Kurz notiert: Wählerauftrag

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Vor allem, wenn es im Ergebnis richtig eng wird mit dem Koalieren, kommen die politologisch-juristischen Fabulierer zum Zug und reden den Beteiligten ins Gewissen: Sie haben einen Auftrag erhalten und dem müssen sie nachzukommen. „Gefälligst“ ist dabei meist der Subtext.

Schon alleine, dass das gesetzliche Leitmotiv von „Auftrag“, nämlich die Unentgeltlichkeit der Geschäftsbesorgung, nicht auf eine so projizierte Wirklichkeit passt, sollte zu denken geben. Weswegen das Entgelt hierzulande ja auch schamhaft Diäten und nicht Lohn genannt wird. Dass der Beauftragte bei einer geplanten Abweichung von Weisungen des Auftraggebers diesen vorab zu benachrichtigen und dessen Entschließung abzuwarten hätte, wird erst recht unterschlagen. Dabei steht das so im Bürgerlichen Gesetzbuch, und das regelt immerhin das Leben des deutschen Bürgers vom Mutterleib bis ins Grab. Wundert es uns, dass dann auf der anderen Seite der Unberechenbarkeit die sog. „schweigende Mehrheit im Volk“ evoziert wird?

Missverständnisse sollte es eigentlich gar nicht geben können. Bei Wahlen darf man bestenfalls ein oder mehrere Kreuze setzen, dem Tipp-Vorgang in der Lotto-Annahmestelle nicht unähnlich. Jede weitere Bemerkung, etwa in Richtung wörtliche Konkretisierung des Wählerwillens, macht den semiotischen Vorgang ungültig. Und in der Tat verhält es sich ja in der Realpolitik genau umgekehrt: Die Gewählten in spe haben vorweg verkündet, was ihr Wunsch ist und wer diesen teilt, möge sich anschließen. Das ist nicht einmal ein Akt vorauseilenden Gehorsams gegenüber einem mutmaßlichen Willen der Bevölkerung, sondern nennt sich schlicht Programm. Haben Sie schon mal davon gehört, dass ein Theater das seine erst nach der Befragung der Besucher aufstellt?

Von Auftrag zu sprechen, gaukelt dem Wähler mehr vor, als ihm nach den derzeitigen Regeln des Demokratiespiels zusteht. Es weckt vor allem Frust, wenn diese nach derzeitigem Stand unerfüllbare Erwartungshaltung nicht befriedigt wird. Ein gestöhntes „Nicht schon wieder wählen“ ist daraus die natürliche Konsequenz und damit ein Mosaikstein der Politikverdrossenheit. Dabei wäre es so einfach, zu erkennen: Wer angetreten ist, Macht ausüben zu wollen, sollte sich auch dazu bekennen. Zumindest so weit sollte die Wahrheitsliebe im politischen Tagesgeschäft gehen.

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Geschrieben von

ed2murrow

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