehmen. Die Pariser Literatur-Elite schmückt sich einfach viel zu gern mit den Federn des verkannten Genies, um den erzürnten Tiraden des alternden Kritikers Beachtung zu schenken. Und so gerät JeanMichel immer mehr an den Rand seines gewohnten Machtund Geltungsbereichs. In Henri Picks Tochter Joséphine findet er aber eine unerwartete Komplizin bei dem wendungsreichen Versuch, Ursache und Wirkung, Wort und Sprecher ins richtige Verhältnis zu setzen.