Eine ungewöhnlich starke Frauenfigur

Zum Film Kuşkö, Türkei: Stumm und von der Dorfgemeinschaft ausgestoßen, lebt Sibel mit ihrem Vater und ihrer Schwester in den Bergen der Türkei. Mit der Pfeifsprache der Region jedoch kann sich die junge Frau verständigen und gibt sich nicht auf
Kommunikation zwischen Sibel (Damla Sönmez) und Enim (Emin Gürsoy)
Kommunikation zwischen Sibel (Damla Sönmez) und Enim (Emin Gürsoy)

Arsenal Filmverleih

Die Protagonistin Sibel ist doppelt benachteiligt: Sie ist eine Frau und noch dazu seit ihrer Geburt stumm. So wird sie von der Dorfgemeinschaft ausgeschlossen. Sie kann sich aber mit der traditionellen Pfeifsprache der Region verständigen. Von den anderen Dorfbewohnern ausgestoßen, jagt sie unablässig einen Wolf, der im benachbarten Wald herumstreunen soll und der bei den Frauen des Dorfes Ängste und Fantasien auslöst.

Sibels Suche nach dem Wolf - nach dem wilden Tier - verkörpert ihre Identitätssuche. Es gibt Frauen wie Sibel auf der ganzen Welt. Frauen, denen die Gesellschaft ihre Schranken setzt, die auf eine bestimmte Vorstellung beschränkt und klein gehalten werden. Also ist Sibels Werdegang auch eine Form der Emanzipation. Wegen ihrer Behinderung unterliegt sie nicht den sonst alltäglichen Belastungen. Sie wird von ihrem Vater freier und unabhängiger erzogen. Im Dorf wird sie in Ruhe gelassen, da die sozialen Regeln für sie nicht gelten. Sie entwickelt sich anders, mit einer scharfsinnigen Sicht auf die Welt, auf der Suche nach einer originären, primitiven inneren Stärke.

Bei ihrer Suche trifft Sibel auf Ali, einen Deserteur. Die Situation in der traditionellen Dorfgemeinschaft wird noch komplizierter. Eine unverheiratete Frau, die mit einem Deserteur zusammen ist? Nicht einmal ihr Vater, Bürgermeister des Dorfes, kann jetzt noch helfen. Er löst im Dorf eine klassische Angst aus: die Angst vor dem Fremden, vor dem Unbekannten. Man verdächtigt ihn dort sofort als Terroristen.

Aber Sibel gibt nicht auf. Verwundet, bedroht und verletztbar ist Ali doch der Erste, der sie mit anderen Augen sieht. Sibel und Ali sind zwei ausgeschlossene, zwei Außenseiter zwischen denen es ein grundsätzliches, instinktives und primitives Verständnis gibt. Ali mischt sich nicht in Sibels Freiheiten ein, er unterdrückt sie nicht und er misst sie mit keinen gängigen Frauenklischees.
Als Konsequenz entdeckt sich die Protagonistin nach und nach als sexuelles Wesen und nimmt ihre Weiblichkeit in jedem Sinne des Wortes an. Die durch diese Beziehung gewonnene Kraft nutzt Sibel, um den Gang der Dinge im Dorf zu ändern.

19.12.2018, 15:35

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Sibel | Kommunikation

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