Produktionsnotizen
ÄRGER IM PARADIES
In der Dekade nach dem Zweiten Weltkrieg zog die neue amerikanische Mittelklasse in die Vororte mit idyllischen, finanzierbaren Häusern in Gemeinden, die auf dem Reißbrett geplant worden waren. Für viele wurde der amerikanische Traum eines Eigenheims zum ersten Mal Wirklichkeit.
„Die sogenannte ‚G.I. Bill’, ein Bundesgesetz für die Wiedereingliederung der Weltkriegsveteranen, half allen Kriegsrückkehrern, ein schönes Haus mit Garage und Vorgarten zu kaufen. Du konntest einen guten Job bekommen, in einer netten Nachbarschaft wohnen und eine Familie gründen, so lange du nur weiß warst“, so Clooney. „Unser Ziel war es nunmehr, die Fassade des perfekten Heims genüsslich abzutragen und nachzuschauen, wie hässlich es dahinter zuging.“
„George und ich arbeiteten an einem Drehbuch, das auf Ereignissen in der Siedlung Levittown in Pennsylvania basierte“, so Heslov. „Er war auf eine Dokumentation aus dem Jahr 1957 mit dem Titel ‚Crisis in Levittown’ gestoßen. Darin ging es um William und Daisy Meyers, die sich als erstes afroamerikanisches Paar in dem Vorort niederließen. „Am Tag des Einzugs hielt der Postbote Mrs. Meyers für das Hausmädchen und fragte sie, ob Mrs. Meyers da sei“, so Clooney. „Als sie ihm erklärte, dass sie die Herrin des Hauses sei, ging der Postbote, der sich nach dem legendären Nachrichtenkurier ‚der Paul Revere von Levittown’ nannte, von Haus zu Haus und fragte alle: ‚Habt ihr eure neuen Nachbarn schon getroffen?’ Am gleichen Abend versammelten sich rund 500 Leute auf dem Rasen der Meyers, riefen rassistische Schimpfwörter, hängten die Südstaaten-Flagge auf und verbrannten auf dem Rasen der Nachbarn ein Kreuz.”
Während sie an der Levittown-Idee arbeiteten, erinnerte sich Clooney an ein Skript mit dem Titel SUBURBICON, das ihm die Coen Brüder 1999 geschickt hatten. „Das war ein komödiantischer Thriller, der wie FARGO („Fargo“, 1996) und BURN AFTER READING – WER VERBRENNT SICH HIER DIE FINGER („Burn After Reading“, 2008) von tollpatschigen Unglücksraben handelte, die fatale Fehlentscheidungen trafen. Wir wollten daraus etwas weniger Komisches machen, das dafür viel wütender sein sollte. Mir schien die richtige Zeit für einen wütenden Film gekommen.” Heslov ergänzt: „George hatte zu dem Zeitpunkt die Idee, das SUBURBICON-Drehbuch in Levittown anzusiedeln, und zwar genau in der Woche, in der die Meyers einzogen.”
„Es gibt etwas in unserem nationalen Bewusstsein, das diese Ära durch eine rosa Brille sehen möchte“, so Matt Damon, der den problemgeplagten Familienvater Gardner Lodge spielt. „Wir würden gerne glauben, dass alle glücklicher waren. Aber Menschen sind nun mal Menschen, und so passierten damals eben auch ziemlich heftige Dinge.”
