Schein und Sein

Zum Film Während die beiden Protagonisten zunächst ganz den Klischees ihrer Rollen zu entsprechen scheinen, zeigt sich doch bald, dass die Verhältnisse durchaus ein wenig komplexer sind
Schein und Sein

Foto: Movienet Film

Synopsis

Bewährungshelfer Benno (Christoph Maria Herbst) findet in Hotte (Peter Kurth) eine echte Herausforderung. Beschissen wird seine Behörde von Kleinkriminellen ohnehin, aber Hotte ist mit Abstand der dreisteste Gauner, der sein Büro jemals betreten hat. Als Hotte auch noch das Sorgerecht für seine beiden Kinder Dennis (Jasper Smets) und Jenny (Emma Bading) zugesprochen wird, sieht Benno rot. Auf keinen Fall darf Hotte mit den Halbwüchsigen in eine gemeinsame Wohnung ziehen und deren Erziehung übernehmen. Den interessiert zunächst nur das Kindergeld, aber langsam findet er Gefallen an dem Zusammenleben mit seinen Kindern und einem festen Wohnsitz. Und während Hotte sich aufrichtig bemüht, sein Leben neu zu ordnen, entwickelt Benno eine ungeahnte Energie, um genau dieses zu verhindern.

Da tritt Ivic (Ivo Kortlang) auf den Plan, der nicht nur ein Auge auf Jenny geworfen, sondern auch den todsicheren Coup geplant hat. Er will den „Wiener“ Schurl (Reinhold Moritz) überfallen und ihm eine beträchtliche Summe Schwarzgeld abnehmen. Es braucht nicht viel, um Hotte zu überzeugen mitzumachen.

Benno plagen derweil ganz andere Probleme. Er kann keine Kinder zeugen, traut sich aber nicht, es seiner Freundin Tanja (Anneke Kim Sarnau) zu sagen, die alles, aber auch wirklich alles daran setzt, schwanger zu werden. Dafür sorgt Bennos Bürokollege Rolf (Pasquale Aleardi), der allerdings schon Vater und verheiratet ist. Benno tröstet sich mit Anabell (Dorka Gryllus), die bereits eine Tochter hat und von ganz anderen Dingen träumt.

Als der todsichere Plan dann richtig schief geht, müssen Hotte, Ivic und Jenny vor Schurl und seiner Gaunerbande Hals über Kopf flüchten. Dann kommt die Beute zu Benno, der die Chance seines Lebens sieht, Hotte endlich eins auszuwischen. Jetzt hat er das Geld, um mit Anabell abzuhauen. Doch Benno hat den Plan ohne Hotte gemacht und so nehmen die Dinge eine ganz andere Wendung, als alle Beteiligten es jemals zu träumen gewagt hätten.

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Fragen an Markus Sehr

Wie kamen Sie zu dem Stoff?

Er ist mir quasi zugeflogen – ganz ähnlich wie unserer Hauptfigur Benno im Film die Geldweste zufliegt: völlig unverhofft. Produzent Herbert Schwering von COIN FILM hat mich, ohne dass wir uns persönlich kannten, angerufen und mir von dem Stoff erzählt. Nach einem gemeinsamen Treffen mit den Autoren Martin Ritzenhoff und Xao Seffcheque hatten wir allesamt schnell das gute Gefühl, dass unsere Vorstellungen, wie man diese Geschichte erzählen sollte, auf einer Linie lagen. Das war für mich eine wichtige Voraussetzung, denn die Autoren hatten ja zu dem Zeitpunkt schon fast 10 Jahre an dem Stoff gearbeitet. Das war ihr Herzensprojekt, ihr Baby. Da hatte ich also eine gewisse Fürsorgepflicht. Am spannendsten fand ich die angestrebte Tonalität dieser Geschichte: Sie changiert immer zwischen Komik und Drama, zwischen Realismus und Überhöhung, zwischen Härte und großer Zuneigung für die Figuren. Das wollte ich sehr gerne alles genau so zum Leben erwecken und auf die Leinwand bringen!

Steht Ihre Wunschbesetzung vor der Kamera oder gab es da einen langen Casting-Prozess?


Beides. Denn das ist ja zum Glück kein Widerspruch. Grundsätzlich war die Aufgabe für unsere Casterin Susanne Ritter und mich, die richtigen Leute zu finden, die diese besondere Mischung der Tonalität tragen können. Als erster stand Christoph Maria Herbst als Hauptdarsteller fest. Darüber habe ich mich sehr gefreut, denn ich wusste, dass er den Bewährungshelfer Benno nicht als so einen Sozialarbeiter-Öko- Schluffi spielen würde, wie er ja klischeehaft oft dargestellt wird. Mir war wichtig, dass unser Benno ein ganz natürliches Selbstbewusstsein hat und eine Lockerheit und auch attraktiv genug ist, um als romantischer Held in dieser Geschichte zu funktionieren. Und all das hat Christoph unglaublich authentisch und nahbar verkörpert. Die Suche nach Bennos Gegenspieler Hotte war etwas kniffliger. Ich musste lernen, dass es gar nicht so leicht ist, in Deutschland Schauspieler zu finden, die glaubwürdig eine proletarische Figur darstellen können. Peter Kurth war für mich persönlich dann die absolute Entdeckung – wenn ich das über einen so erfahrenen Schauspieler sagen darf. Nachdem wir das richtige Masken- und Kostümbild für ihn gefunden hatten, waren der Schauspieler Peter und die Rolle Hotte für mich nicht mehr trennbar. Peter IST Hotte. Für mich ist es jetzt immer noch ungewohnt, Peter ohne kurze Hosen, Hawaii-Hemd und ohne Schnurrbart zu sehen.

