INTERVIEW MIT AHUVA SOMMERFELD, KARA SCHRÖDER UND ANATOL SCHUSTER
Kara, wie war es für dich, den Film heute zum ersten Mal zu sehen?
Kara Schröder: Mir geht’s sehr gut mit dem Film, ich war vorher aufgeregt, aber beim Sehen war ich ganz entspannt, weil ich ihn einfach genießen konnte als einen sehr berührenden Film. Es war für mich sehr schön, den Film zu sehen. Ein bezaubernder Film, der sehr ehrlich, humorvoll und direkt mit gar nicht so einfachen Themen umgeht, nämlich mit dem Wunsch, im Alter einen selbstbestimmten Tod zu haben. Und trotzdem ist der Film eine Liebeserklärung ans Leben.
Frau Sommerfeld, Sie sind keine gelernte Schauspielerin, erinnern Sie sich noch an den Moment, als Anatol Schuster vor Ihnen stand und gefragt hat, wollen wir einen Film zusammen machen?
Ahuva Sommerfeld: Meine erste Begegnung war so: Anatol brauchte ein Portrait für einen Kurzfilm, also hat Adrian, der Kameramann, mich gefragt. Ich bin nämlich die Oma seiner Freundin. Anatol hatte wohl erwartet, es kommt eine alte Oma nach draußen. Ich bin rausgesprungen und Anatol war fasziniert. Später erzählte mir Adrian, Anatol hat was mit dir vor. „Um was geht’s denn?“ „Das soll er dir erzählen.“ Dann haben wir uns getroffen und Anatol hat mir gesagt, ich will einen Film mit dir machen. Ich habe ihn gefragt, willst du Selbstmord begehen? Ich bin keine Schauspielerin. Dann hat er gesagt, entweder ich mache den Film mit dir oder gar nicht. Dann hat er mir das Drehbuch geschickt, ich hab es gelesen und ihm gesagt, ne ne, das bin ich nicht. Ich habe ihm meine Bedenken genannt, dann war er so lieb und hat das geändert. Und im Nachhinein bin ich ganz, ganz glücklich, dass ich ihn getroffen habe. Weil es war eine wunderbare Arbeit mit ihm zusammen.
Wie war es denn für Sie, sich auf großer Leinwand zu sehen?
Ahuva Sommerfeld: Sehr seltsam. Ich hab zwar den Film vorher gesehen am Computer, aber plötzlich sieht man sich auf der Leinwand, das ist unheimlich.
Anatol, du wusstest aber schon, dass es nicht unheimlich wird, sondern dass es was ganz Besonderes ist. Wie war es für dich, wie ist in dir diese Entscheidung gereift, nach eurer Begegnung einen Langfilm zu machen?
Anatol Schuster: Das war erst mal gar kein Langfilm. Das kennt jeder, der in diesen Schaffensprozessen steckt, am Anfang ist es eine reine Idee, nichts weiter. Diese dann auszureifen und zu formen zu etwas, das dann langsam Wirklichkeit wird – dazu tragen viele äußere Faktoren bei. Tatsächlich war ich vor genau einem Jahr hier in Saarbrücken und da gab es dieses Drehbuch noch nicht, ich erinnere mich, dass ich im Zug zurück die ersten Zeilen geschrieben habe, und dieser erste Satz, dieses: „Ich will sterben!“, das ist sozusagen die Initialbewegung dessen gewesen, und da war sofort klar, es geht darum, Dinge auszusprechen ohne Tabus, so direkt wie möglich. Danach spielte vieles eine Rolle: Dreherfahrungen, die ich bisher gemacht hatte einmal ganz anders auszuprobieren, mit wenig Zeit, wenig Mitteln, einfach pur und direkt, und diese Direktheit zu etwas werden zu lassen, zu der alle mit ganzem Herzen beitragen.
Kara, erst einmal Glückwunsch, du bist nominiert als Beste Nachwuchsdarstellerin. Ihr spielt ja ein ganz besonderes Paar: Enkelin und Großmutter sind sich unglaublich nah, fast schon eine phantastische Beziehung, weil sie teilen alles miteinander. Wie war das für dich, diese Arbeit und vor allem diese Beziehung zwischen euch?
