INTERVIEW MIT CECILIA VERHEYDEN (REGIE)
Verfilmungen von Theaterstückens sind immer eine komplexe Sache. Ausgerechnet für Ihren Debütfilm haben Sie sich für eine Theatervorlage entschieden. Wie haben Sie es geschafft, dass HINTER DEN WOLKEN nicht nur dem Theaterstück gerecht wird, sondern auch ein wunderbarer und eigenständiger Film geworden ist?
Als ich das Theaterstück sah, spürte ich sofort, dass darin eine Geschichte für einen Film steckt. Mir war aber sehr wichtig, dass ich mir diese Geschichte aneigne. Bei Autorenfilmen geht man als Regisseur oft von einer eigenen Idee aus, von einer Geschichte, die man selbst entwickelt. Hier aber ging es um ein Theaterstück, an dem drei Menschen – die beiden Schauspieler und der Theaterregisseur – bereits seit Jahren arbeiteten. Es war also wichtig, dass HINTER DEN WOLKEN auch zu meiner Geschichte wird. Und ich musste viele Gründe haben, sie zu erzählen.
Welche Gründe haben Sie gefunden?
Michael De Cock, mein Drehbuchautor, und ich sind gemeinsam auf die Suche nach einem neuen Zugang zu der Geschichte gegangen. Das ist auf sehr natürliche Art und Weise geschehen. Zum Beispiel ist mir die Erzähllinie zwischen Großmutter und Enkelin sehr wichtig. Die Beziehung zwischen den beiden ist vergleichbar mit der, die ich zu meiner eigenen Großmutter habe. Sie hat mir bei dem Film sehr geholfen. Abgesehen von den vielen Gesprächen mit ihr durften wir auch in ihrem Haus filmen. Sie wohnt dort immer noch und ich besuche sie fast jede Woche.
Auch die anderen Drehorte, die sich größtenteils in Leuven befinden, habe ich selbst ausgewählt. So fühlte sich HINTER DEN WOLKEN mehr und mehr wie meine eigene Geschichte an. Während der Arbeit am Drehbuch wurde mir immer klarer, dass HINTER DEN WOLKEN eine Geschichte über die Liebe im Alter erzählen muss. Michael erwies sich als jemand, der nicht nur ein sehr großes Talent hat, sondern auch sehr offen für Feedback und meine Vorschläge war. Das betraf auch die Dialoge. In einem Theaterstück sprechen die Figuren über Dinge, die man in einem Film einfach besser visuell ausdrücken kann.
Wie haben Sie die visuelle Umsetzung der Geschichte entwickelt?
Bei den ersten Drehbuchfassungen spielte die Geschichte noch in einem Herrenhaus in der Stadt. Aber ich hatte allmählich immer mehr das Haus meiner Großmutter vor Augen. Von dem Moment an, als sie ihr Einverständnis gab, bekam der Film für mich eine visuelle Gestalt. Von da an konnte ich beginnen, bestimmte Szenen konkret auszufüllen. Wenn man bei einem Drehort spürt, dass er der richtige ist, um die Geschichte zu erzählen, kommen die Szenen im Grunde von ganz alleine. Das Haus meiner Großmutter hat mich so inspiriert und die Bildsprache von HINTER DEN WOLKEN im Grunde mitbestimmt. Visuell durfte der Film nicht zu altbacken und zu klassisch daher kommen. Ich möchte die Zuschauer vergessen lassen, dass sie einen Film mit älteren Menschen sehen, denn die Fragen und die Zweifel der beiden Hauptfiguren sind im Grunde dieselben wie von jungen Menschen. Deshalb musste sich der Film sehr frisch anfühlen.
Diese Frische spiegelt sich auch in den Dialogen der Figuren wider.
Die Dialoge im Theaterstück sind wunderschön und wohlgesetzt. Doch für einen Film mussten wir eine aktivere Sprache wählen, die sich weniger theatralisch anfühlt. Michael begriff das genau und war in manchen Situationen sogar noch rigoroser als ich. Die Hauptdarsteller Jo und Chris setzten das auch ganz wunderbar vor der Kamera um. Entsprechend positiv reagierten auch die Zuschauer. Sie sagten hinterher, es würden im Film so schöne Dinge und so viele Weisheiten gesagt, an die man sich erinnern und die man mit nach Hause nehmen würde, z.B. „auch die Haut hat ein Gedächtnis“. Solche Sätze haben fast schon etwas Poetisches.