Ihr Film arbeitet mit extremen Fallhöhen. Er ist einerseits witzig, andererseits knallhart. Wie findet man die richtige Balance?

Nach der Drehbucharbeit fing das Suchen nach dieser Balance bereits mit der Besetzung an. Unser Film spielt ja zu einem großen Teil in einem Milieu, das weit entfernt ist von der Mitte der Gesellschaft. Und so braucht man Schauspieler, die ein Gefühl dafür haben, wie man Figuren spielen kann, ohne in diesen manchmal schon klischeehaften Sozialrealismus zu fallen. Ein Schauspieler darf mit seiner Figur niemals um Mitleid beim Zuschauer betteln. Daher wollte ich, dass alle unsere Charaktere mit einem großen Optimismus und mit viel Selbstbewusstsein, ja fast schon Überheblichkeit durch den Film gehen. Selbst so kleine Gauner wie Ivic (gespielt von Ivo Kortlang) oder Vlado (Mateusz Dopieralski) haben ihre eigenen Träume und Ziele. Und die verfolgen 21 sie unnachgiebig – egal, wie viele Rückschläge sie kassieren. Ein wichtiger Bestandteil in der Wirkung ist natürlich auch die visuelle Umsetzung. Die sollte vor allem eins: Spaß machen! Wir wollten einen schwitzigen, dreckigen Großstadtfilm erzählen. Aber eben ohne diese Tristesse, die man manchmal aus Milieu-Betrachtungen kennt. Wir wollten es bunt – nicht nur, was die Farben angeht, sondern auch was die vielen Details, die Figuren und die emotionalen Ausschläge angeht. All das muss natürlich im Schnitt gut austariert werden. Dafür haben wir dann tatsächlich einige Monate gebraucht. Auch wenn der Verlauf des Films durch den Plot schon sehr stark vorgegeben ist, mussten wir in vielen Feinheiten doch erst herausfinden, wie man den Zuschauer zwischen den ernsteren und den leichten Tönen hin und her wandern lässt, ohne ihn zu verlieren. Jetzt bin ich natürlich sehr gespannt, wie die Reaktionen der Zuschauer sein werden und ob uns das gelungen ist.

Köln wirkt wie eine richtige Metropole. Wie haben Sie das geschafft?

Ich habe mir mit diesem Film den kleinen Traum erfüllt, einige Facetten meiner Heimatstadt Köln so zu erzählen, wie ich sie empfinde. Ein wiederkehrendes Motiv sind die ständigen Baustellen, der Verkehr, der Lärm. Eine etwas zu enge Stadt, die im Sommer auch mal für Kopfschmerzen sorgt. Auch die heruntergekommene Arbeitersiedlung, in der ein Großteil der Handlung spielt, ähnelt stark der Siedlung in Köln-Bickendorf, wo ich selbst groß geworden bin. Meine deutsch-amerikanische Kamerafrau Leah Striker hat zu meinem Glück schnell eine große Freude daran entwickelt, in all den hässlichen Ecken Kölns (und davon gibt es viele) nach dem Schönen und Typischen zu suchen. Es ist also nicht nur mein Blick, sondern auch ein liebevoll gemeinter Blick von außen auf diese Stadt. Und dann gibt es noch die Menschen. Diese ganzen verschiedenen Charaktere unterschiedlichster sozialer und ethnischer Herkunft. Aber alle kommen sie miteinander ins Gespräch, wenn sie sich in der Straßenbahn gegenüber sitzen. Das ist schon etwas Typisches für diese Stadt. Und etwas, was Köln gleichzeitig zum Dorf aber eben auch zur Großstadt macht.

Was würde Sie persönlich mit so viel Geld anfangen?

Schlimm es zu sagen, aber soooo viel ist es ja gar nicht: schlappe 100.000 Euro. Ich muss gestehen, dass ich selbst nicht den Mut hätte, mit dieser Summe woanders ein komplett neues Leben zu beginnen. Da sind die Figuren in unserem Film mutiger und freier, allerdings haben sie vielleicht auch etwas mehr Druck. Mein Bedürfnis nach einem Leben am Strand hält sich im Moment jedenfalls in Grenzen. Eine etwas größere Wohnung würde mir schon reichen.

03.09.2015, 21:06

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