Ein Mensch wird durch den Wolf gedreht

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... und könnte doch heil wieder herauskommen. Warum der "Dritte Weltkrieg" voraussichtlich nicht stattfindet.

Die Headline ist ein Zitat aus einem Artikel von Evi Simeoni (FAZ). Gemeint ist Caster Semenya, eine 18jährige Südafrikanerin, die in Berlin den Weltmeistertitel über 800 Meter holte. Casters Pech: Ihr Geschlecht konnte vor der WM nicht einwandfrei bestimmt werden. Sie bekam zwar den Titel, durfte aber nur eine halbe Ehrenrunde drehen und wurde von Pressekonferenzen ausgeschlossen.

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Caster Semenya, die Frau, die beinah einen "Dritten Weltkrieg" ausgelöst hätte (Foto: AFP/Getty Images)

Hier, beim Freitag, stellte dazu Oliver Tolmein ausführlich und detailreich die Entwicklung des Gender-Regelements von Olympiaden und Weltmeisterschaften vor.

Gestern berichtete nun Michael Reinsch an gleicher Stelle wie Evi Simeoni unter Berufung auf den australischen Daily Telegraph, in Berlin vorgenommene Untersuchungen hätten definitiv ergeben, dass Caster intersexuell ist. Südafrika habe, wie es in Reinsch' Bericht weiter heißt, deshalb mit dem "Dritten Weltkrieg" gedroht, weil nach dem Reglement der 1912 gegründeten International Association of Athletics Federations (IAAF) zu befürchten sei, dass die Spitzensportlerin zwar den Titel behalten könne, aber in Zukunft nicht mehr starten dürfe. Solche Konsequenzen vermutet auch Jens Hungermann in der heutigen Ausgabe der "Welt": "Möglicherweise darf Semenya ihre Medaille behalten, wird in Zukunft aber von Frauenrennen ausgeschlossen."

Während viele Staaten inzwischen die Existenz von Intersexualtität wieder anerkennen und im Gesetzeswege die Würde und Entfaltung der Betroffenen schützen, scheint demnach für diese Minderheit im Sport noch immer kein Platz zu sein. Doch dieser Anschein könnte trügen. Das Gender-Reglement, das vom der IAAF im engen Kontakt mit dem Interntionalen Olympischen Komittee (IOC) seit 1990 entwickelt wurde, ist zwar historisch durch bekannte Transgender-Fälle bewusster Geschlechtsangleichung bei Spitzensportlerinnen veranlasst worden. Doch Intersexualität wird darin ausdrücklich berücksichtigt, und das nicht nur negativ.

Das Geborenwerden mit zweierlei Geschlechtsmerkmalen ist eine der rätselhaftesten Launen der Natur. Die Zahl der Intersexuellen divergiert Schätzungen zufolge zwischen einem halben Promill und einem Prozent der Bevölkerung, wonach allein in Deutschland fast eine Million Zwitter leben müssten. In der Antike wurden "Hermaphroditen" als heilig verehrt. Im 19. und frühen 20. Jahrhundert stellte man sie der Öffentlichkeit statt dessen allenfalls noch als Zirkussensationen vor. Das dritte Reich ließ sie ganz aus der öffentlichen Wahrnehmung verschwinden, indem es den bis dahin zulässigen Zusatz "zwittrig" in den Standesregistern abschaffte und eine eindeutige Geschlechtszuordnung ab der Geburt verlangte. Betroffene und ihre Verbände sehen in dieser staatlich erzwungenen frühen Festlegung heute einen Eingriff in das sexuelle Selbstbestimmungsrecht, unter dem viele Betroffene später ihr Leben lang leiden.

Wenn der neuste Bericht aus dem Daily Telegraph zutrifft, geh es bei Caster nicht nur um ein y-Chromosom mehr oder weniger. Ihr fehlten Gebärmutter und Eierstöcke, statt dessen habe sie eingewachsene Hoden. Dann aber hätte sie Glück im Unglück. Denn diese Form der Intersexualität ist das Androgen Insuffienz Syndrom (AIS), auch "Männlicher Pseudohermaphroditismus" genannt, was nach Ziffer 6 a des Gender-Reglements der IAAF keine Vorteile gegenüber anderen weiblichen Wettbewerbsteilnehmerinnen mit sich bringt und deshalb zugelassen sein sollte.

Das Androgen Insuffizienz Syndrom ist eine Störung der fötalen Entwicklung der Fortpflanzungsorgane. Bei AIS wird das Kind mit normalen männlichen (XY) Chromosomen gezeugt. Embryonische Hoden entwickeln sich im Körper und beginnen, männliche Hormone auszuschütten. Aber diese männliche Hormone können die männliche genitale Entwicklung nicht bewirken aufgrund einer seltenen Unempfänglichkeit des fötalen Gewebes gegenüber Androgenen. Folglich erfolgt die aüßere genitale Entwicklung nach dem weiblichenMuster (die alternative Route). Jedoch wird die Entwicklung von weiblichen inneren Organen schon durch ein Hormon der fötalen Hoden verhindert (MIF). (Quelle: AISSG)

Nach allem Leid, das ihr zweifellos zugefügt wurde, käme die junge Sportlerin - wenn die Berichte medizinisch zutreffen - heil und gestärkt wieder aus dem Wolf heraus, und ein "Dritter Weltkrieg" bliebe ihretwegen aus.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

ChristianBerlin

Theologe (Pastor) und Journalist, Berlin. Mitglied im Journalistenverband Berlin-Brandenburg (JVBB) und im Pfarrverein-EKBO. Singt im Straßenchor.

ChristianBerlin

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