Sie haben sich für die Hauptrollen Ihres Debütfilmes mit Chris Lomme und Jo De Meyere zwei der größten belgischen Theater- und Filmschauspieler ausgesucht. War das nicht etwas beängstigend?
Angst ist ein großes Wort, aber ein bisschen eingeschüchtert war ich schon. Nicht nur wegen ihrer Bekanntheit und ihrer Erfahrung, sondern auch, weil es um ein Stück ging, das für sie so persönlich ist und das die beiden so gut kennen. Wer war ich schon, dass ich ihnen sagen konnte, wie sie es zu spielen haben? Glücklicherweise gehören Jo und Chris einer Schauspielergeneration an, die ihren Regisseuren sehr viel Respekt entgegenbringt – egal, wer sie sind oder woher sie kommen. Dadurch hat die Zusammenarbeit ganz toll funktioniert und meine eigene Arbeit wurde besser und ich konnte an ihr wachsen. Abgesehen davon haben die beiden eine Energie und einen Eifer, die ich bei Schauspielern selten gesehen habe. Wenn man mit Chris und Jo zusammenarbeitet, dann vergisst man einfach, dass sie schon seit über fünfzig Jahren Schauspieler sind. Sie haben noch so viel Lust am Spiel und daran, es wirklich gut zu machen. Die beiden sind bewundernswerte Schauspieler.
Ihre Professionalität hat sicher auch dabei geholfen, einige sehr intime Szenen zu spielen, die man nicht oft auf der Leinwand sieht, wenn diese von Schauspielern im Alter von 60+ gespielt werden. Warum haben Sie sich dafür entschieden?
Diese Szenen und Dialoge basieren auf ganz vielen Gesprächen im Vorfeld. Mir war bewusst, dass Chris und Jo dazu ihre Fragen haben würden, denn so etwas ist doch sehr intim. Und auf der großen Leinwand spielt das eine andere, vielleicht sogar größere Rolle als im Fernsehen. Als Chris zum Beispiel in dieser Badewanne sitzt, ist sie am verletzlichsten, denn es gibt nichts mehr, das sie verbergen könnte. Im Hotelzimmer gibt es eine Szene, in der Gerard eine Art Überblick über seine körperlichen Wehwehchen gibt. Wir haben uns bewusst dafür entschieden, weil eine Szene, in der er Emma wie in einer Art Balztanz mit seinem Humor verführt, viel intimer ist als jede Sexszene. Den Rest haben wir dem Vorstellungsvermögen der Zuschauer überlassen. Mir war sehr wichtig, dass die Szenen bewusst sehr schön arrangiert wurden, denn ich wollte unbedingt die Schönheit dieser älteren Körper zeigen. Als ich Chris und Jo erklärte, worauf ich hinaus will, haben sie mir in diesem Punkt vertraut und ich habe ihr Vertrauen nicht enttäuscht. Das haben sie mir jedenfalls hinterher so selbst bestätigt (lacht).
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INTERVIEW MIT MICHAEL DE COCK (DREHBUCH)
Als Produzent Peter Bouckaert Sie bat, die Filmadaption für HINTER DEN WOLKEN zu schreiben, haben Sie nicht lange gezögert.
Nein, ich brauchte damals keine Bedenkzeit. Vielleicht steckt dahinter auch eine Form von Größenwahn. Aber ich hatte vor allem sehr viel Lust dazu. Ich habe schon immer davon geträumt, eines Tages ein Filmdrehbuch zu schreiben – aber ich hätte nie gedacht, dass dieser Traum wahr wird. Also ja, ich wollte es unbedingt machen. Von diesem Drehbuch gab es sehr viele Fassungen, aber wer beim Theater arbeitet, ist auch an Kritik gewöhnt. Das muss man einfach vertragen können. Filme zu machen kostet sehr viel Geld, also finde ich es auch normal, dass die Vorbereitung, das Feilen am Drehbuch, sehr lange dauert. Als Drehbuchautor muss man sich dem wirklich aussetzen. Und noch einmal. Und noch einmal. Man bekommt natürlich Hilfe und es stehen einem Menschen zur Seite, aber letztendlich sitzt man allein vor seinem Computer und dort muss es dann eben passieren.
