Blick und Winkel

Zum Film Der Film erhebt nicht den Anspruch, Jacqueline Kennedys Leben minutiös nachzuerzählen – kein klassisches Biopic also, eher eine lose, essayistische Annäherung an den Mythos Jackie
Blick und Winkel

Foto: Tobis Film

Inhalt

Nach dem Attentat auf Präsident John F. Kennedy ist Jackie Kennedy (Natalie Portman) zutiefst erschüttert. Ein tödlicher Schuss, abgefeuert am 22. November 1963 während einer Wahlkampfreise in Dallas, verwandelt ihre ganze Existenz in einen Scherbenhaufen. Doch bevor die populärste First Lady aller Zeiten entscheiden kann, wie es für sie und ihre beiden Kinder weitergeht, kümmert sie sich um das historische Vermächtnis ihres Mannes: um den Mythos JFK.

An einem kühlen Herbsttag gewährt sie in ihrem Haus in Hyannisport, Massachusetts, einem Journalisten (Billy Crudup) ein Exklusivinterview. Und stellt gleich klar, dass nur von ihr autorisierte Fakten und Formulierungen in Druck gehen werden. Jackie weiß, dass die Welt auf ihre Worte wartet. Sollte sie nicht reden, werden es andere tun. Also macht sie aus der Not eine Tugend. Sie spricht über das Attentat und die von Trauer umnebelten Tage danach, aber sie nutzt auch die Gelegenheit, die Präsidentschaft ihres Mannes – und ihren eigenen Anteil daran – so zu schildern, wie sie ihrer Meinung nach in die Geschichtsbücher eingehen soll.

Sie berichtet von jenen Tagen, in denen die Kennedys das Weiße Haus in einen glamourösen Ort verwandeln, an dem sich Dichter und Denker die Klinke in die Hand geben und rauschende Feste feiern. Es ist ihr „Camelot“, mit JFK (Caspar Phillipson) als König Arthur und Jackie als seiner Königin. Schon früh sucht Jackie das Rampenlicht, führt unterstützt von ihrer Assistentin Nancy Tuckerman (Greta Gerwig) ein Fernsehteam durchs Weiße Haus und engagiert sich für das historische Erbe früherer Präsidenten. Besonders Abraham Lincoln hat es ihr angetan.

JFK ist noch keine zwei Jahre Präsident, als die Kennedys Ende 1963 mit der Air Force One nach Texas fliegen. Jackie sitzt neben ihm in der offenen Limousine, als ihn die beiden tödlichen Kugeln treffen. Immer wieder kreist ihre Erinnerung um diesen Moment: Hätte sie ihn womöglich retten können? Danach geht alles sehr schnell. Lyndon B. Johnson (John Carroll Lynch) wird als neuer Präsident vereidigt, JFKs Leichnam nach Washington geflogen. Jackie, abwechselnd manisch und kühl kontrolliert, muss ihren Kindern die traurige Neuigkeit beibringen. Oft ist sie am Rand ihrer Kräfte, sucht Hilfe bei JFKs Bruder Robert (Peter Sarsgaard) und einem Priester (John Hurt). Es fällt ihr sichtlich schwer, sich von Camelot zu verabschieden. Außerdem stellt sich die Frage, wie das Begräbnis aussehen soll. Wird sich die First Lady noch einmal der Öffentlichkeit präsentieren?

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Hintergrund

Sie war die prominenteste First Lady aller Zeiten, der Inbegriff von Kultiviertheit, Eleganz und Chic. Ihre Markenzeichen waren Pillbox-Hut, Etui-Kleid und Perlenkette, aber Jacqueline Bouvier Kennedy besaß nicht nur Sinn für modische Accessoires. An der Seite von John F. Kennedy brachte sie Kultur und Geschichtsbewusstsein ins Weiße Haus – und die feine französische Küche. Dank Jackie war der Amtssitz des Präsidenten Anfang der 1960er Jahre ein schillernder, glamouröser Ort. Ein Ort für Legenden.

Kaum zwei Jahre währte das Glück der Kennedys. Dann, am 22. November 1963, hielt die Welt den Atem an, als JFK im texanischen Dallas Opfer eines Attentats wurde. Jackie saß direkt neben ihm auf der Rückbank des offenen Cabrios – für sie brach in diesem Moment ihre ganze Welt zusammen.

JACKIE, die erste US-Produktion des chilenischen Regisseurs Pablo Larraín (EL CLUB, NERUDA) spielt eine Woche nach dem Anschlag und zeigt die Präsidentenwitwe (Natalie Portman) in einer Wolke aus Trauer, Wut und tapferem Bemühen, die Oberhand zu behalten. Auf ihrem Anwesen in Hyannisport, Massachusetts, gewährt sie einem Journalisten (Billy Crudup) ein Interview. Jackie will selbst bestimmen, welches Bild die Welt sich machen wird – von ihr, vor allem aber von JFK, dessen Vermächtnis ihr sehr am Herzen liegt. Also erzählt sie: von den glorreichen Tagen, als das junge Paar das Weiße Haus wie im Sturm erobert, dort residiert wie am Hofe des Schlosses „Camelot“. Und von jenen dunklen Stunden, die auf den Mordanschlag folgen, als Jackie sich stundenlang weigert, ihr blutbeschmiertes Kostüm auszuziehen und mitansehen muss, wie Lyndon B. Johnson (John Carroll Lynch) noch in der Air Force One als neuer US-Präsident vereidigt wird.

Kein klassisches Biopic also, eher eine lose, essayistische Annäherung an den Mythos Jackie. Larraín und sein Autor Noah Oppenheim verschachteln kunstvoll die Zeitebenen und zeichnen ein ebenso intimes wie kryptisches Bild ihrer vielschichtigen Protagonistin: Jackie wirkt mal hilflos und verwundet, mal kühl und kontrolliert. Natalie Portman verkörpert diese Frau mit geradezu unglaublicher Intensität. Als Jackie schafft sie den Spagat zwischen unsicherer Polit-Novizin und meisterhafter Manipulateurin; grandios die Szenen mit Crudup, in denen sie gefasst und pflichtbewusst ihre Geschichte erzählt und jede emotionale „Entgleisung“ sofort korrigiert. Er glaube doch nicht, dass sie ihn das veröffentliche lasse, fragt sie, nachdem sie die Schrecken des Attentats in ergreifender Genauigkeit hat Revue passieren lassen.

Der Film folgt keiner Chronologie und erhebt erfreulicherweise auch nicht den Anspruch, „objektiv“ zu sein. Stück für Stück setzt sich das Bild einer Frau zusammen, die von der Öffentlichkeit bewundert, aber auch verkannt wird. Mit großer Energie ringt sie um Selbstbehauptung, weigert sich, das Weiße Haus voreilig zu verlassen, setzt alles daran, die Modalitäten von Kennedys Beerdigung selbst zu bestimmen. Wichtige Verbündete sind dabei JFKs Bruder Robert (Peter Sarsgaard), Jackies Assistentin Nancy (Greta Gerwig) und ein Priester (John Hurt), den Jackie für quasi-therapeutische Gespräche konsultiert. Larraíns Film entwickelt sich zu einer ebenso eleganten wie eindringlichen Abhandlung über Trauer und Schmerz, aber auch über die gnadenlosen Mechanismen des Politikbetriebs, der sich selbst von der Katastrophe nicht aus dem Rhythmus bringen lässt. Der tragischen, resoluten, fragilen, wunderbaren Heldin im Zentrum kommen wir dabei ganz nah, und dennoch bleibt sie ein faszinierendes Rätsel.

26.01.2017, 16:01

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