Unternehmen versuchen mit Produkten zu punkten, die speziell auf Frauen oder Männer zugeschnitten sind. Aber warum? Können Männer nicht auch Frauenrasierer benutzen?
Uta Brandes erinnert sich an den Anruf eines Hotelchefs aus Frankfurt. Er habe von ihrer Studie über Hotelzimmer für Frauen gehört und ihre Anregungen umgesetzt, sagte er. Sie möge doch mal vorbeikommen und sich anschauen, was daraus geworden sei. Die Gender-Design-Expertin fuhr nach Frankfurt. Ein Zimmer in dem Messehotel hatte der Hotelier für Geschäftsfrauen eingerichtet: mit Yoga-DVDs statt Hardcore-Pornos übers Hausfernsehen, mit einer Yoga-Matte im Schrank, mehr Ablagefläche im Bad, einem „Frauen-Kit“ inklusive Strumpfhose und Tampons.
Ist das nun die Fortschreibung alter Geschlechterklischees oder angemessene Sensibilität gegenüber den Unterschieden zwischen Mann und Frau? „Es ist ein Anfang“, sagt Brandes. In
andes. In ihrer Studie schreibt sie, dass hierzulande immer mehr Frauen auf Geschäftsreise unterwegs sind, ihre Bedürfnisse in den Businesshotels jedoch bisher nicht wahrgenommen werden.1995 hat Brandes an der Kölner „International School of Design“ den Schwerpunkt Gender Design mit aufgebaut. „Damals wurden wir in Unternehmen oft belächelt“, erzählt sie. Mittlerweile sei die Akzeptanz für den Ansatz gestiegen, Zielgruppen klarer in den Blick zu nehmen – ohne sie auf Klischees zu reduzieren. Laut Marktforschung treffen Frauen als Budgetverwalter nach wie vor die meisten Kaufentscheidungen im Haushalt. Sie sind es, die man kriegen muss – mit dem Design der Produkte.Wie Firmen das versuchen, sieht, wer mit geschärftem Blick durch Drogerien und Supermärkte geht. Da liegen sie dann, die Beweise: Rasierer für Frauen sind rosa, lila oder violett, kurvig geschwungen. Sie heißen „Venus“ und „Silk Soft“. Jene für Männer sind schwarz, grau, glänzend, haben etwas vom Schaltknüppel eines Sportwagens und strahlen mit Bezeichnungen wie „HQ 6990/16“ oder „Series 7/795 CC“ ingenieursgeprüfte Verlässlichkeit aus.Die überaus stereotypen Designprinzipien von Nassrasierern entsprechen der empirisch belegten Unterscheidung, wenn es um Männer- und Frauenprodukte geht. Das bestätigt die Designerin Birgit Weller, die an der FH Hannover Produktdesignstudierenden „Gender Codes“ nahebringt. „Die Segmentierung der Geschlechter nehmen die Unternehmen mittlerweile als Marketinginstrument wahr“, sagt Weller. „Wir erschraken, als wir uns einige Produkte näher angeschaut haben.“ Wellers Buch mit zahlreichen Beispielen, das im Frühjahr erscheint, heißt daher auch konsequenterweise Ich Tarzan, Du Jane.Mit Design Einfluss nehmenEs gibt also Bedarf an weniger klischeehaftem Genderdesign und -marketing. „Als Designer hat man eine Verantwortung“, betont Weller. „Wir haben die Möglichkeit, Einfluss zu nehmen“, eine „kritischere Gestaltungshaltung“ sei essentiell. Vor allem, um zu verhindern, dass Stereotype über Produkte weitertransportiert werden. Genau das sei schlimmer geworden, sind Brandes und Weller sich einig.Es ist ein schmaler Grat zwischen Design, das Klischees verstärkt, und Design, das den Ansprüchen von Männern und Frauen an Produkte gerecht wird. Die Liste mit Beispielen, die beide Gender-Design-Forscherinnen aus dem Stegreif aufzählen, ist lang – die meisten Dinge stehen auf der negativen Seite. Abgesehen vom Paradebeispiel der männlich-starken „Coke Zero“ und des feminin-hellen Gegenstücks „Cola Light“ erzählen sie von Bohrmaschinen mit weniger Leistung für Frauen oder von speziellen Frauenautos, die nicht so schnell fahren können wie die anderen.Meist seien Produkte für Frauen „weniger komplex“, wie Weller es formuliert. Sie erzählen von Bürostühlen, die an die unterschiedlichen ergonomischen Bedürfnisse von Frauen und Männern angepasst werden könnten, von Frauenfahrrädern, Handys mit Taille oder Bodybuilderform und von Kinderwagen: Die einen heißen „Shopper“, andere haben einen technischen Look, heißen „Xplory“ oder „MacLaren“, als ob Väter mit ihrem Baby durchs Gelände brausten. Nur bei Windeln gibt es noch keine Männerversion: Auf den Pamperspackungen sind nur Mütter mit ihren Kindern zu sehen, Väter wickeln aus Unternehmensperspektive offensichtlich nicht.