1974
Dies ist die Geschichte von Elsa. Wie viele andere wächst auch sie in einer ganz normalen Familie auf. Behütet und geborgen. Allerdings ist Weinen schon in jungen Jahren verpönt, denn auch als Kind muss man stark sein, Zucht und Ordnung sind das wichtigste. Elsa liebt ihren Großvater über alles, der sich die meiste Zeit um sie kümmert und oft mit ihr Krieg spielt. Dabei schlüpft er in eine russische Uniform, während Elsa den deutschen Soldaten gibt. Hat sie dann ihre Mission erfüllt und den „Bolschewiken“ getötet, wird ihr vom Opa ein Ehrenzeichen verliehen.
1979
Besonders liebt Elsa die Ausflüge mit Großvater in die Berge. Dabei lässt sie sich von dessen Begeisterung für Deutschland, „dem schönsten Land der Welt“, anstecken. Wenn es aber darum geht, dem kleinen Mädchen eine kurze Pause auf der beschwerlichen Wanderung zu gönnen, zeigt sich Opa unnachgiebig. Aufgeben sei schließlich was für Feiglinge. Denn: Ein deutscher Soldat kennt keinen Schmerz.
Elsa ist es außerdem verboten, amerikanische Filme und Serien im Fernsehen zu gucken. Tut sie es trotzdem, bekommt sie nicht nur eine Rüge, es wird ihr auch klargemacht, dass sich hinter den US-Sendungen Feindpropaganda verbirgt. Nach und nach richtet der Großvater seine Enkelin ab wie einen Hund. Alles Fremde muss sie hassen und das Buch „Mein Kampf“ auswendig lernen. Und sie beginnt, richtig Angst vor Juden zu haben, obwohl sie bis dahin noch nie einen gesehen hat.
1986
Mit 13 Jahren ist Elsa bereit, für Deutschland zu kämpfen. Sie tritt in eine rechtsextreme Partei ein. In diesem Milieu lernt sie auch Thorsten kennen, einen Mann, der noch viel radikaler, viel härter ist als sie. In seinen Reden macht er keinen Hehl aus seinem Hass gegen Ausländer und Asylanten, und gegen die Regierung, die sich nicht um die Deutschen kümmere.
Als Elsa erfährt, dass ihre Lieblingslehrerin Jüdin ist, bekommt diese ihre geballte Abneigung zu spüren. Daraufhin werden der Großvater und ihre Mutter zum Direktor bestellt. Nur mit Mühe können sie in dem Gespräch verhindern, dass Elsa für ihr Verhalten von derSchule verwiesen wird. Die Tochter selbst empfindet Opas duckmäuserische Vorgehensweise als feige und tituliert ihn verächtlich als Verräter.
In der Folge radikalisiert sich Elsa immer mehr. Nachdem perfiden Motto „Jeden Tag eine gute Tat für unsere Heimat!“ streift sie mit Thorsten durch die Straßen, auf der Suche nach Ausländern. Das Ziel: Diese mit verbaler, aber auch physischer Gewalt dazu zu zwingen, Deutschland wieder zu verlassen.
1990
Mit 18 heiratet Elsa Thorsten, mit dem Ziel, möglichst viele Kinder für die Bewegung und das Vaterland zu bekommen. Bald darauf kommt ihre Tochter Marrit zur Welt. Schon von Kindheit an wird Marrit mit der germanischen Götterwelt vertraut gemacht, mit Thor, der sich im Kampf gegen die böse Midgardschlange opfert, um das Volk der Germanen zu retten. Und die Interpretation der Geschichte wird von ihrer Mutter gleich mitgeliefert: „Der Kampf für unsere Heimat ist unsere heilige Pflicht. Damit wir nicht versklavt werden. Germanen dürfen niemals Sklaven fremder Völker sein.“
Im Kuhstall zeigt Thorsten seiner Tochter, wie man ein Kalb zur Welt bringt und macht sie mit dem alltäglichen Kampf ums Überleben vertraut, der genauso wie für die Tiere auch für die Menschen gelte.
Elsa und Thorsten sind nicht zuletzt deshalb von der Stadt aufs Land gezogen, um den Kindern einen sicheren Lebensraum zu ermöglichen. Zudem treffen sie dort auf eine Gemeinschaft von Gleichgesinnten. Von Gregor, dem Leiter dieser Gefährtschaft, werden sie jedenfalls mit offenen Armen empfangen. Allerdings haben sich dort auch die Kinder an bestimmte Regeln zu halten. Zum Beispiel muss Marrit als Mädchen einen Rock tragen, und sie darf nur mit Kindern von Kameraden spielen. Da die Gefährtschaft über keine eigenen Kindergärten verfügt, werden die öffentlichen Einrichtungen benutzt. Genau dort wird Marrit auffällig, als sie eines Tages ein Hakenkreuz malt.Sofort wird die Mutter einbestellt. Aber die kann die Kindergärtnerin erst einmal beruhigen und verhindern, dass diese das Jugendamt einschaltet. Als Herrmann auf die Welt kommt, ändert sich das Leben der Familie total. Denn Herrmann ist geistig behindert. Nicht nur für die Kameraden, selbst für den eigenen Vater ist er eine Missgeburt, ein nutzloser Esser. Doch Marrit liebt ihr Brüderchen von der ersten Sekunde an.
