Begrenzter Einfluss

Zum Film Eine Woche war Astrids dreizehnjähriger Sohn Phillip verschwunden. Nun kehrt er wieder nach Hause zurück, wortlos, ohne Erklärungen, mit verletztem Fuß. Über die Gründe seines Verschwindens können Astrid und Phillips Lehrer nur mutmaßen
Begrenzter Einfluss

Foto: Piffl Medien

Ich war zuhause, aber...

Ein Film von Angela Schanelec

Astrid Maren Eggert • Phillip Jakob Lassalle • Flo Clara Möller

Lars Franz Rogowski • Claudia Lilith Stangenberg • Herr Meissner Alan Williams Astrids Freund Jirka Zett • Junger Regisseur Dane Komljen

Buch, Regie, Schnitt Angela Schanelec • Kamera Ivan Markovic • Ton Andreas Mücke-Niezytka, Rainer Gerlach Ausstattung Reinhild Blaschke • Kostüm Birgitt Kilian • Maske Monika Münnich • Casting Ulrike Müller Mischung Matthias Lempert • Grading Dirk Meier • Ausführende Produzentin Jana Cisar
Produzenten Angela Schanelec Nataša Damjanovic Vladimir Vidic

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Eine Woche war Astrids dreizehnjähriger Sohn Phillip verschwunden. Nun kehrt er wieder nach Hause zurück, wortlos, ohne Erklärungen, mit verletztem Fuß. Über die Gründe seines Verschwindens können Astrid und Phillips Lehrer nur mutmaßen. Was hat er gesucht, ein Ausgeliefertsein an die Natur, eine Annäherung an den Tod, ausgelöst durch den Tod seines Vaters?

Langsam setzt die Normalität des täglichen Lebens sich wieder in Gang. Phillip probt mit seiner Klasse ein Stück von Shakespeare, Hamlet. Astrid geht ihrem Beruf im Berliner Kunstbetrieb nach, sie kauft ein Fahrrad, sie kümmert sich um Phillip und seine kleine Schwester. Doch sie trägt schwer an der Einsicht, dass ihr Sohn ein eigenes Leben führt, dass ihr Einfluss begrenzt ist. Als sich Phillips Wunde entzündet und er mit einer Blutvergiftung ins Krankenhaus kommt, liegen bei Astrid die Nerven blank. Aber die Kinder wenden sich nicht ab. Das Gefüge der Familie zerfällt, um sich neu zu bilden.

"Verzeihen Sie mir bitte, aber keiner möchte mit seiner Wahrheit allein sein. Man möchte sie gern teilen, die Wahrheit. Außerdem ist das Quatsch, eine Meinung kann man teilen, aber eine Meinung ist ja noch keine Wahrheit. Aber gut."

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AUSRUHEN UND WEITERGEHEN

Eine Filmbeschreibung im Gespräch mit Angela Schanelec

„Ich war zuhause, aber ...“: Bei diesem Titel denkt man an Ozu, aber auch an Ihren ersten halblangen Film, den Sie Anfang der 90er Jahre gemacht haben: „Ich bin den Sommer über in Berlin geblieben.“

Angela Schanelec Das stimmt. Dieser Titel und auch der neue klingen, als ginge es einfach um einen Bericht dessen, was passiert ist, was ich gut finde. Aber ohne Ozu und „I was born but“ wäre ich auf den neuen Titel nicht gekommen. Die Nähe zu ihm ist für mich ein Gegenpol zur Wirklichkeit, Film als Erfindung, als reine Form.

Die Erfindung ist: Ein Junge war verschwunden und taucht wieder auf. Er ist dreckig, aus dem Zustand seiner Kleidung und Haut schließt man, er war wohl in Berührung mit Erde, Natur, vielleicht im Wald, aber das sieht man nicht, stattdessen beginnt der Film mit Tieren. Ein Hund jagt einen Hasen, später frisst er ihn. Das passiert in einem verlassenen Haus, dort ist auch ein Esel, der dem Hund beim Fressen zusieht. Zu den Füßen des Esels ruht der Hund sich dann aus.

