Gegen den Sternewahn: Die Künstler Frank und Patrik Riklin haben ein Hotelkonzept für Atombunker entwickelt. Bald sollen in der ganzen Schweiz Filialen eröffnen
Zwei junge Herren im feinen Zwirn. Mit einer Tasse Mokka in der Hand posieren sie neben einem ledernen Clubsofa. Die Zwillingsbrüder Frank und Patrik Riklin kokettieren in diesen Tagen häufig mit der Rolle des seriösen Schweizer Hoteliers, nicht nur auf den Fotos ihrer Webseite www.null-stern-hotel.ch. Bald soll die Idee der beiden Konzeptkünstler, einen Nuklearbunker des Schweizer Militärs als Hotel zu nutzen, dauerhaft verwirklicht werden. Eine lustvolle Antithese zum Luxus- und Größenwahn der Hotellerie: Während andernorts immer teurere Hotels eröffnen, setzen die Riklins auf null Budget – und strikte künstlerische Auflagen.
Das erste Probeschlafen in der Zivilschutzanlage von Sevelen haben die Künstler – ihr Studio nennt
ihr Studio nennt sich „Atelier für Sonderaufgaben“ – bereits organisiert: Ein Dorfhappening, bei dem die gesamte Gemeinde anpackte, um aus dem Bunker ein Hotel mit persönlichem Charme zu machen. Die Idee: Wenn die unterirdische Anlage nicht von der Armee genutzt wird, soll sie als Gästeunterkunft dienen. Allerdings muss der Bunker jederzeit innerhalb von 24 Stunden wieder militärisch einsatzbereit sein. Schließlich kann der Ernstfall nie ausgeschlossen werden.Den Auftrag auszuloten, wie das Kriegsgebäude in Friedenszeiten genutzt werden kann, hatte Sevelens Gemeindepräsident den Künstlern im vergangenen Jahr gegeben. Nun soll das Null-Stern-Hotel zur Dauereinrichtung werden.Kalter Beton, heißer KaffeeSevelen liegt im Rheintal im Kanton St. Gallen, abseits der Touristenströme in den Alpen. Die 4500-Einwohner-Gemeinde beteiligt sich an den Betriebskosten des 1994 gebauten Militärbunkers in ihrem Zentrum. „Wenn es gut geht, könnte es in zwei Monaten losgehen“, sagt eine Gemeinderätin. Denn nach dem Erfolg des Probelaufs, muss noch der neu gewählte Gemeinderat zustimmen. Im Frühjahr soll das Bunker-Hotel dann eröffnet werden. Je nach Zimmerkategorie wird die Nacht zwischen 10 und 25 Euro kosten – an Buchungsanfragen mangelt es heute schon nicht.Ein einfaches Schild, auf zwei Holzlatten genagelt, markiert den Hoteleingang, der sich am Ende einer nackten Betontreppe unter der Erde befindet. Hinter den Eisentüren öffnet sich ein kahler, fensterloser Raum mit einem großen, runden Stahltrog in der Mitte. Soldaten nutzen den Brunnen mit seinen acht Wasserhähnen zur Körperreinigung. Frank und Patrik Riklin haben eine Umwälzpumpe eingebaut, Rosenblüten in das Becken gestreut, und den Raum zur „Wasch- und Loungeoase“ deklariert. Leises Plätschern übertönt so die Lüftungsanlage, und der Gast entdeckt ironisch platzierte Accessoires, die einem Wellness-Hotel entstammen könnten. An den Wänden laufen die Wasser- und Lüftungsrohre jedoch über Putz und in einer Ecke gruppieren sich Stühle um einen Fernseher. Das einzige Fenster zur Außenwelt bietet flimmernde Bilder, die von einer Webcam am Eingang übertragen werden.