1998
Thorsten schwingt sich derweil zu Gregors bestem Mann auf. Seine Reden bei den Versammlungen sind scharf und kompromisslos. Thorstens aktuelles Plädoyer endet mit den Worten: „Meine Freunde, wir dürfen niemals zulassen, dass diese heiligsten Eigenschaften der Germanen durch das Blut einer fremden Menschenart verunreinigt und unser Volkskörper damit für immer zerstört wird!“ Mehr und mehr ist der kleine Herrmann den Hänseleien der Kameraden ausgesetzt. Deren Streiche werden immer fieser. Gregor empfiehlt daher dringend, in der Sache etwas zu unternehmen und Herrmann in ein Heim zu geben. Schließlich soll Thorsten bald sein Stellvertreter werden. Damit hat er Vorbildfunktion und die kann er mit „so einem Sohn“ nicht erfüllen. Doch Elsa denkt nicht daran, ihren Sohn einfach so abzuschieben. In den regelmäßig abgehaltenen Ferienlagern muss Marrit ständig dafür sorgen, dass Herrmann keine Dummheiten macht. Doch bei den Gewaltmärschen kann er einfach nicht mit den anderen mithalten. Dafür wird er vom Leiter ein ums andere Mal in die Lagerküche strafversetzt. Bei einer Wanderung wirft einer der Kameraden Herrmann einen Stein an den Kopf und hinterlässt eine blutende Platzwunde. Zu Hause versucht Marrit zu verheimlichen, was im Lager wirklich passiert ist. Doch ihr Vater weiß längst Bescheid. Erbost über diese dreiste Lüge greift der Choleriker zu seinen unmenschlichen Erziehungsmethoden: Schlagen, eine Nacht im eiskalten Stall, Liebesentzug.
Auch außerhalb der Familie bleibt Thorsten weiter gewalttätig. Er verprügelt Ausländer, zündet Asylantenheime an und landet schließlich im Gefängnis. Das bleibt auch nicht ohne Auswirkungen auf die Tochter. Marrit muss wegen ihres rechtsradikalen Hintergrunds die Schule verlassen. Denn einige Eltern haben schon mit dem Austritt ihrer Kinder aus der privat geführten Institution gedroht. Dann bekommt Elsa Besuch vom Verfassungsschutz. Der bietet ihr Haftverkürzung für ihren Mann gegenInformationen an. Aber Elsa ist nicht käuflich, ihre Kameraden werden nicht verraten. Das imponiert Gregor sehr. Der lobt nicht nur ihre Kraft und ihren großen Mut, sondern sichert ihr auch jegliche Unterstützung beim Betrieb ihres neu gegründeten Hofladens zu. Das Leben ohne Ehemann meistert Elsa hervorragend. Auch der Hofladen läuft gut. Da sie ihre Kinder wegender Vorfälle nicht mehr ins Ferienlager schicken will, beschließt sie, dass Marrit ein Musikinstrument lernen soll. Tatsächlich erweist sich die Tochter binnen kürzester Zeit am Klavier als großes Talent.
2000
Doch dann kommt der Tag, an dem Thorsten aus dem Gefängnis zurückkommt. Er ist voller Tatendrang, hat sich 18 Monate ausgeruht. Aber Gregor bremst ihn erst einmal ein. Besser wäre es, er würde seiner Frau im Hofladen helfen. Das ist nichts für Thorsten. Er muss wieder was tun, und fängt in seiner Familie an. Als erste bekommt dies Marrit zu spüren. Denn erst bekommt Thorsten ihre verhassten Ami-Klamotten zu Gesicht,und dann finden sich auch noch am Klavier die Notenblätter eines Felix Mendelssohn Bartholdy.Thorstens Reaktion darauf ist so brutal wie unmissverständlich: „Mit dieser Zersetzung ist jetzt Schluss. Ein für alle Mal! In meinem Haus wird keine jüdische Musik gespielt. In meinem Haus werden auch keine Jeans mehr getragen! Und deinen Scheißladen machst du zu! Hast du mich verstanden?“
Für Elsa steht daraufhin fest: Es muss sich etwas Grundlegendes ändern. Die Frage ist nur, was? Am Ende nehmen die Kinder ihr die Entscheidung ab. Doch wird die Flucht vor der eigenen Vergangenheit jemals ein Ende finden?