Archiv und Arbeit

Biographie Jerry Rothwell stieß eher zufällig auf die Fülle von Filmmaterial, das die Aktionen von Greenpeace von Beginn an dokumentierte. Dies allerdings führte zu einer eingehenden thematischen Auseinandersetzung
Archiv und Arbeit

Foto: NFP

Der Dokumentarfilmer Jerry Rothwell drehte unter anderem die preisgekrönten Dokumentarfilme Donor Unknown über einen Samenspender und seine zahlreichen Kinder – der Film wurde auf dem Tribeca Film Festival uraufgeführt und für den Grierson Award nominiert. Sein Film Town of Runners lief in Großbritannien in den Kinos und wurde auf dem Tribeca Film Festival uraufgeführt. Heavy Load handelt von einer Gruppe Lernbehinderter, die eine Punk-Band gründen. Deep Water (Co-Regie: Louise Osmond) berichtet über Donald Crowhursts 1968 gescheiterte Teilnahme an der Yacht-Regatta rund um die Welt und wurde als beste Kinodokumentation mit dem Grierson Award sowie auf dem Filmfestival in Rom ausgezeichnet.

2012 gewann Rothwell den renommierten Royal Television Award als Regisseur für die Filme Donor Unknown und Town of Runners. Derzeit arbeitet er für Netflix und arte zusammen mit Co-Regisseur Reuben Atlas an Sour Grapes. Für Met Film Production war er als ausführender Produzent und Cutter an zahlreichen abendfüllenden Dokus beteiligt – darunter Dylan Williams Men who swim und Sarah Gavrons The village at the end of the world.

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Jerry Rothwell selbst schreibt zu How to change the world:

Im Greenpeace-Archiv in Amsterdam lagern etwa 1500 silberne 16mm-Filmdosen – die meisten sind seit den 1970er-Jahren nicht mehr geöffnet worden. Sie enthalten die Chronik des außergewöhnlichen Versuchs, weltweite Veränderungen durchzusetzen.

In Vancouver fand sich in der kulturellen Aufbruchstimmung Ende der 1960er-Jahre eine kleine Gruppe von Freunden zusammen, die sich vornahmen, die Art und Weise der Wahrnehmung über die Rolle des Menschen als Teil der Natur zu verändern. Heute ist die Organisation in 26 Ländern vertreten und weltweit in mehr als 55 Ländern aktiv. Die dafür notwendige finanzielle Unabhängigkeit erhält Greenpeace durch rund 2,8 Millionen Unterstützer. Doch die Keimzelle war vor 40 Jahren eine handvoll "Mystiker und Mechaniker" in einer kleinen Stadt in Kanada. An der Story der Greenpeace-Gründer interessierten mich die Parallelen zu allen anderen neu entstehenden Gruppen. In diesen Gründerjahren kam eine Gruppe unterschiedlicher Männer und Frauen zusammen, die jeweils eigene spezielle Fähigkeiten einbrachten – eine Mischung aus exakter Wissenschaft und technischer Praxis einerseits sowie den Überzeugungen des I ging (Buch der Wandlungen) und den Prophezeiungen der amerikanischen Ureinwohner andererseits. Einige Mitglieder wollten Politik machen, anderen ging es um die Wissenschaft, wieder andere lockte einfach das Abenteuer. Doch ähnlich wie bei einer Band mit einem überraschenden Hit, der den weltweiten Ruhm bringt, wurde die Gruppe durch den Medienerfolg der ersten Anti-Walfang-Kampagne von einer Erfolgswelle mitgerissen, die zeitweilig drohte, alle gerade gewonnenen Errungenschaften zunichte zu machen.

Die Gründer hatten gar nicht vor, eine internationale Organisation ins Leben zu rufen, doch sie merkten bald, welche Eigendynamik sich um sie herum entwickelte. Das Team der einst gleichgesinnten Freunde fühlte sich Sogwirkungen ausgesetzt, die sie in verschiedene Richtungen zogen und sie schließlich trennten – durch Machtkämpfe und zwischenmenschliche Konflikte wurden aus Kollegen Rivalen. "Wie können wir die Erde retten, wenn wir nicht einmal uns selbst retten können?", schrieb Bob Hunter, der Anführer wider Willen. Bald wurde deutlich, dass ihr Erfolg nicht nur von den spektakulären Aktionen abhing, sondern auch vom inneren Zusammenhalt der Gruppe.

Die Aufnahmen, die in jenen Jahren von den Greenpeace-Crews gedreht wurden, enthalten den Schlüssel zum Verständnis der Gruppe – anhand des umfangreichen Bildmaterials kann man die damalige Zeit nachvollziehen. Die Gründerfreunde waren ihrer Zeit voraus, indem sie die Macht der Medien erkannten: Die mächtigste aller Waffen war das perfekte Bild. Die Filmbilder demonstrieren nicht nur ausführlich die von der Gruppe unternommenen dramatischen Aktionen, sondern auch ihre Freundschaften und Konflikte, Zwangslagen und Entscheidungen – eine manchmal verrückte Mischung aus der psychedelischen Subkultur und Politik, Wissenschaft und Theater. Bob Hunter erwies sich als perfekter Chronist ihrer Abenteuer – ein Romanautor, Comiczeichner und engagierter Journalist, der mit einem Augenzwinkern, aber auch mit schonungsloser Aufrichtigkeit seine eigenen Fehler und die seiner Mitstreiter analysierte. Bobs Texte bilden den roten Faden von How to change the world – so entstand statt trockener Zahlen-Geschichtsschreibung ein sehr persönliches, intimes Porträt der Ereignisse um die Gründung von Greenpeace.

In den Rückbesinnungen der Greenpeace-Gründer auf ihre eigene Vergangenheit geht es auch um die Zwänge nicht nur der Ökologiebewegung, sondern aller Bewegungen, die Veränderungen bewirken wollen, aber ebenso um die Schwierigkeiten des Erwachsen- und Älterwerdens: Spannungen zwischen jugendlichem Idealismus, Ego und Mut einerseits, sowie Reife, Pragmatismus und politischen Schachzügen andererseits. Heute, wo wir uns mit diesen Problemen auf einer globalen Ebene auseinandersetzen müssen, kann uns ein Film über die Geschichte einer handvoll engagierter Menschen zum Nachdenken darüber bringen, wie wir agieren – nicht nur jeder für sich alleine, sondern vor allem auch gemeinsam.

13.01.2016, 16:28

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