Deutsche Medien-Wunder. Teil 1: Die Auflagen-Explosion beim Freitag

Bei diesem Beitrag handelt es sich um ein Blog aus der Freitag-Community.
Ihre Freitag-Redaktion

Es ist Sonntag, der 11. Oktober. Ich bin unterwegs zum Pfarrertag in Heilbronn und muss bayerisches Gebiet durchqueren. So komme ich als alter Preuße live in den Genuss der auf freitag.de angekündigten Zündfunk-Sendung von Christian Schiffer auf Bayern2, die mir sonst vielleicht entgangen wäre: Die Blog-Konfrontation: Zum Verhältnis der Blogosphäre zu den klassischen Medien.

Sowas interessiert mich natürlich. Als erstes lässt der Autor Helmut Markwort ins Messer laufen. Im Gespräch mit Uli Hoeneß (mit wem auch sonst) ist sich der Focus-Chef einig: So einfach wie man Klowände beschmiert, kann heute jeder Narr mit 23 Cent und einem Platz im Internetcafé die Welt in Unruhe versetzen, kann er Falschmeldungen, Beleidigungen oder Denunziationen online stellen, während Markworts professionelle Journalisten-Kollegen beim Focus oder Spiegel „mit der üblichen journalistischen Sorgfaltspflicht“ arbeiten müssten.

Später erfährt man dann, dass es anders herum ist. Markwort selbst war im Januar 2006 auf pantoffelpunk.de an die Klowand gestellt worden. Blogger Digga konnte durch eine sorgfältige Bildanalyse nachweisen, dass der Focus seine Bilder vom Wiederaufbau nach der Tsunami-Katostrophe gefälscht hatte.

Neben weiteren Beispielen, wo Blogger seriöser und schneller waren, als etablierte Medienmacher, hört man sie dann auch im O-Ton. Allen voran Stefan Niggemeyer, dann Jens Berger (alias Spiegelfechter) und schließlich Jakob Augstein.

Letzterem wird im Off-Ton der Sendung sogar attestiert, „das wohl interessanteste Beispiel“ zu sein, wie klassische Medien mit Internet und Bloggern umgehen könnten.

„Bis zum Mai 2008 war der in Berlin erscheinende Freitag ein verknöchertes Blatt mit einer kleinen Auflage von 12000 Stück. Dann übernahm Jakob Augstein die Zeitung und krempelte sie um. Mittlerweile liegt die Auflage bei 70000.“

Kann ein argloser Hörer wie ich da auf den Gedanken kommen, dass diese Auflagen-Explosion beim Freitag genau so ein Fake ist, wie Markworts Bilder vom Wiederaufbau?

Hätte der Autor oder sein Redakteur beim Fakten-Check vor der Sendung einen Blick ins darin beschworene Internet riskiert, wäre ihm auf ivw.de zumindest aufgefallen, dass selbst die Druckauflage des Freitag im gerade abgelaufenen Quartal bei nur 35.000 Exemplaren lag. Verkauft wurden davon aber nur 17.000.

Das ist – immerhin - eine Steigerung von 5.000 oder 40 % gegenüber den 12.000 verkauften Exemplaren von 2008. Aber noch lange keine Versechsfachung. Und weit davon entfernt, die mutige personelle Aufstockung der Redaktion auch nur annähernd refinanzieren zu können.

Trotzdem. Selbst dieser Fehler untermauert Schiffers Kernaussage. Traditionelle Medien sind alles andere als unfehlbar. Jetzt, wo es Blogger gibt, werden deren Fehler wie von einer sechsten Gewalt aufgespürt und publik gemacht - in diesem Fall übrigens nicht von mir, sondern von Freitag-Blogger Bildungswirt, der mein argloses Vertrauen in Recherchen des öffentlich-rechtlichen Rundfunks mit einem kritischen Eintrag in mein Gästebuch honoriert hat. Zu Recht. Spätestens nach dieser Sendung hätte ich Bescheid wissen müssen...

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

ChristianBerlin

Theologe (Pastor) und Journalist, Berlin. Mitglied im Journalistenverband Berlin-Brandenburg (JVBB) und im Pfarrverein-EKBO. Singt im Straßenchor.

ChristianBerlin

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden