Schicksalhafte Geschichte

Kommentar Hossein Pourseifi über die Hintergründe seines Debütfilms: Über den plötzlichen Wandel innerhalb einer Gesellschaft infolge der sich im Jahr 1979 im Iran anbahnenden Revolution, den politischen Kampf um Macht bis hin zum Ausbruch des Kriegs
Schicksalhafte Geschichte

Foto: Little Dreams Entertainment

Als sich 1979 im Iran eine Revolution anbahnt, haben politische Parteien für eine kurze Zeit plötzlich die Chance, sich an der Gestaltung der neuen Gesellschaft aktiv zu beteiligen. Der dem Westen zugewandte, autokratische Monarch flieht. Freie Wahlen werden abgehalten. Zeitungen können wieder ohne Angst vor Zensur berichten. Es herrscht eine ungeheure Aufbruchstimmung. Exil-Iraner, die wegen ihrer politischen Ansichten und ihrer Mitgliedschaft in gewaltbereiten, revolutionären Gruppierungen unter dem Schah von Iran verfolgt wurden, kehren zurück, voller Hoffnung, dass sie jetzt endlich die Möglichkeit haben, so etwas wie eine „Stunde-Null“ zu erleben. Doch ein solch plötzlicher Wandel hat seinen Preis.

Weil die Menschen zwar wissen, dass sie gegen den Schah auf die Straße gegangen sind, aber nicht genau, wofür ihre Revolution eigentlich stehen soll, entbrennt ein politischer Kampf um die Macht. Jede der revolutionären Gruppierungen will die eigenen politischen Ziele ohne Kompromisse und in absolut reiner Form durchsetzen, ein Konsens ist zu selten vorhanden oder gar erwünscht, um die aufgewühlte Gesellschaft zu beruhigen. Die Macht des Stärkeren setzt sich durch. Wer die Straßen beherrscht, schafft es auch, gewaltsam die politischen Kundgebungen und Veranstaltungen anderer revolutionärer Parteien zu stören und ihre Anhänger in die Flucht zu schlagen.

In den mittlerweile von den Anhängern der religiösen Kleriker (Mullahs) kontrollierten Medien Irans werden Akteure, die an die Vernunft appellieren und um die Beruhigung der Gemüter bemüht sind, von allen anderen Gruppen als „Liberale“ und „westliche Verräter“ verunglimpft und politisch isoliert. In der Öffentlichkeit wird die Nähe zum Revolutionsführer Khomeini zum ultimativen, politischen Lackmustest. Ein „Führerkult“ um Khomeini dringt durch die Gesellschaft und wird von allen Seiten befeuert. Khomeini wird unantastbar, seine ursprünglichen Aussagen über Freiheit für alle Menschen, auch für andersdenkende, politische Gegner, haben für ihn keine Bedeutung mehr. Er ist unfehlbar, sein Wort ist Gesetz. Die Zivilgesellschaft reagiert mit Ohnmacht. Auch die meisten revolutionären Parteien, die selbst die ersten Geburtshelfer der Revolution waren, wer- den vom neuen Regime unter Druck gesetzt, ihre Mitglieder werden verfolgt, inhaftiert, sogar ermordet, auch wenn sie während der Revolution Khomeini tatkräftig unterstützt haben.

Unter dem Deckmantel der enormen Widrigkeiten des mittlerweile zwischen dem Iran und dem Irak ausgebrochenen Krieges wird die Macht um Khomeini und seine Anhänger zentralisiert und konsolidiert. Kritiker müssen oft untertauchen, um sich vor dem Zugriff der Revolutionswächter zu schützen. Ohne Teilhabe an der politischen Macht terrorisieren einige gewaltbereite, revolutionäre Gruppierungen, die Khomeini einst zur Macht verhalfen, als Reaktion auf diese Entwicklungen und Veränderungen die Gesellschaft mit Attentaten und Bomben. Fortschritte sind nicht mehr möglich. Das Land erstickt unter „islamischen Normen“, erdrückt von außen durch den Krieg und von innen durch den Terror – ein Zustand, der noch mehr Verhaftungen, Folter und Hinrichtungen hervorruft. Die Trennung von Religion und Staat, obwohl in der neuen Verfassung festgeschrieben, wird ignoriert. Die hehren Ziele von einst sind durch das unbeugsame Streben der Religiösen nach Macht und ihre unbändige Gier nach der irdischen Herrschaft längst nur noch eine leise Erinnerung. Vor diesem Hintergrund erzählen wir eine tragische Liebesgeschichte über ein Leben voller Gefahren und Verbote, das Beate vor die Wahl stellt: ihre Familie zusammenhalten und bei ihrem Mann bleiben oder Sarah retten, um deren Zukunft als Frau nicht zu gefährden. Dabei muss sich Omid eingestehen, dass es nicht ausreicht, einfach nur als Revolutionär gegen etwas zu sein. Man muss auch wissen, wofür man kämpft. Auch wenn dieser Kampf in Richtung einer freien Zivilgesellschaft nur Schritt für Schritt und nicht über Nacht gewonnen werden kann.

– Hossein Pourseifi, Juli 2019

14.11.2019, 08:51

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