Synopsis
Spannend bis zuletzt porträtiert NICHTS PASSIERT einen Mann, der alles für den lieben Frieden tun würde – zur Not auch mit Gewalt. Mit voyeuristischem Genuss verfolgt der Zuschauer einen komplexen Antihelden, der die Augen verschließt, wenn er den Mund aufmachen sollte und so eine Atmosphäre schafft, in der das Publikum sich nicht entscheiden kann, was es lieber sehen würde: die totale Katastrophe oder das glimpfliche Ende.
Der preisgekrönte Drehbuchautor und Regisseur Micha Lewinsky („Der Freund“, „Die Standesbeamtin“) schrieb mit NICHTS PASSIERT Devid Striesow („Ich bin dann mal weg“; „Tatort: Saarbrücken“) eine Rolle auf den Leib, in der der Strahlemann des deutschen Kinos die komplexe Hauptfigur mit furchterregender Sanftheit verkörpert. An seiner Seite brilliert die renommierte Film- und Theater-Schauspielerin Maren Eggert („Tatort: Kiel“, „Macbeth“) in dieser rabenschwarzen Tragikomödie, deren Geschichte in ihrer Unausweichlichkeit einen unwiderstehlichen Sog entwickelt.
Beim Kinofest Lünen wurde Micha Lewinsky für NICHTS PASSIERT mit dem Drehbuch-Preis ausgezeichnet.
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Autor und Regisseur Micha Lewinsky über seinen Film
Worum geht es in „Nichts passiert“?
Im Zentrum steht eine Frage: Was passiert, wenn man von einem Verbrechen weiss, das man nicht begangen hat? Wann wird man vom Zeugen zum Mittäter? Das sind die Fragen, die mich an diesem Stoff interessieren. Und ich glaube, es sind Fragen, die viele Menschen betreffen. Die Chance, dass ich Opfer oder gar Täter eines Verbrechens werde, ist doch relativ gering. Bestimmt haben aber viele schon einmal ein Verbrechen beobachtet. Und da wird es eben interessant: An welchem Punkt werden wir zum Mittäter, einfach weil wir uns nicht einmischen? Im Grunde kann man fragen: An welchem Punkt machen wir alle uns jeden Tag schuldig, indem wir uns nicht gegen Unrecht wehren, von dem wir wissen?
Das klingt sehr ernsthaft...
Wir erleben die Abwärtsspirale eines freundlichen Mannes, der eigentlich nur schöne Ferien haben will. Wer will das nicht? Er sucht Erholung. Was dann passiert, ist ein klassisches Drama. Da kann einem auch mal das Lachen im Halse stecken bleiben. Es gibt Leute, die mir gesagt haben: Dieser Mann ist so konfliktscheu, er ist eben ein typischer Mann. Doch so furchtbar das alles ist, was er erlebt: Es ist eben gar nicht so weit hergeholt. Ich kann mich im Film jedenfalls erschreckend lange mit dieser Figur, die alles falsch macht, identifizieren.
Wie ist „Nichts passiert“ entstanden?
Die Grundidee hatte ich schon vor sechs Jahren. Ich erinnere mich gut. Ich bin damals mit dem Fahrrad durch Berlin gefahren. Und dann war die Geschichte plötzlich da. Es war ein richtiger Schock, so schnell und komplett kam die Idee zu mir. Ich musste am Strassenrand halten, meine Knie zitterten, als wäre ein Feuerwehrwagen an mir vorbeigerast. Das klingt jetzt pathetisch, es war aber wirklich so. Ich habe dann innert kurzer Zeit ein paar Treatment-Fassungen geschrieben – und dann habe ich den Stoff einfach vergessen.
Wie konnte das passieren?
Mein letzter Spielfilm „Die Standesbeamtin“ wurde damals vom Publikum sehr gut aufgenommen. Nicht nur in der Schweiz, auch in Deutschland und Österreich lockte er überraschend viele Zuschauer ins Kino. Das war ja erfreulich, hatte aber den Nebeneffekt, dass ich plötzlich viele Angebote bekommen habe für ähnlich leichte und romantische Filme. Natürlich war ich geschmeichelt und habe diese Angebote ernsthaft geprüft. Das hat viel Zeit gekostet. Ich habe dann auch etliche Drehbuchfassungen einer Romanadaption geschrieben und eine grosse Schweizer Komödie entwickelt, die bei der Förderung keinen Zuspruch fand. Ausserdem hat sich in dieser Zeit familiär bei mir viel getan. Ich wurde Vater von zwei Kindern. Kurzum: Fünf Jahre nach der „Standesbeamtin“ war ich total erschöpft, hatte aber immer noch keinen neuen Film am Start. Ich überlegte mir ernsthaft, die Filmerei ganz sein zu lassen. Und dann ist mir diese Geschichte wieder eingefallen.
Und dann haben Sie das Drehbuch geschrieben?
Nein. Dann hat Devid Striesow mich angerufen. Wir hatten uns wegen eines anderen Projekts kennengelernt. Er hatte meine alten Filme angeschaut und rief an, um mir zu sagen, dass er diese mochte. Und da habe ich ihn einfach so gefragt, ob er Lust habe, in „Nichts passiert“ die Hauptrolle zu spielen. Ich bewunderte Devid schon lange als Schauspieler und fand ihn perfekt für die Rolle. Er sagte sofort zu. Somit hatte ich einen wundervollen Hauptdarsteller – aber immer noch kein Drehbuch. Es ging nicht mehr anders: Ich musste das Drehbuch schreiben. Also habe ich es getan. Innert weniger Wochen. Dann haben wir angefangen, den Film zu finanzieren.