Von außen betrachtet ist Gardner Lodge ein vorbildlicher Ehemann und Vater, aber er ist völlig überfordert, als er mit den kriminellen Elementen Suburbicons aneinander gerät. „Am Anfang hat man von meiner Figur eine bestimmte Meinung“, so Damon. „Aber dieses Image löst sich zunehmend auf, je mehr wir sehen, wie er die Situation zu kontrollieren versucht und permanent scheitert.“
„Matt ist ein Profi in Reinkultur, der eine enorme schauspielerische Bandbreite besitzt“, lobt Clooney. „Aber er genießt es ganz besonders, den Hanswurst zu spielen.“
Damon studierte Fotos aus der Zeit, um die richtige Physis für diese Rolle zu finden. „Ich habe ein paar Kilos zugelegt“, gesteht Damon. „Die Männer damals trainierten nicht so wie wir heute. Sie waren entweder ziemlich dünn oder sehr bullig. Mein Großvater war letzteres, und ich wollte so aussehen wie er, deshalb musste ich meine Körperform verändern. Das ist nur ein Detail, aber so hatte ich das Gefühl, dass ich mehr in die Zeit passe.“
„Matt hatte gerade JASON BOURNE („Jason Bourne“, 2016) beendet, und ich befürchtete, er würde bei unserem Dreh noch wie ein Kämpfertyp aussehen, “ gibt Clooney zu. „Aber zum Glück hatte er auch gerade Alexander Paynes DOWNSIZING („Downsizing“, 2017) abgedreht, und zu meiner Erleichterung schaute er etwas fülliger aus, als er ans Set kam. Er wirkte mehr wie eine klassische Vaterfigur.“
Mit seiner Frau Rose (Julianne Moore) und seinem Sohn Nicky (Noah Jupe in seiner ersten großen Rolle) führt Gardner in Suburbicon ein scheinbar idyllisches Leben wie aus einem Norman Rockwell-Gemälde. „Rose ist nicht sonderlich glücklich – auch nicht in ihrer Ehe“, erklärt Moore. „Sie gibt ihrem Ehemann die Schuld an dem Autounfall, wegen dem sie im Rollstuhl sitzt.” Ihre Zwillingsschwester Margaret (ebenfalls gespielt von Julianne Moore) hilft im Haus mit und zieht dort letztlich auf Dauer ein. „Zu Beginn des Films ist Margaret die nettere, und einfacher gestrickte der beiden Schwestern“, so Moore. „Insgeheim beneidet sie ihre Schwester um ihr Leben, was für Spannungen sorgt und deshalb ihre Entscheidungen beeinflusst.” Moore ging an beide Figuren pragmatisch heran: „Du fragst dich, was diese Figur im Drehbuch so einzigartig macht. Was für ein Vokabular benutzt sie? Wie spricht sie? Natürlich schauen beide gleich aus, daher musste ich mein Erscheinungsbild und meinen Gesichtsausdruck ändern.“
Clooney genoss es, Moore in einer Doppelrolle zu besetzen: „Julianne kann sprichwörtlich alles darstellen. Sie hatte vor Jahren in einer Seifenoper Zwillinge gespielt und sie kam auf die großartige Idee, dass Margaret in einer Szene ihr Haar blond färbt, um wie ihre Schwester auszusehen. Das ist wirklich bezeichnend für sie.“
„Die ruhige Fassade der Lodge-Familie zerbricht, als die beiden Schlägertypen Ira und Louis, gespielt von Glenn Fleshler [„True Detective“ („True Detective“, 2014)] und Alex Hassell [UNTERWEGS NACH COLD MOUNTAIN („Cold Mountain“, 2003)], mitten in der Nacht in ihr Haus eindringen und alle als Geiseln nehmen. In einer tragischen Wendung betäuben die Täter die Familienmitglieder mit Chloroform und töten dabei Rose. Doch die Dinge eskalieren erst richtig, als Gardner einige tollpatschige Entscheidungen trifft und sich auf ein dummes Katz- und Maus-Spiel mit Ira und Louis einlässt. „Matt spielt oft intelligente, gebildete Charaktere“, so Hassell. „Es ist daher sehr interessant, wenn er mal vor Angst wie gelähmt ist und sich windet, um aus dieser Situation herauszukommen.“
Für Fleshler, einen erklärten Fan der Coen-Brüder, war es wie ein Ritterschlag, als er in die große Galerie ihrer Schurken-Duos von ARIZONA JUNIOR („Raising Arizona“, 1987) bis hin zu FARGO („Fargo“, 1996) aufgenommen wurde. „Ira und Louis sind ein relativ gefährliches, aber auch unfähiges Paar, wie du es häufig in den Filmen der Coen-Brüder siehst. Sie leben in den Randbezirken dieses Idylls und halten sich für zu Unrecht benachteiligt.”