Kara Schröder: Anatol hat mir das Drehbuch gezeigt und ich fand es total berührend, ein Thema, das mich auch insgesamt sehr stark beschäftigt hat, und dann habe ich Ahuva kennengelernt, und zuerst hatte ich ein bisschen Angst vor ihr (lacht), das weiß sie auch. Doch dann sind wir über die Suche nach den Figuren einen Weg zusammen gegangen und das wurde zu einer total schönen gemeinschaftlichen Arbeit.
Es gibt eine Szene, da werden Sie huckepack getragen, Sie singen Karaoke, es wird getanzt, es wird geraucht, es wird gekifft, es passiert unglaublich viel... Wie war das für Sie, diese Momente bei den Dreharbeiten noch einmal zu erleben?
Ahuva Sommerfeld: Ich habe persönlich eine sehr herzliche und enge Verbindung zu meiner Enkeltochter. Am Anfang war Kara ein bisschen reserviert. Und ich dachte mir, komm mal nah zu mir, Mädchen, und mit der Zeit ist ihr das gelungen, und dann fing die Arbeit an, wirklich gut zu werden. Aber das ist klar, sie ist eine gelernte Schauspielerin, und dann hat sie sich an die Bühnenregeln gehalten. Ich wollte, dass es eine innere Beziehung wird und das wurde es auch am Ende. Das ist auch mit der großen Hilfe von Anatol passiert. Er war immer sehr sanft und hat uns in einer geschickten Art einander nähergebracht, in jeder Szene. Und darin besteht der Erfolg von diesem Film.
Anatol, der Film wird unglaublich authentisch durch seine dokumentarischen Elemente, es gibt ein Drehbuch, aber man hat das Gefühl, man begegnet immer wieder echten Situationen. Wie viel ist improvisiert und warum ist dir dieser dokumentarische Ansatz wichtig gewesen, unabhängig von den Drehbedingungen?
Anatol Schuster: Zum einen wollte ich etwas Neues ausprobieren. Es war uns wichtig, dass wir uns auf die Gegebenheiten einlassen und dass das Außen ungestellt auf die Szene einwirkt. Wir wollten so wenig wie möglich in das Äußere eingreifen. Das haben wir im Zweierteam entschieden: Mit dem Kameramann Adrian Campean habe ich auch gemeinsam den Film produziert. Zur Improvisation: Ich bin kein Freund von reiner Improvisation, vielleicht bin ich dafür zu ungeduldig. Wir haben uns sehr konzentriert an die Szenen gemacht, auch weil wir keine langen Drehtage hatten, und das Entscheidende war, dass es immer ein klares Thema gab, über das improvisiert werden konnte. Insgesamt war das ein sehr spannender Prozess. Wir haben begonnen mit einem Ziel, aber es war überhaupt nicht klar, ob wir da jemals ankommen werden. Es war anfangs nicht klar, dass das ein Langfilm wird, ob uns die Kräfte dazu reichen. Die komplexen Momente und elementaren Szenen sind am Ende entstanden, als klar war, wir kommen immer mehr zusammen, wir sind immer mehr auf einer Linie und wissen, dass es funktioniert, wir können uns aufeinander verlassen. Das war ein sehr, sehr schönes Erlebnis.
Frau Sommerfeld, Sie waren Inspiration, um diesen Film zu machen, und trotzdem ist es ja ein fiktionaler Film. Es sind nicht Sie, es ist eine Frau Stern. Wie haben Sie sich da vorbereitet, eine Frau zu spielen, die sterben möchte?
Ahuva Sommerfeld: Wissen Sie, ich hab in meinem Leben mit sehr vielen Holocaust-Überlebenden zu tun gehabt. Ich kenne das Schuldgefühl sehr gut, zu den letzten Überlebenden zu gehören. Die großartige Sache bei Anatol war, dass er mir die Freiheit gelassen hat, nicht an die Texte gebunden zu sein. Er hat gesagt, wenn du frei sprechen willst, tu das einfach, und das hat mir sehr geholfen. Und dadurch, dass ich so viele Frauen, oder Menschen, erlebt habe, war es mir sehr nah. Auch wenn ich keine gelernte Schauspielerin bin, ging das bei mir emotional, und genauso bei Summertime. Das war eine sehr emotionale Sache, durch meinen Mann, der es immer für mich gespielt hat. Ich habe Jahrzehnte nicht mehr gesungen, aber ich wusste, wenn meine Enkelin, meine echte Enkelin Lili Sommerfeld, sagt, dass es gut ist, was ich mache, dann kann ich das machen. Dann habe ich mich von Anatol überreden lassen und anscheinend ist das gelungen.