Wie kam es zur Zusammenarbeit mit der Produktionsfirma Plan B?
Devid Striesow ist ein unglaublich vielbeschäftigter Schauspieler. Es war bereits Spätsommer als das Drehbuch endlich vorlag – und Devid konnte mir genau sagen, in welchen Wochen im folgenden Frühjahr er noch Zeit hatte, den Film zu drehen. Ich wusste nur, dass wir das unmittelbar angehen mussten, da wir sonst auf den übernächsten Winter hätten warten müssen. Das war für mich nicht vorstellbar. Ich wollte drehen! Doch in einer so kurzen Zeit einen Film zu finanzieren ist im Grunde fast unmöglich. Erfahrene Produzenten haben mir abgeraten. Ich wusste, dass es nur mit einem jungen Produzenten klappen kann. Einer, der bereit ist, auch ausserhalb der üblichen Pfade zu denken. Ich kannte HC Vogel von Plan B Film damals noch nicht gut. Aber ich hatte den Eindruck, er könnte der Richtige sein. Und so war es. Er hat sich unglaublich ins Zeug gelegt, damit wir den Film in so kurzer Zeit finanzieren und drehen konnten. Auch das Schweizer Fernsehen, das sehr schnell zugesagt hat, hat für das Gelingen eine wichtige Rolle gespielt.
Und wie sind die Dreharbeiten verlaufen?
Es war ein grosser Druck. Und ein riesiges Vergnügen. Wir hatten ein sehr kleines Budget und dadurch viele junge Leute in der Crew. Das hat uns zusammengeschweisst. Wir standen bei Minustemperaturen nächtelang im Schnee und keiner hat je gemurrt. Auch Devid, der sich von Deutschland ja ganz andere Bedingungen gewohnt ist, hat vom ersten Moment an mitgezogen. Ohne eigenen Trailer, ohne eigene Garderobe. Er war immer vorne mit dabei, hat das Team motiviert und am Ende noch geholfen, die Scheinwerfer einzuladen. Es war wirklich aussergewöhnlich.
Wieso haben Sie das Prättigau als Drehort gewählt?
Zwischen Landquart und Davos liegt ein Tal, das durchaus düstere Seiten hat. Die harte, reale Schweiz. Mit Verkehr und grauen Hängen. Gleichzeitig thronen darüber die hellen Gipfel mit Schnee und Skipisten. Diese Ambivalenz hat mir gefallen. Die Ferien- Fantasie und die Realität dahinter, ganz nahe beisammen. Ausserdem wurden wir im Prättigau sehr herzlich aufgenommen. Das ganze Tal hat uns geholfen, diesen Film zu ermöglichen.
Wie haben Sie die beiden Teenager-Mädchen, die Jenny Engel und Sarah Orlov spielen, entdeckt?
Wir machten erst ein ausgedehntes, klassisches Casting in Deutschland und der Schweiz. Unter anderem sind wir so auf Lotte Becker aus Köln gestossen, die damals erst 15 Jahre alt war. Sie hat uns wirklich umgehauen mit ihrer Präsenz und Spielfreude. Annina Walt, die Sarah spielt, haben wir dann in der Schweiz entdeckt. Sie hatte schon in einem „Tatort“ und am Jungen Schauspielhaus in Zürich gespielt. Während der Dreharbeiten war Annina 17 Jahre alt. Sie ist ein Ausnahmetalent. Falls sie sich entscheidet, nach ihrer Matura die Schauspielerei weiter zu vertiefen, werden wir bestimmt noch viel von ihr sehen in Zukunft. Da bin ich eigentlich sicher.
Und die anderen Rollen?
Maren Eggert ist am Deutschen Theater in Berlin ein Star. Wer sie im Film sieht, weiss auch warum. Ihre Rolle ist unglaublich anspruchsvoll, weil sie mit wenigen Szenen sehr viel erzählen muss. Die Figur ist da und doch nicht da. Das ist wirklich delikat. Und das macht Maren bravourös. Ich freue mich sehr, dass sie diese Rolle übernommen hat. Und natürlich habe ich mich auch über die anderen Schauspieler sehr gefreut. Max Hubacher kennen viele als „Verdingbub“. Er hat es gut verstanden, diesen eher unangenehmen jungen Mann nachvollziehbar und vielschichtig darzustellen. Als sein Vater ist Stéphane Maeder eine Wucht. Er war bis jetzt mehrheitlich im Theater engagiert, wird aber sicher auch noch oft im Schweizer Film zu sehen sein. Und mit Oriana Schrage und Beat Marti habe ich ja schon in der „Standesbeamtin“ gearbeitet. Das war ein schönes Wiedersehen.
Was wünschen Sie sich für diesen Film?
Ich wünsche mir, dass „Nichts passiert“ gesehen wird. An Festivals und natürlich vor allem im Kino. Es ist ein Film, der mit kleinem Budget gemacht wurde. Und mit sehr viel Herzblut. Für mich war der Film ein echter Befreiungsschlag. Er ist anders als meine letzten Filme, aber doch ein Teil von mir. Und ich hoffe, dass diese Energie zu spüren ist. Es ist ein Film, aus dem man als Zuschauer nachdenklich rausgeht. Es wäre natürlich toll, das Publikum nach dem Film an der Bar zu sehen. Vielleicht diskutieren sie noch darüber und fragen sich: Könnte mir auch passieren, was diesem Mann passiert ist? Wie hätte er reagieren müssen? Und wie würde ich reagieren?