„Die zwei sind großartig“, so Damon. „Sie sind ganz unterschiedlich. Jeder beherrscht eine ganze Palette von Tonalitäten, von bedrohlich bis albern, abhängig davon, was George mit einer Szene erreichen will.” Während Ira und Louis Gardner bei seiner Arbeit belästigen, muss sich Margaret mit Bud Cooper (Oscar Isaac), dem Schadensermittler der Versicherung, herumschlagen, der ihrer Version der tragischen Ereignisse misstraut. „Cooper begreift sehr schnell, dass Gardner und Margaret nicht die hellsten sind“, so Isaac. „Er nimmt an, dass hier irgendetwas suspekt ist, und das gibt ihm viel Freiraum, um mit den beiden zu spielen.”
„Oscar ist jemand, der mich in den letzten Jahren zutiefst beeindruckt hat. Er ist mehr als nur gut“, so Clooney. „Und ich bin auf ihn neidisch, den ursprünglich hatten die Coens mir diese Rolle angeboten. Seine Figur stößt eine ganze Reihe von ziemlich schrecklichen Verbrechen an. Letztlich stiehlt er den Film.“
Da sein Vater und seine Tante mit ihren eigenen Problemen beschäftigt sind, muss sich Nicky weitgehend allein mit seinem Trauma auseinandersetzen. Die Suche nach einem Nachwuchsdarsteller, der dieser emotional komplexen Rolle gewachsen war, war für Clooney und Heslov eine der größten Herausforderungen bei diesem Film. „Nick zu besetzen war das Schwierigste überhaupt“, erinnert sich Clooney. „Wenn du nicht mit diesem Kind mitfühlst, dann funktioniert der ganze Film nicht.“
Nachdem über hundert Kinderdarsteller für die Rolle vorgesprochen hatten, entdeckten Clooney und Heslov den elfjährigen Noah Jupe in England. „Ich habe noch nie so jemanden wie Noah erlebt“, erzählt Clooney begeistert. „Nicht nur dass er einen perfekten amerikanischen Akzent hinkriegte, er lieferte uns alles, was wir brauchten, in ein oder zwei Einstellungen. Bei ‘Emergency Room – Die Notaufnahme’ (‚E/R’), wo ich fünf Jahre lang einen Kinderarzt spielte, arbeitete ich jeden Tag mit zwei oder drei Kinderdarstellern, und da habe ich nie so jemand erlebt. Dieser Junge gehört unbedingt vor die Kamera.“
Noah Jupe erklärt die Beziehung zu seinem Filmvater wie folgt: „Ich glaube nicht, dass Gardner mit ihm viel kuschelt oder ihm Gutenachtgeschichten vorliest. Er ist nicht diese Art von Papa.” Damon fügt hinzu: „Zu der damaligen Zeit haben Eltern und Kinder nicht so offen miteinander kommuniziert. Im Leben dieses Jungen geschehen gewaltige Umbrüche, und er hat niemanden, mit denen er sie teilen kann.”
„Nicky beobachtet ständig die Welt und versucht damit alleine klar zu kommen“, so Noah weiter. „Denn er hat das Gefühl, dass er niemandem vertrauen kann.“ Als einziger Erwachsener bietet ihm Onkel Mitch (Gary Basaraba) nach dem Tod seiner Mutter Orientierungshilfe und eine gewisse Unbeschwertheit.
„Mitch ist der Bruder von Rose und Margaret, der sein Leben lang Junggeselle blieb“, so Basaraba. „Er hatte nie eigene Kinder, also überträgt er all seine väterlichen Instinkte auf seinen Neffen. Als guter Katholik ist er etwas aufgebracht, weil seine geliebte Schwester den Episkopalen Gardner heiratete, dessen Glaubensrichtung den Papst nicht anerkennt. Er denkt, dass Nicky in einer besseren Umgebung aufwachsen sollte.“
„Onkel Mitch ist sehr lustig, eine Art männlicher Teddybär“, erklärt Jupe. „Nicky verehrt ihn, weil er ein gutes Vorbild ist und weil er ihn zum Lachen bringt.“ Nicky freundet sich auch mit dem gleichaltrigen Andy Meyers (Tony Espinosa) an, dessen Familie gerade als erste Afroamerikaner in das rein weiße Suburbicon gezogen ist. Während sich Nicky über seinen neuen Spielkameraden freut, reagiert der Rest der Stadt indes ganz anders.