„In unserer Gesellschaft besteht ein riesiges Bedürfnis nach Einfachheit“, sagt Patrik Riklin. Nichts soll im Null-Stern-Hotel von der ursprünglichen Nutzung der Räume ablenken, alles so authentisch wie möglich bleiben. Die Riklins nennen die Unterkunft ein „Angebot im Bereich Erlebnishotel“ und wenden sich damit auch gegen den Sterne-Kult der Branche. Befreit von Klassifizierungsrichtlinien rechnen die Brüder mit den Dorfbewohnern, die das Gebäude beleben sollen.Deshalb haben sie die Sevelener von Beginn an einbezogen und statt auf Kapital auf vorhandene Ressourcen zurückgegriffen: Stühle, Bettgestelle, Nachtkästchen und Bettbezüge stammen aus einer dorfweiten Entrümpelungsaktion und aus stillgelegten Hotels der Region. Die Blumen an der Rezeption haben Bürger in ihren Gärten gepflückt und die Rolle des Butlers, der die Gäste mit weißen Handschuhen zum Apero empfängt, sollen in Zukunft die Sevelener übernehmen, ebenso wie den Zimmerservice. „Wir formulieren die Nachteile in Vorteile um“, sagt Patrik Riklin.Da der Warmwasservorrat begrenzt ist, entscheidet ein Zufallsrad, wer warm und wer kalt duschen darf. Frauen nutzen den „Wellnessbereich“, wie der Duschraum heißt, zu jeder vollen Stunde, Männer zur halben. Bei 15 Grad in den Räumen – die Heizung wird wie bei der Armee auf das Notwendigste gedrosselt – stellen die Künstler Wärmflaschen und Umhänge aus Militärdecken bereit.Luxus kostet 25 EuroIn den Standardzimmern teilen sich 22 Menschen elf Doppelstockbetten. Wer mehr zahlt, kann in das Achtbettzimmer mit Biedermeier-Unikaten einziehen. „Der Morgen im Hotel beginnt phänomenal“, sagt ein Schweizer Lehrer, der eine Nacht als Testschläfer im Bunker verbracht hat. Er hat sich ebenso wie sein Nachbar aus Großbritannien ein Biedermeier-Bett geleistet. Seine Kleider hat der Brite über die Lüftungsrohre in der Ecke gehängt, seine Hausschlappen stehen akkurat nebeneinander vor der Bettkante. Bevor er aufsteht, liest der Brite eine Weile. Die Duschen sind gerade nicht für Männer frei. Und die Gäste der Achtbettzimmer bekommen den Kaffee ohnehin ans Bett serviert – zusammen mit einem Kipferl der besten Bäckerin von Sevelen.Das Hotel will Menschen unterschiedlicher Hintergründe zusammenführen. So eine Nacht im Bunker vereinigt. Es entstehe „eine unübliche Gemeinschaft“, sagt Patrik Riklin, in der sich schnell Solidarität ausbreite. Das Museum als Ort der Kunst hat für die Riklins ausgedient, schließlich sei die beste Kunst diejenige, die nicht als solche wahrgenommen werde: So bemühen sich die beiden um konkrete Ziele und platzieren ihre Werke mitten im Alltag.Nach den ersten Testnächten erhalten die Zwillingsbrüder nun Anfragen aus der ganzen Welt. Sie haben die Namen „Null Stern Hotel“ und „Zero Star Hotel“ als Marke schützen lassen. „Vielleicht gibt es sogar mal ein Null Stern Auto, oder Null Stern Schokolade“, sagt Patrik Riklin. Das Original solle aber das Hotel bleiben. Geplant ist eine Franchise-Kette mit zwölf bis 15 Null-Stern-Hotels in der Schweiz, eingerichtet nach Kriterien, die das Manifest der Marke festlegt. Das Projekt soll seiner Idee der Antithese zum Hotelgewerbe treu bleiben. Was die Zahl der Zivilschutzanlagen angeht, wird es keine Probleme geben: In der Schweiz gibt es immer noch mehr Bunkerplätze als Einwohner.