Lesetip: Besetze Deine Stadt!

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Gerade überschlagen sich ja in Berlin die Debatten um die Auseinandersetzungen und Polizeieinsätze am 1. Mai. Zu Wort kommen dabei Innensenatoren, Polizeigewerkschafter und Journalisten. Dass eine sinnvolle Ursachenbestimmung so kaum gelingen wird, liegt auf der Hand. Wie die Beschäftigung mit auch gewalttätigen Protesteruptionen aussehen kann, haben kürzlich Peter Birke und Chris Holmsted Larsen unter Beweis gestellt. Bei Berlin/Hamburger Verlag Assoziation A wurde das von ihnen herausgegbene Buch " Besetze Deine Stadt! Bz Din By! Häuserkämpfe und Stadtentwicklung in Kopenhagen." veröffentlicht.

Hier eine kleine Leseanregung:

Hinter den Barrikaden...Mit Freiräumen gegen die neoliberale Stadt?

Eine Buchbesprechung zu:

Peter Birke; Chris Holmsted Larsen (Hg.) 2008: Besetze Deine Stadt! Bz Din By! Häuserkämpfe und Stadtentwicklung in Kopenhagen. Berlin/Hamburg: Assoziation A

„Angesichts der hohen Geschwindigkeit, mit der sich die soziale Struktur der europäischen Großstädte aktuell verändert, angesichts des Gefälles zwischen Arm und Reich, das in diesen Veränderungen immer größer wird, des 'kleinräumigen' Nebeneinanders von Boom und Ausgrenzung, Potentialen und Repression ist die Perspektive unwahrscheinlicher geworden, dauerhaft unberührte Inseln der Selbstverwaltung schaffen zu können. Aber gleichzeitig ist die Möglichkeit gewachsen, den Rausch der Inwertsetzung und Aufwertung stören und (…) relativ weitgehende Forderungen durchsetzen zu können“ (Peter Birke 2007: 15)

Im Frühjahr 2007 erschütterten Demonstrationen und Barrikadenkämpfe gegen die Räumung eines unabhängigen Jugendzentrums die dänische Hauptstadt Kopenhagen. Das Ungdomshuset wurde über die Grenzen Dänemarks zum Symbol für den Kampf um Freiräume und gegen die zunehmendeKommodifizierung der Stadtentwicklung. Peter Birke und Chris Holmsted Larsen nutzten die Gelegenheit um mit dem, von ihnen herausgegebenen Band „Besetze Deine Stadt! Bz Din By!“ eine Analyse der städtischen Protestbewegungen vorzulegen. Konkreter Anlass sind die heftigen Auseinandersetzungen um das Ungdomshuset. Doch hinter den gerade verflogenen Rauchwolken und Tränengasschwaden versuchen sie, die historischen und stadtpolitischen Zusammenhänge der Mobilisierungen zu deuten.

So gibt Peter Birke mit seinen einleitenden Beiträgen einen profunden Überblick zur Stadtentwicklung Kopenhagens in den vergangenen Dekaden. Insbesondere die Entwicklung Kopenhagens zum „Modell für die globale Stadt“ mit den typischen Zutaten von Aufwertung, Umbau zum Unternehmen Stadt und dem Ausbau zur Metropole der Wissens- und Erlebnisökonomiewird dabei zum Schlüssel für die Einordnung der eruptiven Protestmobilisierung.

Auch die Beiträge von René Karpantschof („Kopenhagen, Jagtvej 69“) sowie von Liv Rex Hansen und Tobias Alm(„Ungdomshuset, Gegenkultur und Stadtentwicklung“)betonen, dass es den überwiegend jungen Aktivist/innen des „Märzaufstandes“ (Karpantschof 2007: 73) nicht nur um die Räumung des Jugendzentrums ging,sondern um nichts weniger als die Teilhabe an der der Stadt. „Besetze Deine Stadt!“ ist dabei nicht nur ein Demonstrationsslogan, sondern wird als Verspechen auf die künftigen Proteste gegen die neoliberale Stadtentwicklung verstanden. In der detaillierten Beschreibung der Anti-Räumungsproteste wird die Taktik der „geographischen Ausweitung und der wechselnden Zentren“des Barrikadenkampfes (Karpantschof 2007: 75) entsprechend als Sinnbild für diesen Teilhabeanspruch gedeutet. René Karpantschof beschreibt die Intention der vier Tage andauernden Straßenschlachten wie folgt:

„Die AktivistInnen strebten ganz offen einen Aufstand an (…). Etwas genauer gesagt bedeutet (dies) einen relevanten Teil des öffentlichen Raumes, der Straßen und Plätze unter die eigene Kontrolle zu bringen und diesen Zustand so lange aufrechtzuerhalten , bis das normale Alltagsleben in Stillstand geriet und damit eine Krise geschaffen wurde, die von den PolikerInnen nicht länger ignoriert werden konnte.“ (Karpantschof 2007: 74 f.).

Mehre Interviews mit Aktivist/innen der Auseinandersetzungen vertiefen die Beschreibungen der Beiträge und geben einen Einblick in die Innenansichten verschiedener Bewegungssegmente. Spannend für die stadtpolitischen Debatten auch hierzulande dürften die immer wieder aufgegriffenen Überlegungen zu Funktionen und Grenzen von Freiräumen bei der Durchsetzung einer anderen Gesellschaft sein. Soargumentiert Andreas Blechschmidt („Rote Flora im Hamburger Alltag: Stör- oder Stadtortfaktor?“) dafür, die Feiräume und linken Projekte zu „Störfaktoren in den sich formierenden neoliberalen Stadtlandschaften“ zu entwickeln (Blechschmidt 2007: 198).Der Beitrag der radikal queeren und feministischen Gruppe KRAN hingegen sieht die Freiräume als „Hegemonie-Brecher“und „Orte des Experimentierens, Herausforderns und Reflektierens“ (Gruppe KRAN 2007: 202). Der Widerstand, aus dem heraus solche Freiräume entstehen, dürfe dabei nicht auf eine abgegrenzte Enklave oder gesellschaftliche Nische beschränkt bleiben. Denn: „Ein Freiraum ist ein Ausgangspunkt, von dem aus die Gesellschaft verändert werden kann.“ (Gruppe KRAN 2007: 202).

Das Buch gibt am Beispiel der Auseinandersetzungen um das Ungdomshuset in Kopenhagen ungewöhnlich detaillierte Einblicke in die Motive, Hintergründe und Dynamiken eines städtischen Konfliktes. Für alle, die sich selbst an stadtpolitischen Kampagnen beteiligen eine regelrechte Fundgrube an Bewegungsansätzen, Strategien und auch Grenzen des eigenen Handelns. Die Beschränkung auf Freiraumbewegungen sollte alle jene, die eine übergreifende Perspektive gesellschaftlicher Veränderungen verfolgt, nicht abschrecken. Auf 222 Seiten gibt es für 14,80 Euroein kurzweiliges und lesenswertes Buch und einen wichtigen Beitrag für die Diskussionen um neue stadtpolitische Bündnisse. Meine Empfehlung: Kaufen. Lesen. Selber aktiv werden!

Mehr zum Thema Stadt und Proteste gibt es auf dem gentrificationblog zu lesen.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Andrej Holm

Ostberliner | Sozialwissenschaftler | aktiv in verschiedenen Stadtteil- und Mieterinitiativen

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