HABEN SIE SCHON IHRE NEUEN NACHBARN GETROFFEN?
„Man erklärte mir, dass das eine schwarze Komödie sei, aber ich entgegnete, dass ich an dieser Situation nichts lustig finden kann“, so Kamirah Westbrook, die die fiktive Mrs. Meyers spielt. „Aber die Geschichte meiner Figur bietet viel Ironie und Sozialkritik. Diese junge Familie sucht den amerikanischen Traum und glaubt, sie wäre in ihrem neuen Heim willkommen und sicher. Leider kennen ihre neuen Nachbarn keinen Respekt, werden mitunter sogar zur Gefahr, wenn sie Fenster einwerfen und auf ihrem Auto herumspringen. Aber parallel dazu gibt es im Nachbarhaus ein echtes Problem, mit dem sich kein Mensch beschäftigt.“
Die echten Meyers wurden T ag und Nacht konstant mit einem ständigen Lärmbombardement terrorisiert: Der Mob ihrer Nachbarn trommelte, trötete mit Blasinstrumenten und stimmte laute Gesänge an, um sie zum Auszug zu drängen. „Bei unseren Nachforschungen sahen wir, dass diese Protestler eine Mauer um ihr Haus errichtet hatten. Sie hissten Konföderiertenflaggen, verbrannten Kreuze und verfassten eine Petition, um die Familie zu vertreiben. Im Film benutzen wir den Originalwortlaut dieser Petition“, erklärt Clooney.
„Wenn man einen Film sieht, der sich mit Rassismus und Bigotterie in den 50ern und 60ern beschäftigt, dann spielt er meist in den Südstaaten“, so Clooney weiter. „Wir sind an Charaktere mit Südstaatenakzent gewohnt, die solche Sprüche dreschen. Aber als jemand aus Kentucky finde ich es nötig, dass wir auch über die Leute aus Pennsylvania und New York diskutieren, die ebenfalls Minderheiten als Prügelknaben behandelten. Diese Art von Bigotterie gab es im Nordosten, und es gehört nicht viel Fantasie dazu, um sich auszumalen, dass sie auch anderswo existierte.“
„Im ganzen Film benutzen wir Originalaufnahmen der Dokumentation“, fügt Clooney hinzu. „Manchmal brauchst du reale Bilder, um eine richtige Wirkung zu erzielen. Dieses Verhalten zeigt sich eher beiläufig und ist für ein heutiges Publikum schockierend, aber effektiv ist das nicht so lange her.“
„SUBURBICON handelt von der Jetztzeit“, ergänzt Damon. „Die Nachbarschaft errichtet eine Mauer um das Haus der afroamerikanischen Familie, die gerade eingezogen ist, und versucht ihren kleinen Bereich zu annektieren. Während dessen leben die wirklich verrückten Leute nur ums Eck.“ „Jeder schaut in die falsche Richtung“, so Clooney. „Die Leute wollen an den Mythos glauben, dass vor der Ankunft der Minderheiten nichts Schlimmes passiert ist. Wenn wir auf die Glanzzeit Amerikas zurückblicken, dann dürfen wir nicht vergessen, dass diese Ära für viele Menschen gar nicht so großartig war. Dieses Thema ist und bleibt aktuell.“
DER BAU VON SUBURBICON
Um die Bilderbuchwelt von Suburbicon zu erschaffen, holte sich Clooney Szenenbildner Jim Bissell, mit dem er bereits bei fünf Filmen zusammengearbeitet hatte. Beide haben ein instinktives Verständnis für die Arbeitsweise des anderen entwickelt und liegen daher bei kreativen und visuellen Fragen auf der gleichen Wellenlänge.
Bissell lobt Clooneys künstlerische Vielseitigkeit, die auch ihre Zusammenarbeit entscheidend vereinfachte: „Film ist die Krönung aller Kunstformen. Es ist toll, dass George Regie führt, schreibt und als Schauspieler arbeitet. Aber für mich ist es am hilfreichsten, dass er auch zeichnen kann. Er hat alles von einem dramaturgischen und visuellen Standpunkt aus durchdacht und kann das in seinen Zeichnungen vermitteln. Ich weiß immer, wonach er sucht.”
