Der Film
New York, 1961. Was macht ein erfolgloser New Yorker Musiker ohne ein Zuhause? Was passiert, wenn er fast jede Nacht auf einer anderen Couch schläft und dabei mal die Frau eines Freundes schwängert und mal die geliebte Katze eines anderen aussperrt? Und was, wenn er diese Katze dann einfach nicht mehr los wird? Llewyn Davis (Oscar Isaac) lebt für die Folkmusik, doch der große Durchbruch lässt auf sich warten.
Während sich in den Clubs von Greenwich Village aufstrebende Musiker die Klinke in die Hand geben, pendelt Llewyn zwischen kleinen Gigs und Songaufnahmen. Nacht für Nacht sucht er einen neuen Platz zum Schlafen und landet dann meist bei befreundeten Musikern wie Jim (Justin Timberlake) und Jean (Carey Mulligan), mit denen ihn mehr als eine oberflächliche Freundschaft verbindet. Doch Llewyn kann seine Gefühle nur in der Musik und nicht im echten Leben äußern, und so lässt er sich weitertreiben – von New York bis Chicago und wieder zurück, ganz wie die Figuren in den Folksongs.
Produktionsnotizen
"Uns hat die Musik dieser Zeit immer schon interessiert, das so genannte Folkrevival der späten Fünfzigerjahre, die florierende Folkmusikszene im Village, bevor Dylan auftauchte – die Musik, die in jener Szene produziert und gespielt wurde, die man als Beatnik-Szene der Fünfziger- und frühen Sechzigerjahre kannte", sagt Joel Coen. "Diese Periode dauerte bis zu den frühen Sechzigerjahren an, und die meisten Leute haben nie davon gehört." Den Coen-Brüdern waren die Lieder der Zeit indes bestens vertraut.
Besonders hatte es ihnen ein Buch angetan, das der Folkmusiker Dave Van Ronk mit Blick auf diese Periode geschrieben hatte. Das Buch heißt The Mayor of MacDougal Street. "Es handelt sich um Van Ronks Memoiren, die er zwar beginnen konnte, aber vor deren Vollendung er verstarb", sagt Ethan Coen. "Sein Freund, der Journalist Elijah Wald, stellte es im Grunde für ihn fertig. Es sind weniger seine Memoiren als eine Sammlung von Interviews mit Dave." Die Faszination für das Buch veranlasste die Coens, sich noch intensiver mit Van Ronks Geschichte und seiner Musik sowie der Zeit im Allgemeinen auseinanderzusetzen und eine fiktive Geschichte über einen Folksänger dieser Szene darauf basieren zu lassen.
Ethan erinnert sich: "Eines Tages sagte Joel einfach nur: 'Wie findest du das? Das ist doch ein toller Anfang für eine Geschichte: Ein Folksänger wird in einer dunklen Gasse hinter Gerde’s Folk City verprügelt ...' Wir dachten über die Szene nach und überlegten uns, was der Grund dafür sein könnte, dass jemand einen Folksänger vermöbeln will. Danach ging es darum, sich ein Drehbuch einfallen zu lassen, einen Film, der sich aus diesem Ereignis ergibt und es zugleich erklärt."
Als sie mit ihren Recherchen begannen und sich mehr mit der Periode auseinandersetzten, um das Konzept zu entwickeln und das Drehbuch zu schreiben, merkten die Brüder, dass sich der Stoff wie von selbst und ganz entspannt zusammenfügte. "Wir kannten uns mit der Musik bereits ziemlich gut aus. Wenn man auf Dylan steht, wie das bei Ethan und mir der Fall ist, dann fängt man automatisch an, sich mit dieser Musik auseinanderzusetzen, weil Dylan sich so sehr und so interessant auf sie beruft. Er ist ein überaus spannender Interpret dieser Musik", sagt Joel. "Wenn man es nur weit genug zurückverfolgt, dann landet man unweigerlich bei Americana, dieselbe Art von Musik, derselbe Familienbaum, dieselbe Spezies Lied, die wir auch bei O Brother, Where Art Thou? – Eine Mississippi-Odyssee verwendeten", meint Joel mit Verweis auf den erfolgreichen Film der Brüder von 2000.
"Diese Art traditionellen amerikanischen Liedguts beschäftigt uns seit langem. Wir glauben, dass das Revival der Folkmusik der Fünfzigerjahre in Teilen auch ein Revival der Formen von traditioneller amerikanischer Folkmusik war, die uns längst bewusst war und die wir sehr lieben."