Wie war es, gemeinsam mit der echten Tochter Nirit Sommerfeld vor der Kamera zu stehen?
Ahuva Sommerfeld: Das war sehr aufregend. Als meine Tochter in Salzburg Schauspiel studiert hat, habe ich sie oft besucht, weil es mich interessiert hat, was sie da macht, und da habe ich sehr viel unbewusst mitgekriegt. Als Anatol mir angeboten hat, den Film zu machen, habe ich es mit meiner Tochter besprochen und sie hat mir sehr dazu geraten. Das war schön, mit ihr zusammen zu spielen, sie ist ein Profi, das hat Spaß gemacht.
Kara, in der Szene geht es ja um dich, nämlich um die Enkelin, die ein viel engeres Verhältnis zu ihrer Oma als zu ihrer Mutter hat. Was ist das für eine Frau, die du da spielst, die große Angst hat, dass ihre Oma irgendwann nicht mehr da ist?
Kara Schröder: Die Figur hat sich in der Arbeit hauptsächlich durch das Verhältnis zu Frau Stern entwickelt. Sie hat offensichtlich keine so ganz klare Berufung. Wir sehen ihren starken hedonistischen Antrieb, sich zu vergnügen. Aber das war in der Arbeit eher zweitrangig. Vielmehr ging es um die Auseinandersetzung mit Frau Stern, um die Frage, was heißt denn sterben – oder auch leben.
Anatol Schuster: Sowohl Frau Stern als auch Elli sind beide sehr angstlose Figuren, Elli lässt sich treiben und trifft Entscheidungen, die ihr spontan begegnen, hat tausend Jobs, aber nichts, was sie vollkommen erfüllt, und trotzdem kann sie damit unbeschwert leben. Das kann erst mal Sorgen bereiten, denn alles ist ungesichert, aber sie versprüht dabei großes Selbstvertrauen. Das verbindet sie wiederum sehr stark mit ihrer Oma, mit Frau Stern, die auch eine große Lebensgenießerin ist, die sagt, ich genieße den Moment, aber wenn der Moment nicht mehr lebenswert ist, dann will ich ihn auch nicht mehr leben. Diese Fragen liegen ganz stark in der Luft, und diese beiden Frauenfiguren leben es einfach aus.
Wahrscheinlich auch weil ihr euch die Zeit genommen habt und dabei frei wart, denn dieser Film ist ohne Förderung entstanden, mit ziemlich viel Risiko und Glauben an die Sache. Vielleicht magst du noch ein paar Worte dazu sagen?
Anatol Schuster: Das ist ein zweischneidiges Schwert. Zum einen heißt es, das ist doch Ausbeuterei. Auf der anderen Seite war Ausbeutung für uns nie Thema. Für uns war Thema: Wir wollen das machen und wir wollen es unmittelbar machen. Es gab einen schönen Satz, der mir letztes Jahr im Gespräch mit Edgar Reitz begegnet ist, als ich die Kübelkinder gesehen habe: Der Wunsch, einen Film so zu machen, wie man ein Bild malt, mit dieser Unmittelbarkeit. Ein Bild malt man nicht mit der Rechenschaft vor 30 oder 40 Leuten, vor jahrelangem Reflektieren und Wiederneuansetzen, sondern man kann es auch einfach tun. Und das ist beim Film sehr, sehr schwer. Aber hier haben wir erfahren, dass es Wege gibt, dies zu tun. Und zwar haben wir ganz radikal auf vieles verzichtet. Auf Szenenbild, Kostümbild, Licht. Auf Team, auf geordnete Sicherheit. Das gab es alles nicht. Aber das Schöne war, der Moment, der vor der Kamera entsteht, ist dadurch viel unmittelbarer und greifbarer gewesen. Ich will das nicht als Rezept vorschlagen, als neue Methode oder so, aber das war in diesem Fall die richtige Methode, die absolut richtige, und beim nächsten Film muss man wieder neu schauen.
Die Fragen stellte Franziska Hessberger.