Für SUBURBICON war Clooneys und Bissells visuelles Leitmotiv „Anonymität und Gleichheit“. So sollte eine Welt entstehen, in der die Lodges sozusagen unsichtbar werden. Das Vorbild für Suburbicon war zwar das gleichförmige, nach Schema F gebaute Levittown in Pennsylvania, aber Bissell und sein Team gingen nach Südkalifornien, um die ideale Kino-Vorortsiedlung zu erschaffen.
„Obwohl wir in Kalifornien drehten, vermittelten die Häuser dort die Atmosphäre eines x- beliebigen amerikanischen Orts“, so Bissell. „Bei der Motivsuche wollten wir vor allem Häuser im optimalen Zustand und mit möglichst wenig Bäumen davor finden.“ In einem Stadtteil von Fullerton entdeckte die Produktion die perfekte Fassade für das Meyers-Haus sowie zwei Dutzend weiterer geeigneter historischer Häuser, die in der Kamerafahrt zu Beginn des Films zu sehen sind.
„Die Häuser in Fullerton wurden 1958 gebaut, was für uns ideal war“, so Bissell. „Die Nachbarschaft ist sehr stolz darauf, dass sie die originale Architektur bewahrt hat. Es gab kaum Renovierungsmaßnahmen. Dieser Schauplatz war außergewöhnlich, denn sogar die Farben der Häuser waren die gleichen.“ Abgesehen von den authentischen Altbauten waren viele ältere, geschädigte Bäume für Reparaturen am Bürgersteig entfernt worden. So musste die Produktion nicht selbst die Zeit zurückdrehen und sparte sich dadurch großen Aufwand. „Unsere Gegend musste brandneu aussehen. Aber die meisten Wohnsiedlungen aus der Zeit haben 60 Jahre alte Bäume“, erklärt Bissell. „Es gab einige Diskussionen, ob wir die älteren Bäume nicht einfach digital entfernen sollten. Aber das hätte einiges an Zeit, Arbeit und Geld gekostet, und so waren wir froh, dass wir bei diesem Motiv nicht dazu gezwungen waren.“
Die Fassaden vieler Häuser in Fullerton erhielten einen neuen Anstrich und die Gärten wurden im Stil der damaligen Zeit umgestaltet, einschließlich Buchsbaumhecken und alter Lampeninstallationen. „Immer wenn wir dort drehten, waren die Leute fantastisch zu uns“, erinnert sich Clooney. „Wir stellten ihr Leben auf den Kopf, strichen ihre Häuser, drehten die ganze Nacht draußen, und trotzdem haben sie uns total unterstützt.“
Die Außenaufnahmen des zweigeschossigen Hauses der Gardners entstanden im nahegelegenen Carson. Das Gebäude wurde mit einer altmodischen Farbe angemalt, „einem ekligen Grün“ in den Worten Bissells. „Diese Farbe war für die Zeit typisch, aber ich habe sie auch deshalb – in Verbindung mit einer rostfarbenen Verkleidung – gewählt, um zu zeigen, wie Gardner in seiner Selbstgefälligkeit und Selbstbezogenheit langsam, aber sicher zugrunde geht.“
Das im Allgemeinbesitz befindliche Grundstück zwischen den Häusern der Lodges und der Meyers dient für Nicky und Andy als Fluchtpunkt und Ablenkung von ihrem Leben zuhause. Aber es war unmöglich, in Südkalifornien einen Hinterhof ohne Umzäunung zu finden. „Alle Häuser aus der Zeit zwischen Oxnard und Fullerton haben zwei Meter hohe Ziegelmauern“, klagt Bissell. „Wir mussten daher unser eigenes Motiv konstruieren, das für unsere Bedürfnisse passte.“
Dieser Hinterhof wurde von Grund auf in Mystery Mesa in Santa Clarita errichtet. Inmitten von Feldern im Nirgendwo arbeitete die Szenenbild-Abteilung drei Wochen lang daran, ein leeres Grundstück in acht Fassaden zu verwandeln, die um einen Hinterhof herum gruppiert waren, inklusive Zäunen im Ranch-Stil, hinter denen wiederum Schaukeln, Veranden und große metallene Wäschespinnen standen.