Wie empfanden Sie die Zusammenarbeit mit Cecilia Verheyden?
Ich bin sehr froh, dass Cecilia einen Teil der Poesie, die im Text steckt, auch in Bilder hat umsetzen können. Ich bin als Drehbuchautor sehr wenig am Set gewesen. Zwei Mal, um genau zu sein. Und ich stand vor allem im Weg herum und das wollte ich natürlich nicht (lacht). Aber bei der Vorbereitung, beim Lesen und bei den Proben ist durchaus intensiv zusammengearbeitet worden. Die Gespräche mit Cecilia waren unheimlich bereichernd, weil sie eine Fantasie hat, die sich mit meiner sehr gut ergänzt. Weil sie natürlich in Bildern denkt. Kurzum, es war ein sehr interessanter, fruchtbarer Austausch.
Bei der Verfilmung blieb natürlich auch der schöne, poetische und etwas geheimnisvolle Titel HINTER DEN WOLKEN (Achter de Wolken) erhalten. Was bedeutet dieser Titel für Sie?
Für mich verweist dieser Titel auf etwas, das aus einer fernen Vergangenheit wieder zu einem spricht. John Hiatt singt auf seinem Album Bring the Family aus dem Jahr 1986 unter anderem das Lied It’ll come to you. Darin erzählt er: Egal, was passiert oder wie stark man etwas aus der Vergangenheit wegschieben will, es kommt eines Tages zurück, wohin man es auch immer gepackt hat. Die erste große Liebe oder das erste gebrochene Herz: Das sind Dinge, die wir alle kennen. Aus einer Art Freud‘schem Unterbewussten heraus schnellt diese erste große Liebe wieder empor. Das ist für mich HINTER DEN WOLKEN. Es ist dort noch. Es ist nie fort gewesen.
HINTER DEN WOLKEN beschäftigt sich mit der Liebe im fortgeschrittenen Alter. Glauben Sie, dass diese Thematik im Kino genau so gut funktioniert wie am Theater?
Mir leuchtet ja ein, dass der Kinosektor manchmal einen erbarmungslosen wirtschaftlichen Reflex hat, aber ich staune dennoch etwas über die defätistische oder ängstliche Haltung dieser Branche. Als Theaterstück hat HINTER DEN WOLKEN rund 50.000 Menschen in die Theatersäle gelockt. Das waren vielleicht meistens ältere Menschen, Leute, die ein bisschen mehr Zeit haben. Aber es ist Wahnsinn zu denken, dass es dem Kino nicht gelingen würde, die Leute für einen guten Film ins Kino zu bekommen. Gerade, weil es heutzutage ein größeres Bedürfnis für etwas gibt, was ich den „leiseren“ Film nennen würde. Die niederländische Schauspielerin Halina Reijn fragte sich in einer Zeitungskolumne kürzlich, ob in diesen schweren Zeiten noch Theaterstücke über die Liebe gemacht werden sollten. Ich meine, dass es gerade heute einen Bedarf an Theaterstücken, Filmen oder Geschichten gibt, in denen es um die Liebe geht. Ich bin auch sehr froh, dass der Film gerade jetzt herauskommt, in einer Zeit, in der alle so angstvoll und besorgt sind. In mancherlei Hinsicht kann ein Wohlfühlfilm auch sehr viel Tiefe haben. Dies vorangestellt richtet sich der Film nicht ausschließlich an ein älteres Publikum. Es ist Cecilia gelungen, einen Film für alle Altersgruppen daraus zu machen. Dabei spielt mit Sicherheit auch die Glanzleistung von Charlotte De Bruyne eine Rolle. Die Chemie zwischen ihr und Chris Lomme stimmt einfach. Während der Arbeit teilt man sein Publikum übrigens nicht in Altersgruppen ein. Als ich damals gebeten wurde, das Theaterstück zu schreiben, wusste ich sofort, dass ich für Jo und Chris etwas machen würde, das vor Jugendlichkeit sprüht und worin ich auch über Begierde und Lebensfreude reden würde.