"Viel von dieser Musik ist ausgesprochen schön. Und aus ihrem Revival entwickelte sich das, was wir heute als diese Sänger-Songwriter-Sache ansehen, die ja doch sehr anders ist als die traditionelle Folkmusik." Wie Dylan diese Folkmusik und das Liedermacher-Phänomen, das daraus erwuchs, für sich vereinnahmte und was er damit anstellte, beschäftigt die Coens sehr. Aber für die Geschichte, die sie in ihrem Film erzählen wollten, wollten sie sich auf eine frühere Phase in der Geschichte der Folkmusik konzentrieren: die Zeit knapp vor Dylan – und eben nicht die Richtung, in die er die Musik steuerte. "Die Leute wissen viel mehr über Dylan – seine Geschichte und seine Musik – als über diese Periode, weil er eine so wichtige und Ton angebende Figur war", erklärt Joel Coen. "Als er 1961 auftauchte, änderte sich alles schlagartig."
Die Coens vertieften sich in die Folkperiode der späten Fünfziger- und sehr frühen Sechzigerjahre und studierten diverse Dokumentationen, darunter eine, die John Sebastians Bruder über Vince Martin gemacht hatte – eine Persönlichkeit der Village-Szene dieser Zeit: Gemeinsam mit dem Sänger Fred Neil trat er damals als Duo Martin and Neil auf. Ein Aspekt dieser Ära, der die Brüder besonders faszinierte, war das Streben nach Authentizität, das so viele Folkkünstler und aufstrebende Liedermacher dieser Zeit antrieb. Sie alle, so scheint es, einte eine abgrundtiefe Abscheu vor Erfolg und künstlerischem Ausverkauf. "Wenn man über diese Szene liest, fällt einem unweigerlich dieses manische Streben nach Authentizität auf", meint Joel. "Da gibt es Typen wie Elliott Adnopoz, der Sohn eines Neurochirurgen aus Queens, der sich Ramblin’ Jack Elliott nannte. In unserem Film gibt es eine Figur, die singt und Gitarre spielt, einen Cowboyhut trägt und sich Al Cody nennt. Sein wirklicher Name ist Arthur Milgram."
Die Brüder sahen sich auch Varietéshows der Ära an und lasen Dylans Memoiren, in denen er ausführlich darüber erzählt, wie die Musikszene aussah, als er in New York ankam, also zu der Zeit, in der Inside Llewyn Davis angesiedelt ist. Vor allem aber war es Dave Van Ronks Autobiographie über die Musikszene im Village und ihr Vorleben, die als Leitstern diente für die Geschichte, die sie erzählen wollten. "Dave Van Ronk war kein Liedermacher", sagt Ethan Coen. "Er schrieb ein paar Lieder, aber das war nicht sein Ding. In erster Linie sang er traditionelle Folksongs, Lieder, die man auf mannigfaltige Weise interpretieren und aufführen konnte" – und an die der Interpret mit jeder erdenklichen Freiheit herangehen konnte. (Ethan betont, dass die Figur Llewyn Davis im Film viele Lieder spielt, die mit Van Ronk in Zusammenhang gebracht werden können – Lieder wie "Hang Me", "Dink’s Song" und "Green Rocky Road" –, Oscar Isaacs Darbietungen im Film aber nicht versuchen, Van Ronks Stil per se zu kanalisieren.)
Die Lieder in Inside Llewyn Davis stammen aus derselben Familie amerikanischer Musik, die auch O Brother, Where Art Thou? – Eine Mississippi-Odyssee inspiriert hatte. Eine enge Verwandtschaft zwischen den beiden Filmen ist unverkennbar, auch wenn sie sich in Ton, Inhalt und Stil voneinander unterscheiden. "Wir wollten noch einen Film machen, der von Musik angetrieben ist – und in diesem Sinne kann man die beiden Filme durchaus in einem Atemzug miteinander nennen", meint Joel. Wie die Musik in den beiden Filmen präsentiert wird, ist allerdings grundlegend verschieden. "Wir wollten, dass in diesem Film ganze Lieder ausgespielt werden", sagt Ethan. "O Brother setzte Musik auf konventionellere Weise ein. Man hört kleine Fetzen auf dem Soundtrack. Hier wollten wir, dass ganze Lieder vollständig gespielt werden.
Tatsächlich beginnt der Film auch auf diese Weise. Man sieht, wie Llewyn drei Minuten lang ein Lied spielt. Uns gefiel diese Idee. Man weiß nicht, wo man sich im großen Zusammenhang des Films und seiner Welt befindet – es gibt noch keine Geschichte. Man wohnt einfach nur diesem Auftritt bei."
Ein weiteres Bindeglied zwischen Inside Llewyn Davis und einigen früheren Filmen der Coens ist die enge Zusammenarbeit der Brüder mit dem ausführenden Musikproduzenten T Bone Burnett. "T Bone ist von Anfang an ein Teil der Mischung, wenn wir mit dem Verfassen des Drehbuchs beginnen und noch nicht genau wissen, wie die Musik sein wird; wenn wir einfach nur wissen, dass es da eine Figur geben wird, die Musik spielt", sagt Joel. "Die folgenden Entscheidungen und das Niederschreiben des Drehbuchs haben oft unmittelbar mit Gesprächen mit T Bone zu tun, in denen wir einfach Ideen sammeln."