Das Innere des Lodge-Hauses entstand in nur sieben Wochen komplett auf einer Studiobühne des Warner Brothers Geländes in Burbank. Auf zwei Ebenen bauten Bissell und sein Team Wohnzimmer, Küche, Hobbyraum, Badezimmer und Schlafzimmer in gedämpften Braun-, Rost-, Grün- und Senftönen – ein regelrechter Tempel des Mitt-50er Designs. Viele aus der Crew erkannten Möbel- und Einrichtungsstücke aus ihrer Jugend wieder.
Bissell arbeitete eng mit Clooney, Heslov und dem Oscar®-preisgekrönten Kameramann Robert Elswit [THERE WILL BE BLOOD („There Will Be Blood“, 2007)] zusammen, um sicherzustellen, dass das Szenenbild der Vision der Produzenten entsprach. Elswitt drehte auf einer Arri Alexa Kamera im anamorphen Format mit Objektiven aus der ‚C’-Serie von Panavision, die dem Film eine klassische Ästhetik verleihen. Da sich mit diesen anamorphen Panavision-Linsen ein größerer Bildbereich einfangen lässt, konnte Clooney Nah- und Halbnahaufnahmen eines Schauspielers drehen, bei denen die anderen Schauspieler noch im Bild zu sehen waren.
„Das Haus war unser größtes Szenenbild“, so Clooney. „Hier spielen sich zwei Drittel der Filmhandlung ab. Daher entwickelten Grant und ich einen spezifischen Drehstil. Für die meisten Einstellungen zeichneten wir Storyboards und wir fanden heraus, wo die Schatten zu sehen waren, wenn wir durch die Stufen oder zwischen Kamin und Wand drehten.” Ein weiteres großes Innen-Set waren die Büroräume von Pappas & Swain, Gardners Arbeitsstätte. Die Holzpaneele, die die ganze Wand bedeckten, und die gedämpften Farben ergaben die perfekte zeitgenössische Kulisse, vor der Gardners Leben aus den Fugen gerät. Weitere Drehorte waren North Hollywood, Encino, Santa Clarita, San Fernando, Altadena und Pasadena.
Im Valley Plaza Recreation Center in North Hollywood wurde ein großes, weitgehend leerstehendes Einkaufszentrum in sein Gegenstück aus den 50ern verwandelt. Die zeitgenössischen Schaufensterauslagen sahen so überzeugend aus, dass Passanten hereinschauten und die Crewmitglieder fragten, wann das Ganze eröffnen würde.
Das Szenenbild des Supermarkts erforderte ebenfalls den vollen Einsatz des Produktionsteams. Zu seiner Begeisterung fand Bissell in San Fernando einen vor kurzem geräumten JC Penney, der für die Zwecke der Produktion passte. „Er stammte aus den 1940ern und die Außenfassade hatte alle originalen Details aus der Zeit. Im Inneren bauten wir das Szenenbild des Supermarkts.“
Die Regale wurden mit 2.500 authentischen Schachteln bestückt, die das Art Department kreiert hatte, sowie mit 10.000 echten Lebensmittelkonserven, die mit Kopien alter Etikette beklebt worden waren. Die Produktion fand im Internet auch eine Aufstellfigur für die ‚Tony the Tiger’-Cornflakes mit Zuckerguss – eine absolute Rarität und so gut wie neu. Damit sah der Gang mit der Frühstücksnahrung besonders realistisch aus. Für die Backwaren- Abteilung wiederum kaufte man online von Sammlern Hunderte von originalen Broteinwickelpapieren der Marken Taystee und Wonder Bread.
„Es ist schon erstaunlich, was so alles gesammelt wird“, wundert sich Bissell. „Diese Leute verkaufen solche Sachen online, und das ist großartig, wenn du Ausstattungsgegenstände für dein Bühnenbild brauchst, die sich nur schwer finden lassen. Der neue Flohmarkt heißt Ebay.“
Aber so viele historische Sammlerstücke die Produktion auch im Netz fand, andere wichtige Objekte erhielt sie nur aus reiner Gefälligkeit. Für das Wohnzimmer der Lodges hatten Requisiteur Matt Cavaliero [LALA LAND („La La Land“, 2016)] und sein Team die Aufgabe, einen Fernseher der Marke Zenith Flash-Magic zu finden – das erste Fernsehgerät mit Fernbedienung. Nach vielen schlaflosen Nächten entdeckte Cavaliero ein Exemplar im Topzustand im Museum der Early Television Foundation in Ohio, die das Gerät der Produktion freundlicherweise lieh.
