Zum 50. Geburtstag von Barbie erinnert sich "Wir-sind-Helden"-Sängerin Judith Holofernes an ihr Kindheitserlebnis mit der Plastikpuppe. Die Geschichte einer Enttäuschung
„Kann ich eine Barbie?“ „Keine Ahnung, kannst du?“ Frustriertes Kinderschweigen, angenervtes Kinderaugenrollen, zusammengepresste Kinderlippen. Aber klar, das war die einzig angemessene Antwort auf meine Frage. „Kann ich“ war natürlich ein Euphemismus für „kaufst du mir“. Meine Mutter hatte allen Grund, sich zu fragen, ob ich – ihre kommunensozialisierte, zerzauste Hippietochter – eine Barbie „könne“. Dass ich keine Lackschuhe konnte, hatte ich kurz zuvor bewiesen. Ich hatte tagelang gequengelt. Dann war ich für einige Stunden in den Schühchen herumgetaumelt, mit dem gequälten Lächeln einer Kinderschönheitswettbewerbsverliererin. Um anschließend zerknirscht zuzugeben, dass i
s ich das offensichtlich nicht konnte: Lackschuhe.Mehr zum Thema:Die Gesichter von Barbie - eine BildergalerieKonkurrenz für Blondie. Vor 50 Jahren kam Barbie auf den MarktUnd das, obwohl wir jetzt nicht mehr in Berlin-Kreuzberg, sondern in Freiburg wohnten, wo man Lackschuhe gut hätte gebrauchen können. Ich war frisch eingeschult und aufgrund meines „unbürgerlichen Hintergrunds“ auf die Namen „Punker“ und „Niemand“ getauft worden.Aus dieser Notlage heraus hatte ich zaghafte Anpassungsversuche an die neue Umgebung gewagt und mit dem Nachbarskind Sabine Kontakt aufgenommen. Sabine konnte Barbies. Sie hatte Barbie-Landgüter, Barbie-Pferde, Barbie-Townhouses, Barbie-Schwangere samt Operationstisch für die geplante Barbie-Kaiserschnittentbindung. Und ich hatte es in meiner Verzweiflung geschafft, mehrmals durch gekonnte Mimikry unenttarnt mitzuspielen. Wie Sabine hatte ich die Barbie an den Fußgelenken gepackt und sie im Wackelgang durch das Kinderzimmer geschoben.Und so stand ich nun in unserer kleinen Dachgeschossküche vor meiner Mutter und behauptete mit dem Mut der Verzweiflung, sehr wohl eine Barbie zu können. Mindestens eine. Hinter den Augen meiner Mutter schien ein Film abzulaufen, der töchterliche Spielszenen zeigte. Ihr Resumée behielt meine Mutter für sich. Wenige Tage später überreichte sie mir mein kurviges Geschenk. Wie habe ich meine Mutter in diesem Moment geliebt! Trotz meines zarten Alters war mir schamvoll bewusst, welche kulturelle Anpassungsleistung es für sie bedeutet haben musste, bei Karstadt eine Barbiefachberatung über sich ergehen zu lassen. Was ich da voll panischer Vorfreude in den Händen hielt, war tatsächlich eine Premium-Barbie – blond, langmähnig und hartkurvig, wie sie sein musste.Wir brauchen ein ZielMit klopfendem Herzen verzogen Barbie und ich uns in mein Zimmer. Ich schloss meine Augen, malte in meiner Fantasie alles rosa an: das rotzgrüne Second-Hand-Kindermobiliar, den Teppich, die zerrrupften Pflanzen. Meine räudigen Stofftiere bekamen imaginäre Schleifchen. Jetzt konnte es losgehen. Beherzt fasste ich Barbie an den Knöcheln. Durchatmen. Fokus. „Wir brauchen ein Ziel. Wir brauchen ein... wir brauchen... wir brauchen...“Verdammt. Ich wollte es nicht wahrhaben, nach nur anderthalb Minuten allein mit der Puppe hatte sich mir das Prinzip Barbie in seiner ganzen Härte offenbart: Mit einer Barbie kann man nicht spielen, mit einer Barbie kann man nur etwas „brauchen“. Oder im besten Fall: „haben“.Zum Beispiel ein Haus! Hatten wir aber nicht. Ein Pferd! Hatten wir auch nicht, nur ein Nilpferd, das schnell unter der Last der Schönen zu ächzen schien. Ich beschloss, Barbie in meine alten Spiele zu integrieren. Voll böser Vorahnungen versuchte ich, Barbie den Griff meiner Bohnenmühle in die Hand zu drücken. Zu groß! Ich wackelte Barbie an den Füßen in meine Höhle. Sie schien die Augen zu verdrehen. Und auch mir erschien der Anblick der aufgedonnerten Frau in diesem rustikalen Ambiente irgendwie unpassend. Mein Blick wanderte zu den Schnitzmessern. Von den Fantasien erschrocken, wendete ich ihn wieder ab.Eine passive Rolle für Barbie Nach einer Schweigeminute beschloss ich, Barbie eine passive Aufgabe in meinem Spieluniversum zuzuweisen: In Rückbesinnung auf mein Lieblingsspiel bot ich ihr die Rolle von Dr. Kimbles ermordeter Frau aus Auf der Flucht an – sie, in realistischer Einschätzung ihrer Alternativen, akzeptierte.Liebevoll legte ich sie mit dem Kopf in einen dekorativen Marmeladenfleck auf dem Fensterbrett, einen Telefonhörer in der ausgestreckten Hand. Dort in ihrem Marmeladenfleck sollte sie auch liegen bleiben. Bis auf einige wenige, kurze Auferstehungsmomente, wenn etwa meine Mutter überraschend ins Zimmer kam und ich Barbie derangiert und marmeladenhaarig durchs Zimmer paradieren ließ.