Eine Erde voller Zombies

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Jetzt, da in Mitteleuropa ungewöhnlich starke Regenfälle Opfer kosten, Russland von der schlimmsten Trockenheit seit Menschengedenken heimgesucht wird und das an Menschen sechst reichste Land der Welt praktisch komplett auf der Flucht vor dem Monsun ist, lautet eine Diagnose: Die Erde schlägt zurück.

Gottesfürchtige tun sich leicht, denn Katastrophen, sogar ein simpler Jugendtreff in Duisburg, der aus dem Ruder gelaufen ist, sind stets eine Strafe für Zustände frei nach Sodom und Gomorrha. Der Gegenpol, berufene wie tatsächliche Forscher, hält einzig Menschenwerk für alles verantwortlich, was sich gegen Menschen wendet. Auch dann noch, wenn ihr jüngstes Cheval de Bataille, der CO²-Ausstoss, dank Datenmanipulationen zum trojanischen Pferd mutiert ist. Weswegen nicht nur die divinatorische Fraktion zunehmend vor einer Klimadiktatur warnt. Bleibt also nur, sich drein zu fügen, dass nun die Erde das Heft in die Hand nimmt, fatal blind, unbarmherzig und ausweglos? Dass man damit sogar hinter Donnergottheiten Marke Zeus und Thor zurückfällt, ist nur einer der Teile in der Fragestellung.

Vielleicht hängt die Diskussion um Treu und Glauben damit zusammen, dass der Mensch gern verdrängt, vergessen machen möchte, was er tat. Nach Möglichkeit versteckt er es; aus den Augen, aus dem Sinn. Die althergebrachte Methode dafür ist das Vergraben. Eine Entwicklungsstufe weiter geht, ein Loch zu schaufeln, mit einem Sitz zu versehen und die Verrichtung mit Wasser fort zu schaffen. Weswegen dem alten Rom des sechsten vorchristlichen Jahrhunderts mit seiner Cloaca Maxima trotz aller sonstigen Unzulänglichkeiten in Sachen Lebensschutz Fortschrittlichkeit attestiert wird, etwa gegenüber dem Zustand Londons zur Zeit der großen Pest zweitausend Jahre später. Dabei war es nicht einmal diese, sondern erst nach noch einmal zweihundert Jahren der große Gestank, der den Herrschaften im House of Parliament die Arbeit so sehr trübte, dass sie sich zu einer Grundsanierung der Stadt durchrangen: Mit einer Kanalisation unter der Erde.

Die Methode ist heute nicht viel anders. Der Anblick eines zähen Ölteppichs auf der Wasseroberfläche mit darin hilflos zappelnden Vögeln, der Geruch der Aromaten, allein die Farbe haben auf menschliche Sinne die gleiche verheerende Auswirkung wie das, was vormals auf der Themse schwamm oder weithin ruchbar selbst heilige Flüsse wie den Ganges ziert. Deshalb ist es auch da ein Anliegen, das was sichtbar sein könnte, möglichst schnell unter die Oberfläche zu drücken. Der Chemieeinsatz im Golf von Mexiko soll vergessen machen, dass ein Tropfen Öl zehntausend Liter Wasser kontaminiert, weil dessen Bestandteile, die Kohlenwasserstoffe und ihre Verbindungen, nicht nur giftig sind, sondern erbgutschädigend; für Tier und Mensch. Die Logik findet sich übrigens in jedem PKW wieder, den sich die umweltbewusstere Familie hierzulande zulegt. Der Auspuff ist hinter einer Verblendung versteckt, die die Abgase so verwirbelt, dass niemand sieht, dass hinten doch noch etwas rauskommt, Taschentuchtest hin oder her.

Weswegen man selbst bei Atomkraft noch immer von „sauberer Technologie“ spricht und allen Erfahrungen zum Trotz so verkaufen kann. Strahlende Teilchen sind unsichtbar, geruchlos und gehen ggfs. nur dann aufs Gemüt, wenn das Fleisch von den Knochen fault. Das kam bisher glücklicherweise nur alle Jubeljahre vor, und auf Wildbret und Waldpilze konnte man eine Zeit lang verzichten; wie die Menschen am Golf von Mexiko nun auf alles, was aus dem Meer kommt. Wäre da nicht die Frage, wohin mit dem, was am Ende übrig bleibt und ein paar Zehntausend Jahre weiter strahlt. Denn zum ersten Mal und ganz praktisch hat sich dank tektonischer Bewegung und Wassereinbruch in Asse gezeigt, dass graben, hineingeben und wieder zuschütten nicht wirklich funktioniert, Vergessen machen auch nicht: Nicht mit diesem strahlenden Wiedergänger. Weil auch hier die Erde zurückgeschlagen hat?

Mit Naturvölkern kann man sich vor Toten fürchten, die zurückkehren könnten und möglicherweise den Lebenden Leid antun. Oder mit der Apokalypse, dass „der Tod und die Unterwelt ihre Toten“ herausgeben werden, die in ihnen waren. Eigentlich würde schon reichen, zu verstehen, dass alles, was vergraben ist, unweigerlich wieder ans Tageslicht kommt, nicht erst in Religion oder Archäologie. Man könnte es, ganz fatalistisch, eine Gesetzmäßigkeit nennen.

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Geschrieben von

ed2murrow

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ed2murrow

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