Transportmittel-Koordinator George Sack [LIVE BY NIGHT („Live By Night“, 2016)] hatte nicht nur die Aufgabe, über 150 Pkws und Lastwägen aus den 50ern zu finden, sondern auch die Duplikate einiger wichtiger Fahrzeuge. Das betraf den 1957er Oldsmobile Gardners, den 1954er Chevrolet der Meyers, den 1954er VW Käfer von Louis und Ira und einen Crown Feuerwehrwagen von 1959, die allesamt im Lauf des Films beschädigt oder geschrottet werden. Folglich waren davon Zweitexemplare nötig, die während des Drehs unversehrt bleiben mussten. „Wir brauchten einen Feuerwehrwagen der Marke Crown, der dem Exemplar entsprach, den wir schlussendlich zerstörten. Das Los Angeles County Fire Museum hatte einen auf dem Schrottplatz stehen, den wir glücklicherweise kaufen konnten.” Dank der großen Autosammlung fanden sich auch schnelle Lösungen, wenn es darum ging, versteckte Anachronismen aus dem Bild zu eliminieren. Wann immer ein moderner Hydrant oder Straßenschild zu sehen war, stellte ihn die Transport-Abteilung auf kreative Weise mit dem passenden Oldtimer zu.
DIE SUBURBICON-MODE
„Es wird ihnen wahrscheinlich auffallen, dass fast jeder Mann in SUBURBICON das exakt gleiche Outfit trägt“, so Kostümdesignerin Jenny Eagan [NO COUNTRY FOR OLD MEN („No Country for Old Men“, 2007)]. Wie Bissell orientierte sie sich an einer Farbpalette, die „Anonymität und Gleichheit“ vermitteln sollte. „Alle Männer tragen ein Kurzarmhemd mit Krawatte oder einen Zweireiher, bei denen höchstens das Muster leicht variiert. Denn alle ihre Frauen kaufen im gleichen Laden ein.”
„Wir haben mit Jenny bei DIE WAHLKÄMPFERIN („Our Brand is our Crisis“, 2015) zusammengearbeitet, und wir waren von ihr absolut begeistert“, erinnert sich Heslov. „Wir brauchten da sehr spezifische Kostüme, und exakt die hat sie für uns designt.“
„Jeder hatte seine Hosen hochgezogen, die Krawatten sind kurz und die Knöchel waren zu sehen“, erklärt Clooney. „Wir mussten alles anfertigen lassen, und Jenny hat das nicht nur schnell hingekriegt, sondern schuf auch Kostüme, die nicht wie Kostüme wirkten. Das war ein riesengroßes Plus.“
Eagan begann die überwältigende Aufgabe, die Bekleidung für jeden Mann, jede Frau und jedes Kind in SUBURBICON zu kreieren, indem sie verschiedenste alte Kataloge studierte. „Im Sears Katalog zum Beispiel ist jeder zurechtgemacht, und du musst das nur ein bisschen zurücknehmen, damit es realistisch wirkt. Schließlich sollen die Leute diese Bekleidung im Alltag tragen und sich darin wohlfühlen.“
„Die 50er waren eine glamourösere Zeit. Die Leute waren auf ihre Outfits stolz. Du hast niemanden in Jogginghosen auf der Straße gesehen“, so Eagan. „Übrigens gab es kaum Frauen, die Hosen trugen.“
Eagans Kostüme halfen auch Damon entscheidend, sich vom Geheimagenten Jason Bourne in den Vorort-Trottel Gardner Lodge zu verwandeln. „Es ist verlockend, Matt gut aussehen zu lassen“, gibt Eagan zu. „Auch wenn diese Ära im Film sehr glamourös wirkt, so sollte Garner nach Georges Vorstellung etwas schlampiger gekleidet sein. Er ist ein Durchschnittsbürger, der in seinem Leben und seinem Job gefangen und bei weitem nicht so smart ist, wie er glaubt. Er ist den Herausforderungen, mit denen ihn der Film bombardiert, nicht gewachsen, und das ist auch an seinen Kleidern zu sehen.“
