Die Zeitschrift als Waffe. Mehr Durchsuchungen in Berlin

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http://annalist.noblogs.org/files/2010/09/beware-of-the-book.jpgAm Freitag gab es Durchsuchungen in Berlin, die mittlerweile sowas wie Tradition haben. Es wurden “vier Buchläden der linken Szene durchsucht“. Weil dort Exemplare der illegalen Zeitschrift Interim vermutet wurden, und darin aktuell “zu militanten Aktionen gegen die Feiern zum Einheitstag am 3. Oktober in Bremen aufgerufen” werde (Berliner Zeitung). Den bewussten Aufruf gibt es seit Ende August auch online, ohne dass meines Wissens bisher gegen die betreffenden Websites vorgegangen worden wäre.

Ich halte das für ein Thema, dass alle die interessieren sollte, die etwas gegen Zensur im Netz haben – denn hier geht es um die Verfolgung der ‘Offline-Provider’, der Buchhändler.

Tradition haben die Durchsuchungen, denn:

Innerhalb des letzten Jahres wurden die Läden von Schwarze Risse fünfmal, der Infoladen M99 viermal und der Buchladen oh21 und der Antifa-Laden Fusion/Red Stuff zweimal durchsucht. Weiterhin kam es im Rahmen eines Ermittlungsverfahrens wegen der Zeitschrift Prisma zu einer Hausdurchsuchung beim Domaininhaber der Internetseite projektwerkstatt.de und in Folge der staatlichen Repression zur vorübergehenden Abschaltung der Internetseite durch den Provider JPBerlin. (Aus einem gemeinsamen Text der betroffenen Buchläden)

Das war vor Freitag und muss jetzt aktualisiert werden. Den spärlichen Berichten zufolge ist der Vorwurf §111 StGB “Öffentliche Aufforderung zu Straftaten”. Die gibt es im Netz zu tausenden – warum sie in gedruckter Form, mit eher geringer Reichweite, dann den polizeilichen Aufwand (Steuergelder!) rechtfertigen, weiß nur der Staatsanwalt.

Die Beteiligten ziehen auch eine Verbindung zu den neuen Programmen des Familienministeriums und des Verfassungsschutzes gegen »Linksextremismus«. Wenn es den Strafverfolgungsbehörden gelänge, dass linke Buch- und Infoläden als Vertriebe von Gewaltpropaganda wahrgenommen würden, hätten sie ihr Ziel erreicht. (Jungle World)

Der Tagesspiegel, der in solchen Sachen in der Regel außerordentlich gut informiert ist (sich aber zu der Behauptung verstieg, es sei die Redaktion durchsucht worden), berichtet dann in einer Meldung auch gleich von Durchsuchungen bei Neonazis. Extremist = Extremist, ist wohl die Botschaft.

Bei der letzten Runde im Juli ging es um die “Anleitungung zu Straftaten” (§130a), und dazu um den Verstoß gegen das Waffengesetz, und das wurde nicht den AutorInnen, sondern den Geschäftsführern der Buchläden vorgeworfen.

… ? Das Buch (die Zeitschrift) als Waffe? Wo sind wir denn?

Schon der § 130 StGB (Anleitung zu Straftaten), der in enger Verwandtschaft zu den §§129(a) (terroristische bzw. kriminelle Vereinigung) steht, ist keine Freude für die Verteidigung, denn auch hier geht es nicht um konkrete begangene Straftaten, sondern um die ziemlich weit auslegbare Aufforderung dazu, verbunden mit sehr schönen Optionen bei der Ermittlung. Konkret ging es um Anleitungen zum Bau von Molotow-Cocktails und Brandsätzen. Vermutlich war der Grund nicht das pure wissenschaftliche Interesse, aber wer sowas heutzutage finden will, muss sich sicher auch keine große Mühe machen. Die sowieso höchst prekären Buchhändler jetzt damit zu belasten, darf schon mal als Schikane gewertet werden.

Obendrauf gab es den “Verstoß gegen das Waffengesetz” (§40 WaffG). Das ist was Neues.

Die Jungle World vermutet:

Angesichts der »ansteigenden linksextremen Gewalt«, die der Verfassungsschutz beschwört, wollen Polizei und Staatsanwaltschaft wohl nicht untätig erscheinen. Möglicherweise richten sie, nachdem es ihnen bisher nicht gelungen ist, auch nur einen einzigen Autoanzünder verurteilen zu lassen, ihre Aktivitäten verstärkt gegen die linken Strukturen, die am einfachsten greifbar sind: die Buch- und Infoläden.

Bedenklich ist bei der ganzen Sache, dass hier ein neuer juristischer Dreh probiert wird. Bisher wurde davon ausgegangen, dass Buchhändler nicht den gesamten Inhalt ihres Sortiments kontrollieren können.

Die Staatsanwaltschaft bekräftigte auf Nachfrage eines Anwalts, dass es ihr Ernst ist mit diesem Vorstoß: Sie strebt ein Gerichtsverfahren an, das die bisherige Rechtsprechung revidieren soll. (Erklärung der Buchläden)

Und damit können wir dann auch die Vokabel “Zensur” wieder ins Spiel bringen. Es gibt jede Menge Gründe, was gegen Brandsätze oder die Anleitung zur Herstellung zu haben. Das ist aber noch lange kein Grund, durch die Kriminalisierung von Buchhändlern und Infoladen-BetreiberInnen die Verbreitung von Literatur und Information zu verhindern.

Oder: wo ist da der Unterschied zur Verfolgung von Providern, die Websites mit angeblich strafbarem Inhalt hosten? Und wem hilft es, wenn die verfolgt werden? Fragen bitte an die Berliner Staatsanwaltschaft.

Bild: florian.b/Flickr, CC-Lizenz

Zuerst veröffentlicht bei annalist - da darf auf geflattr't werden.

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Geschrieben von

Anne Roth

Anne Roth schreibt ins Netz seit 1999 / beruflich Referentin für Netzpolitik der Linksfraktion im Bundestag / parteilos / Fokus: DigitaleGewalt

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