Überhaupt, der Nachwuchs: „Seit den Nullerjahren hat die Geschlechtersegregation bei Kinderprodukten zugenommen“, sagt Brandes. Vor allem Lego sticht da heraus. Ausgerechnet jene Firma, deren Bauklötze stets als Unisex-Produkt galten, hat jetzt eine rosafarbene Linie eingeführt. Die Jungs bekamen in den vergangenen Jahren technisch aufwendige Zusatzspiele und Figuren, die Mädchen haben nun die „Friends“-Serie. Mit einem Café, in dem sie mit ihren Freundinnen tratschen können, einem Hundesalon, einem Kosmetikstudio, einem Modedesignstudio – und, okay, immerhin auch einer Erfinderwerkstatt.Um ihre Studierenden davon zu überzeugen, dass Frauen und Männer unterschiedlich auf Produkte reagieren, schickt Brandes sie für versteckte Studien los. Im Supermarkt, berichteten sie, griffen die Frauen routiniert zu Toilettenpapier oder Waschmittel der billigen Handelsmarke. Die Männer hingegen standen lang vor den Regalen, griffen zu mehreren Varianten, wendeten sie hin und her, studierten die Verpackungsbeschreibung. Fürs Häusliche scheinen Frauen zuständig, das zeigt sich immer wieder beim Konsumverhalten.Dass ausgerechnet das Männermagazin Playboy sich einst daran machte, die stereotyp weiblichen Domänen wie Innenräume, Schlafzimmer und Küchen männlich umzudeuten, dröselt die Gender-Theoretikerin Beatriz Preciado in ihrem gerade erschienen Traktat „Pornotopia“ (Wagenbach Verlag) auf, in dem sie „Architektur, Sexualität und Multimedia im Playboy“ untersucht. Die räumliche Utopie, die Playboy-Gründer Hugh Hefner gerade in den Anfangsjahrzehnten schuf, basierte auf modernem Bauhaus-Design für Junggesellen: Er stellte „die These auf, die von mechanischen und elektrischen Dingen gesättigte, neue häusliche Umgebung sei der legitime Wirkungskreis der Männlichkeit“, schreibt Preciado, und so sei es Hefner etwa gelungen, „die technische Küche zu einem unverzichtbaren männlichen Accessoire zu machen“.Die Grenzen der eigentlich streng nach Geschlechtern getrennt zugeordneten Innen- und Außenwelten lösten sich in den im Playboy abgebildeten Architektur-Strecken ebenfalls auf: Als Ideal vorgestellte Häuser punkteten mit Fliesen für Bäder, Terrassen und Swimmingpools – der Unterschied zwischen Innen und Außen verschwand, ebenso wie die räumlichen Grenzen zwischen Arbeit und Zuhause: Hefner war schließlich ein Chefredakteur, der mit Pyjama im Rundbett liegend von seiner Wohnung aus arbeitete.Verschwimmende GrenzenAber auch wenn es Hugh Hefner mit seinen Traumwelten nicht geschafft hat, die Geschlechterprägung der Markenwelt nachhaltig aufzuweichen: Es gibt Produkte, die Männer und Frauen zugleich ansprechen, Apple gelingt das oft sehr gut. Das bekannteste Beispiel ist aber das Unisex-Parfum CK One, das Calvin Klein Mitte der Neunziger auf den Markt brachte. Es war ein Erfolg bei Frauen, gerade weil es nicht wie typische Parfums für Frauen aussah, sagt Brandes. „Vor allem jüngere Frauen adaptieren gern etwas, das männlich konnotiert ist.“ Kein Wunder, denn „alles, was als männlich gilt, hat in unserer Gesellschaft einen höheren Stellenwert“ – Männer würden schließlich auch besser bezahlt.Der ideale Ansatz ist Weller zufolge „Universal Design Thinking“: Design, das allen Alters-, Geschlechts- und Kulturgruppen gleichermaßen gerecht werde. Mit einzelnen Modulen, die sich anpassen lassen. Der Volvo aus dem Jahr 2004, von dem Brandes schwärmt, wollte so ein Produkt sein: Er wurde komplett von Frauen entworfen, mit Flügeltüren, damit man mit Einkaufstaschen besser einsteigen kann, einer schnittigen Karosserie, mit Stauraum zwischen den Vordersitzen und einem Loch in der Kopfstütze, damit der Zopf nicht stört beim Autofahren. Der Haken? Der Wagen war eine Studie, man konnte ihn nie kaufen.