Eagan arbeitete auch mit Julianne Moore zusammen, um den individuellen Stil der beiden Zwillingsschwestern zu entwickeln. „Wir haben Vieles in der Anprobe herausgefunden“, erinnert sich die Designerin. „Nach meiner Vorstellung sollten Roses Kleider konservativer sein – wie bei einer klassischen Hausfrau der 50er, aber nachdem ich mit Julianne gesprochen hatte, beschlossen wir, dass Rose auf ihr Erscheinungsbild nicht mehr so viel Wert legt wie früher. Margaret dagegen ist jugendlicher, koketter und will mehr Aufmerksamkeit auf sich ziehen.“
„Jenny ist eine großartige Mitstreiterin“, so Moore. „Gleich von Anfang an hat sie verstanden, wie sich die von mir gespielten Charaktere als Schwestern und von ihrer Persönlichkeit her unterscheiden.“
Bei Nickys Kostümen war das Leitthema ‚Schlichtheit’. „Manchmal kannst du über solche Sachen zu viel nachdenken“, so Eagan. „Es war dann eine Erleichterung, dass ich mit meinem Vater sprechen konnte, der damals etwa im gleichen Alter wie Nicky war, und er erinnerte mich daran, dass Kinder damals nicht unbedingt nagelneue Kleidung trugen. Jemand wie Nicky hatte T-Shirts, Jeans und einen Sonntagsanzug, den er zum Begräbnis anziehen würde. Aber auf die wenigen Kleidungsstücke, die kleine Jungen damals hatten, passten sie auf. Textilien wurden damals sorgfältiger hergestellt und hielten deshalb auch länger.
EIN SCHAUSPIELER-REGISSEUR
„Jedes Mal, wenn ich in einem Film mitspielte, bei dem ich Regie führte, habe ich es gehasst“, meint Clooney, der in SUBURBICON nicht vor der Kamera in Erscheinung tritt. „Hier habe ich den Prozess mehr genossen als bei jedem anderen Film. Von Anfang an lieferte jeder eine Spitzenleistung ab.“ „Wenn George nicht in seinem Film auftreten muss, dann ist es nicht nur für ihn leichter“, lacht Heslov, „sondern auch für alle anderen.“
„Wenn du mit George an einem Film arbeitest, ist es so, als würdest du an einem Auto in deinem Hinterhof herumschrauben,“ so Damon. „Du machst die Kühlerhaube auf, postierst dich mit den anderen drumherum und fängst an. Es macht Spaß, ist Teamarbeit, und niemand ziert sich.“ „Er ist ein sehr großzügiger Regisseur“, fügt Moore hinzu. „Er hegt große Wertschätzung für jeden der Beteiligten und dessen Talente, und er hat an dem, was er macht, echte Freude. Er ist hier, weil er es sein will.” „George will, dass jeder eine gute Zeit hat und eine coole Geschichte erzählt“, so Isaac. „Hier wird niemands Zeit oder Energie verschwendet.“
Laut Clooney ist dies das Verdienst seiner Mentoren: „Ich habe viel von der Arbeit mit den ‚Jungs’ (sein Kosename für die Coen-Brüder) gelernt. Sie sind sehr effizient, haben für jede Einstellung Storyboards, holen sich das, was sie brauchen, und dann geht’s weiter. Ich hatte auch das Glück, Steven Soderbergh und Alexander Payne bei der Arbeit über die Schulter schauen zu können. Ich habe versucht, von allen zu lernen.“
„Wenn du einen Film machst, dann hoffst du, dass er den Leuten gefällt“, so Clooney weiter. „Denn wenn das der Fall ist, dann kannst du noch einen drehen. Unser Job besteht darin, dass wir die besten Filme machen, solange wir können. Denn eines Tages werden wir dazu nicht mehr imstande sein. Unser Ziel ist es, so lange wie möglich im Sandkasten zu sitzen und das zu machen, was wir wollen, bis man uns unser Spielzeug wegnimmt. Wir haben das große Glück, damit unseren Lebensunterhalt verdienen zu können, und das wissen wir jeden Tag aufs Neue zu schätzen.“