AS Ja. Man kann Vermutungen anstellen darüber, wo der Junge war, es gibt Hinweise. Der Ort selbst lässt sich mit einem konkreten Schauplatz am Anfang des Films nicht darstellen, weil es für mich ein gewissermaßen phantastischer Ort ist.

Man sieht den Jungen, er heißt Phillip, erst, wenn er wieder auftaucht, im Morgengrauen auf dem Schulhof. Der Film erzählt dann, was geschieht in den Tagen und Wochen, die auf seine Abwesenheit folgen. Die Mutter kauft ein Fahrrad, aber es geht gleich wieder kaputt, und sie versucht, es wieder los zu werden. Phillip geht wieder in die Schule und spielt mit seiner Klasse ein Stück von Shakespeare, Hamlet. Aber Phillips Ausflug hat Folgen: Er kommt mit einer Blut- vergiftung ins Krankenhaus. Die Mutter hat keinen Einfluß mehr, keine Kontrolle, was sie an den Rand der Verzweiflung bringt. Währenddessen bleibt Phillip die ganze Zeit über ruhig, zärtlich zu seiner Schwester, sich seiner selbst gewiss.

AS Ja, er mag unberechenbar sein, aber er ist bei sich.

Auch Phillips Lehrer spielen eine Rolle. Einer von ihnen möchte sehr gerne ein Kind. Seine Freundin trägt frühmorgens Zeitungen aus, und er begleitet sie, um mit ihr darüber zu reden. Aber sie möchte kein Kind, und es ist schwierig, sie zu überzeugen. Im Museum treffen sie auf Phillips Mutter.

AS Ja, sie hat sich dort mit ihren Studenten getroffen. Sie unterrichtet an einer Kunsthochschule.

Einerseits geht das Leben weiter auf den vorgezeichneten, alltäglichen Bahnen, andererseits gibt es eine tiefe Konfusion, die dieses Leben in Frage stellt. Es kommt mir vor, als sei die Alltäglichkeit stets mit leichter Verzweiflung grundiert, was zum Teil zu recht komischen Situationen führt.

AS Klar, es ist oft komisch. Die Komik liegt in den Anstrengungen, die unternommen werden bei dem sehr menschlichen Versuch, sich halbwegs verständlich zu machen. Der Mutter fällt das immer schwerer. Die Situationen erscheinen verrückt, fast unwirklich. In dem Zusammenhang stehen auch die Hamletszenen, die die Klasse spielt. Die Ausdrucksweise wirkt so fremd und zugleich selbstverständlich, dass die gewohnte Normalität für den Moment des Spiels abhanden kommt.

Sie haben lange Theater gespielt und das Theater in Ihren Filmen auch immer wieder thematisiert.

AS Ja, mich interessiert das Spiel. Was kann man spielen und was entsteht erst durch den Blick der Kamera? Wie können wir einen Menschen, den wir auf der Leinwand oder auf der Bühne vor uns sehen, überhaupt begreifen?

Etwa in der Mitte des Films erfährt man, dass der Vater des Jungen vor nicht allzu langer Zeit gestorben ist. Man kann den Film auch als Folge dieser Verlusterfahrung lesen.

AS Vielleicht, aber ich betrachte diese Erfahrung als etwas, das zum Leben gehört, als etwas Selbstverständliches. Der Film spielt auch nicht unmittelbar nach dem Tod des Vaters, sondern es gibt bereits eine Form des Weiterlebens, auch eine Gewöhnung daran. Es gibt aber auch Folgen daraus, die man nicht erwarten und einschätzen kann, man muss sie eben erfahren.

Die Erfahrung, die der Junge während seiner Abwesenheit von zuhause gemacht hat, zeigen Sie dann doch, zumindest weisen Sie darauf hin: Am Ende nimmt er seine Mutter und seine kleine Schwester mit an den Ort, an dem er war.

AS Man sieht sie am Ende an einem Ort, ja, der sehr schön ist, vollkommen irgendwie. Sie ruhen sich dort aus, bevor sie weitergehen.

15.08.2019, 13:42

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