"Leto (russisch für »Sommer«) ist eine Rock 'n' Roll-Geschichte aus dem sowjetischen Leningrad der 1980er Jahre. Sie handelt von einem Liebesdreieck zwischen drei sehr unterschiedlichen Individuen vor dem Hintergrund einer sonderbaren, manchmal exotischen Sowjetunion. All dies in einer Umgebung, die sowohl dem Rock 'n' Roll als auch der westlichen Kultur sehr feindselig gegenüberstand und doch gleichzeitig zur Brutstätte einer neuen Welle russischen Rocks wurde.
Unsere Geschichte thematisiert den Glauben, der nötig ist, um diesen sozialen Kontext zu überwinden, und die sorglose Haltung unserer Helden angesichts der Restriktionen. Es ist die Geschichte einer einfachen und unverfälschten Liebe – wie eine Ode an diese zukünftigen Rockikonen, an ihre Lebensweisen, die Luft, die sie atmeten. Und es ist die Geschichte des letzten Sommers vor der Perestroika, vor der völligen Umwandlung ihrer Lebenswelt in das heutige Russland.
Das war es, was mich zuerst an dieser Geschichte fasziniert hat: ihre Unschuld und Reinheit. Meine Generation hat eine starke Erinnerung an die Energie der Perestroika, diese Zeit unmittelbar nach den Ereignissen in unserem Film. Aber in Wirklichkeit wissen wir nichts von der Generation vor unserer eigenen – von ihrer natürlichen Gabe zur Rebellion und ihrem inneren Feuer. Die Perestroika hat die Generation vollständig ausgelöscht und sie zu Straßenkehrern und Hausmeistern gemacht, und bald wird nichts mehr von ihnen übrig sein.
Doch in dieser Geschichte befinden wir uns Anfang der 1980er. In Schwarz-Weiß – denn das ist der einzige Weg, die Geschichte dieser Generation zu erzählen. Die Vorstellung von Farbe tauchte erst später im kollektiven Bewusstsein Russlands auf. Es ist eine brutale und alternative Epoche, in der jeder trotzdem sehr lebendig ist: Mike Naumenko und vor allem Viktor Zoi, den die sowjetische Presse nach seinem tragischen Tod 1990 als »letzten Helden des Rocks« bezeichnete. Alles, was wir über sie wissen, geschah nach den Ereignissen in unserem Film, es ist die Zukunft unserer Charaktere. Im Film sind sie noch jungfräulich und unschuldig. Wir haben uns eine Zeitmaschine ausgeliehen und machen nur einen kurzen Stopp. Und in dieser kurzen Zeit tun unsere Helden das, was sie am liebsten tun. Sie machen Musik – schwebend in Raum und Zeit, ein Augenblick voller Anmut.
Ich muss den dritten Akt im Leben unserer Charaktere – die Art, wie alles endete – außer Acht lassen. Mein Ziel ist es, einen Film über Menschen zu machen, die glücklich sind und absolute künstlerische Freiheit genießen, trotz der Unterdrückung durch die Regierung. Sie machten Musik und konnten sich gar nichts anderes vorstellen. Alles andere hätte ihrer Natur widersprochen.
Ich kann mich leicht mit ihnen identifizieren sowie ihre Motivationen und Hindernisse, die sich ihnen in den Weg stellten, nachvollziehen. Hier im Gogol Center, dessen Leiter ich bin, sind uns ihre Methoden nicht fremd. Trotz dieser stark politisierten Zeiten schaffen wir Theater, das modern und gegen das Establishment gerichtet ist. Ein Theater, das als Bewegung gesehen werden kann. Und am allerwichtigsten: wir sind eine lebendige Bewegung. Wir beleben eine Kultur, die für die Mächtigen und staatlichen Kulturrichtlinien inakzeptabel ist, in genau derselben Weise wie Leningrad 1983 weder die Zeit noch der Ort für Rockkultur in der UdSSR war.
Ich werde diesen Film für und über eine Generation machen, die die Freiheit als eine persönliche Entscheidung betrachtet und zwar als die einzig mögliche. Mein Ziel ist es, diesen wahren Wert der Freiheit einzufangen und zu verdeutlichen."
Kirill Serebrennikow (geb. 1969) ist ein russischer Film-, Theater und Opernregisseur. Seit 2012 ist Serebrennikow künstlerischer Leiter des Gogol Centers in Moskau. Am 23. August 2017 wurde Kirill Serebrennikow während der finalen Dreharbeiten zu Leto festgenommen. Er hat seinen Film unter Hausarrest fertiggestellt. Moskau durfte er seitdem nicht verlassen.
Nach seiner Verhaftung solidarisierten sich zahlreiche Künstler, darunter auch Cate Blanchett, Volker Schlöndorff und Nina Hoss, mit dem Regisseur und forderten seine sofortige Freilassung. An der Weltpremiere von Leto im Wettbewerb der diesjährigen Filmfestspiele von Cannes konnte Serebrennikow trotzdem nicht teilnehmen.