Die Männeremanzipation stockt leider immer noch, denn es fehlen Männlichkeitsbilder der Zukunft. Sind alleinerziehende Mütter und Grundschullehrerinnen schuld?
Die Debatte um die armen Jungen, aus denen später die armen Männer werden, reißt nicht ab. WissenschaftlerInnen zeigten immer wieder, dass es vor allem allein erzogene Jungen hart treffe, da diese noch Jahrzehnte später ein erhöhtes Depressionsrisiko hätten, weil sie vaterlos aufwuchsen. So berichtete auch Jens Lubbadeh auf Spiegel Online vor drei Tagen. Lubbadeh war auf dem Männerkongress 2010, der in Düsseldorf stattgefunden hat. Dort hörte er sich offenbar einige Vorträge über die Männer und ihre Probleme an – und über Jungen, vaterlose. Daraus entstand der Artikel mit dem Titel „Frau muss man sein!“
Vaterlose Jungen wurden unter anderem von Professor Matthias Franz unter die Lupe genommen. Dazu zog er ein
Vaterlose Jungen wurden unter anderem von Professor Matthias Franz unter die Lupe genommen. Dazu zog er eine Langzeitstudie heran, die Kriegskinder der Jahrgänge 1935 und 1945 untersuchte. Langzeitstudien haben immer einen Vorteil: Man gerät nicht in Gefahr, überstürzte Urteile zu fällen, man betrachtet ein Phänomen und seine Entwicklung über Jahre – und kennt dadurch auch Langzeiteffekte von negativen Einflüssen auf Menschen. Langzeitstudien mit Menschen, die 1935 und 1945 geboren wurden, haben aus heutiger Sicht aber auch einen entscheidenden Nachteil: Sie lassen sich nur sehr schwer auf Menschen übertragen, die 60 oder 70 Jahre später geboren wurden. Kann man einen Jungen, dessen Vater im Krieg starb und dessen Mutter ihn darum allein erzog, wirklich mit einem Jungen vergleichen, dessen Vater einfach nur eine „Neue“ hat oder dessen Mutter nicht mehr mit dem Vater klar kam? Und wurden Jungen der Jahrgänge 1935 und 1945 nicht noch viel mehr zu „Männlichkeit“ erzogen und mussten sie als Männer nicht viel „männlicher“ sein (durchsetzungsstark, hart, mutig, Gefühle an Frauen delegierend), als heute, wo wir beobachten können, dass sich andere Männlichkeitsbilder zu entwickeln beginnen?Alleinerzogen, ohne SchadenIch meine: Franz und somit Lubbadeh – aber auch altbekannte Autoren wie Hurrelmann und Arne Hoffmann argumentieren immer, den Jungen ginge es so schlecht und sie würden depressiv, weil ihnen das „männliche Vorbild“ fehle – und weil Mütter dieses nicht ersetzen könnten. Hat schon einmal jemand untersucht, warum es dann auch Männer gibt, die nur von einer Frau großgezogen wurden und die keinerlei Schaden davon trugen (ich kenne da einige persönlich)? Was haben deren Mütter denn – rein wissenschaftlich gesehen - „falsch“ gemacht? Oder sind sie nicht vielmehr der Beweis, dass der arme vaterlose Junge kein Muss ist, sondern ein gesellschaftliches Phänomen, das aufgrund mehrerer Einflussfaktoren entstand? Und wer fragt eigentlich, warum es heute immer noch vor allem die Frauen sind, die nach der Scheidung alleine mit den Kindern dastehen?Es tut sich Gott sei Dank sehr viel in der Debatte. Ein erster und großer Erfolg war das Urteil des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte, das Vätern mehr Mitsprache bei der Sorge um ihre Kinder zusprach. Denn es ist für beide Parteien und insbesondere für die Kinder, einfach unerträglich, dass hierzulande der Wertekonsens dahin zu gehen scheint, dass Väter bei der Kindersorge nicht mitreden dürften und müssten. Keine Rechte, kaum Pflichten. Auf der einen Seite stehen Frauen, die beklagen, dass ihre Männer keinen Unterhalt zahlen, auf der anderen Seite die Männer, die entrechtete Väter geworden waren. Und dazwischen viele Richter, die immer noch meinten, das Beste für das Kind seien ausschließlich die Mütter. Dieses Bild bröckelt.Auch andere Bilder bröckeln: Seit den 70er Jahren haben sich Frauen kontinuierlich verändert. Zum großen Leid von Frauen wie Eva Herman haben sie sich emanzipiert, haben ihr Leben in die Hand genommen und sind heute erfolgreich in Schule und Beruf. Das ist gut so! Und es wäre wohl nicht so weit gekommen, wenn es keine Frauenbewegung und in der Politik keine gezielte Frauenförderung gegeben hätte. Der ungleiche Lohn, ungleiche Karrierechancen und die immer noch Familien- und damit Mütter-unfreundliche Arbeitswelt (da beißt sich die Katze in den Schwanz), die ungleiche Beteiligung von Frauen in der Politik und auf der sogenannten „Weltbühne“ – all das sind Hinweise darauf, dass es mit der Emanzipation der Frau noch nicht zum Abschluss gekommen sein kann. Trotzdem schreibt Lubbadeh in seinem anderen Artikel, man müsse Frau sein – dann ginge es einem ja viel besser.Wo sind die Vorbilder?Was fehlt denn noch? Genau: Die Emanzipation der Männer. Sie ist überfällig und Kongresse wie der in Düsseldorf, die in ihrem Titel die Frage stellen, ob neue Männer sein müssen (oder nicht?) und wie Männer mit Gefühlen umgehen, zeigen nur, dass die Männer ratlos sind. Was für ein Bild von Männlichkeit soll man heute leben? Wer soll das Vorbild dafür sein? Und alle stellen sich leise die Frage: Müssen Männer heute noch aggressiver, stärker, härter, gefühlsärmer und derartige Arbeitstiere sein, wie das früher selbstverständlich war? Ist das ihre testosterongesteuerte Natur? Solche Fragen und ihre Beantwortung mit einem Ja führen dann zu solch absurden Diskussionen, wie der über die Feminisierung der Erziehungsberufe.Das Wort Feminisierung erhält dann fast eine Konnotation wie „Nazifizierung“ und impliziert etwas Böses. Die ganze Erziehung ist „feminisiert“ – natürlich ist das allein die Schuld der Frauen. Und dass aus den Jungen dann nichts wird, natürlich auch. Aber auch hier wird die Debatte manchmal in die richtige Richtung geführt, wenn von Aufwertung der momentan vor allem „weiblichen“ Berufe ErzieherIn und GrundschullehrerIn geredet wird. Wenn man zugleich von Gendergerechtigkeit in der Kita und Schule spricht und Methoden entwickelt werden, die ErzieherInnen dazu befähigen, ihre eigenen Vorurteile gegenüber den Geschlechtern zu reflektieren und aktiv dagegen zu wirken.All diese Entwicklungen sind Anfänge. Anfänge, die auch dazu führen können, dass die ins Stocken geratene Frauenbewegung neuen Schwung aufnehmen kann. Denn seien wir ehrlich: Es ist immer noch mit sehr vielen Nachteilen verbunden, eine Frau zu sein – auch wenn darüber nicht mehr so viel geredet wird, wie über arme Jungen. Und es ist gerade die fehlende Emanzipation der Männer, die uns einen nötigen Schub verpassen könnte. Vorausgesetzt, man schafft es die Debatte so zu führen, dass das eine nicht gegen das andere ausgespielt wird.